Geschrieben von Freitag, 25 November 2016 09:54

METALLICA: Review-Special zu "Hardwired ... To Self-Destruct"

Acht Jahre: Das ist selbst für METALLICA eine verdammt lange Zeit, um ein neues Studioalbum fertig zu stellen. Ob sich das Warten auf den "Death Magnetic"-Nachfolger gelohnt hat, wie Songs und Produktion klingen und ob auch Altfans wieder ein Ohr riskieren dürfen, erfahrt Ihr in unserem Review-Special zu "Hardwired ... To Self-Destruct".


Metallica Hardwired to Self Destruct

Metallica - Hardwired ... To Self-Destruct
Blackened Recordings/Vertigo
18.11.2016

Chrischi

Bewertung: 8/10

Das Wichtigste vorab: METALLICA machen es auch mit ihrem neuen Album Fans der ersten Stunde nicht leicht. Von zwei Tracks abgesehen konzentriert sich das Quartett auf vertrackte Midtempo-Songs statt auf thrashige Geschwindigkeitsattacken. Wer keine Angst vor sperrigen Metal-Monstern hat und sich die Zeit zum Entdecken nimmt, erlebt die beste Scheibe der Bay Area-Thrasher seit dem schwarzen Album.  

Der knackige, kurze Oldschool-Thrasher "Hardwired" sorgt für einen beeindruckend rasanten Einstieg, dem mit "Atlas, Rise!" der vielleicht beste Song des Albums folgt. Die melodischen Twin-Gitarrenleads, die treibende Struktur mit eingängigen Riffs, ein Chorus mit hohem Wiedererkennungswert und die famosen Melodien nach dem Solo machen die Nummer zu einem kommenden Klassiker – genau wie "Moth Into Flame", mit klasse Gitarrenleads und dem melodischsten Chorus der gesamten Scheibe.

Das treibende "Now That We're Dead" fräst sich mit besonderem Drumming und eingängigem Chorus schnell ins Hirn, das mit der Ktulu-Thematik spielende "Dream No More" orientiert sich mit doomigen Riffs ganz leicht an "The Thing That Should Not Be". Mit mehrstimmigen, ALICE IN CHAINS-artigen Vocals in den Strophen trifft es auf den Sound der "Load/Reload"-Ära. Das epische "Halo On Fire" beginnt als atmosphärische Halbballade, besticht durch enorme Abwechslung und für Gänsehaut sorgende Melodien, die perfekt mit Hetfields ausdrucksstarken Vocals ("Hello darkness, say goodbye ...") harmonieren.

Das eindringliche "Confusion" behandelt musikalisch und lyrisch die kaputte Psyche und Traumata der aus dem Krieg heimgekehrten und sich selbst überlassenen Soldaten ("The war that never ends ...", "Cast away and left to roam ..."). Von der Stimmung her erinnert das Stück leicht an das "Master Of Puppets"-Album, auf dem mit "Disposable Heroes" ja ein ähnlicher Song steht. "ManUNkind" ist vermutlich die Nummer, die am längsten benötigt und zu Beginn am unscheinbarsten klingt, doch die Konzentration auf das vertrackte Stück lohnt sich: Nach einem ruhigen Beginn pflügen METALLICA durch brettharte Riffs mit hypnotischem Charakter und einem feinen Groove. Die Stimmung in den Strophen beschwört einmal mehr "Load/Reload" herauf, vor Kirks Solo gibt's feine Gesangsharmonien von James.

Auch "Here Comes Revenge" erinnert mich in den pumpenden Strophen an die Mitt- und Spätneunziger-Ära, während die Riffs und der Groove zum schwarzen Album passen würden. "Am I Savage?" setzt erneut auf diesen Groove, gepaart mit Doom-Anleihen im simplen, aber extrem effektiven Chorus. In der Spoken-Words-Passage habe ich zuerst gedacht, Dave Mustaine würde ein Gastspiel feiern ... Mit "Murder One" zollen METALLICA insbesondere lyrisch Lemmy Tribut. Zu Beginn klingt er sehr unscheinbar, doch irgendwann macht es "Klick", und "Murder One" entpuppt sich als Biest mit mörderischem Groove, von dem man nicht genug bekommt. Mit "Spit Out The Bone" haben sich METALLICA schließlich einen der besten Albumtracks für den Schluss aufgehoben: Galoppierende Riffs, Double Bass, reichlich Tempowechsel, ein ziemlich angepisst klingender Hetfield und punktgenaue Melodien beenden "Hardwired... To Self-Destruct" mit einem grandiosen Knall, der in Richtugn "Dyers Eve" und "Damage Inc." geht.

