Saltatio Mortis - Zirkus Zeitgeist

Saltatio Mortis - Zirkus Zeitgeist
Zum 15. Bandjubiläum feiern sich SALTATIO MORTIS einfach mal selbst: Mit ihrem zehnten Studiowerk “Zirkus Zeitgeist”, auf dem sich die Mannheimer noch moderner als auf “Das schwarze Einmaleins” und gar nicht mehr so mittelalterlich präsentieren. Dazu reicht das Oktett eine Nummer, die für Kenner der deutschen Geschichte wohl deutlich provokantere Züge aufweist als “Wachstum über alles”, für das SALTATIO MORTIS viel Kritik einstecken mussten.

Eröffnet wird Album Nummer zehn von “Wo sind die Clowns?”, einem melodischen Appell an ein bisschen mehr Unbeschwertheit und Witz im Leben. Musikalisch wirklich furchtbar, und gerade deshalb so gemein eingängig ist “Weihnachtszeit”, mit dem SALTATIO MORTIS sehr sarkastisch mit der Vermarktung von Weihnachten auseinander setzen. Weitere Gesellschaftskritik gibt es mit “Des Bänkers neue Kleider” und dem übertrieben fröhlichen, poppigen “Wir sind Papst”; in Richtung Mittelalter geht’s nur mit “Rattenfänger” und “Maria”, traurig wird es bei der “Ballade der Erinnerung”. In “Geradeaus” feiert sich die Band ein bisschen selbst und blickt auf ihren bisherigen Weg zurück. Das "Trinklied" fällt als eine von nur wenigen Nummern in die Kategorie unbeschwerter Ohrwurm. Das melancholische “Nachts weinen die Soldaten” schließlich ist mein persönliches (und auf "Zirkus Zeitgeist" leider rar gesätes) Highlight, weil es so dunkel, schwer, dramatisch und ergreifend klingt.

Und dann wäre da ja noch “Augen zu”, mit dem SALTATIO MORTIS einen politisch explosiven Ohrwurm abliefern. Das musikalische Motiv von “Wachstum über alles” war ziemlich schnell zu erkennen und ein gefundenes Fressen für viele Kritiker, die den Sinn hinter dem Song nicht verstehen konnten oder wollten. Bei “Augen zu” gehen SALTATIO MORTIS subtiler vor: Die Melodie, wenn auch düster, gefällt, der Text passt. Er fordert zum Einen auf, die Augen nicht weiter vor den Problemen in der Welt zu verschließen, und richtet sich klar gegen rechte Arschlöcher. Warum jetzt subtil? Weil das Sextett allen, die sich über die Verwendung des “Deutschlandlides” bei “Wachstum über alles” aufregten, beide Mittelfinger zeigt und als Vorlage für “Augen zu” ausgerechnet das Horst-Wessel-Lied (https://de.wikipedia.org/wiki/Horst-Wessel-Lied) wählt, das im Nationalsozialismus als zweite deutsche Hymne galt. Souveräner kann man ein Statement gegen das Wegschauen, gegen das Kopf-in-den-Sand-stecken, gegen Nazis wohl kaum auf eine CD bringen.

Alles in allem, und von den wenigen Ausnahmen abgesehen, gehen mir SALTATIO MORTIS auf ihrem zehnten Album mit gesellschaftskritischen und moralisierenden Themen dann doch ein bisschen zu weit. Zudem wiederholen die acht Spielleute ihre Phrasen teils bis zum Erbrechen. Einige Songs sind viel zu poppig und ohne Biss, und ich habe das Gefühl, dass der Band beim Komponieren irgendwann die Puste ausgegangen ist. Im Vergleich zu “Sturm aufs Paradies” und insbesondere meinem Favoriten “Wer Wind sät”, aber auch zu "Das schwarze Einmaleins" fällt "Zirkus Zeitgeist" doch ein gutes Stück ab. Das Mittelalter ist sowohl instrumental als auch textlich ein bisschen zu sehr in den Hintergrund gerückt worden.

Lohnenswert ist “Zirkus Zeitgeist” deshalb nur zum Teil. Wenn ihr euch die Scheibe aber kaufen wollt, dann als Limited Edition, die durch Bonustracks und eine zusätzliche CD, auf der befreundete Bands SALTATIO MORTIS-Songs covern, aufgewertet wird.