Der zweiten CD hätte eine weitere Uptempo-Nummer gut getan, sie konzentriert sich etwas zu sehr auf riffbetonte, teils doomige Midtempo-Brecher. Abgesehen davon bietet "Hardwired … To Self-Destruct" alles, was ich von METALLICA will: Messerscharfe, an Präzision kaum zu überbietende Riffs, schrille und rasante Soli, charismatische, bissige Vocals, einen sehr prominenten und ordentlich scheppernden Bass sowie knackige und vertrackte Drums. Dazu Tempowechsel, komplexe Passagen, himmlisch gute Melodien und Abwechslung pur. Die Produktion ist dem schwarzen Album ebenbürtig und das Maß aller Dinge: Die Bassdrum tritt gewaltig in den Magen, der knurrige Bass ist deutlich zu hören (Cliff Burton wäre begeistert), die Riffs und Soli sägen kraftvoll und scharf durch die Boxen.

Die Riffs und Grooves des schwarzen Albums treffen auf die Komplexität und Sperrigkeit von "... And Justice For All", garniert mit Melodien und Vocals, die überraschend oft an die besten Momente der "Load/Reload"-Ära erinnern. Auch "Ride The Lightning" und "Master Of Puppets" zwinkern einem zwischendurch zu. Die Scheibe ist sehr riffbetont, hart und sperrig, in den ersten zwei, drei Durchgängen bleibt sogar weniger hängen als bei "Death Magnetic". Hat man sich erst einmal rein gefunden, warten einige der leuchtendsten Song-Sterne im METALLICA-Kosmos seit 25 Jahren auf euch. Und wenn METALLICA im Riffgewitter Melodien liefern, dann richtig. Ich bin glücklich!

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Helge
Bewertung: 5/10

Eine ernüchternde Bilanz: Von zwölf Stücken auf „Hardwired … To Self-Destruct“ ist gerade mal knapp die Hälfte richtig gut. Was METALLICA hier acht Jahre nach dem letzten Album „Death Magnetic“ abliefern, ist unausgegoren. Schade eigentlich, aber kaum überraschend: Die Probleme, die sich auf dem neuesten Album zeigen, haben METALLICA schon sehr lange.

Grundsätzlich spricht mich die Mischung aus dem Besten aller Phasen der, sagen wir mal, wandlungsfähigen Band an: Speed-Granaten und epische Riffmonster wie auf den ersten Werken und bombastische Midtempo-Nummern wie auf dem Schwarzen Album. Hard Rock-Elemente und -Melodien à la „Load/Reload“ und nicht zuletzt die progressive und wieder aggressive Marschrichtung von „Death Magnetic“. Die teilweise sehr offensichtlichen Selbstreferenzen machen dabei durchaus Spaß.
Leider hallen im zu oft verunglückten Songwriting auch die Katastrophen von „St. Anger“ nach. Wieder machen METALLICA den Fehler, Stücke in die Länge zu ziehen, obwohl ihnen nach vier Minuten schon die Spannung fehlt. Und wieder packen sie Riffs und Melodien auf ein Album, obwohl sie von deutlich schlechterer Qualität sind, als andere. Hinzu kommen sinnlose Spannungsbögen. Kurz: Es hapert am Songwriting.

Das Album startet stark mit dem Titeltrack: Ein pfeilschneller, einfacher und effektiver Thrasher mit rohem 80er-Flair, der Spaß macht. Mit „Atlas, Rise!“ folgt das erste Album-Highlight: tolle, zweistimmige Gitarrenmelodien, Ohrwurmrefrain, vertracktes, aber stimmiges Songwriting und ordentlich aggressiver Speed – METALLICA, wie sie besser nicht sein könnten.

Doch bei „Now That We’re Dead“ sinkt das Niveau erstmals ab, auch wenn es später noch tiefer gehen wird. Eigentlich ein geiler Midtempo-Song, der breitbeinig daherkommt und deutlich auf das Schwarze Album verweist. Leider aber auch ein Mittelklasse-Refrain, eine uninspirierte Bridge und ein einfallsloses Solo. Überhaupt kann man die wirklich guten Beiträge von Kirk Hammett auf dem Album mit der Lupe suchen (James Hetfield hat im Interview gesagt, dass Hammett nur die Soli eingespielt hat).
Zum Glück folgt mit „Moth Into The Flame“ ein weiterer starker Song mit ähnlichem Gewicht wie „Atlas, Rise!“. Dann wird’s anstrengend: Das irrelevante „Dream No More“ ist der erste klare Skip-Kandidat. „Halo On Fire“ hat tolle Melodien und eine teilweise fesselnde Dynamik, wäre mit sechs statt acht Minuten aber besser gewesen – hätte man abspecken können.

„Confusion“ – nomen est omen. Ein erschreckend uninspirierter und wirrer Song. „ManUNkind“ wiederum schafft es, mit Midtempo-Grooves und Progressivität zu begeistern, weil das Stück die Stringenz im Songwriting hat, die anderswo fehlt.
Wer sich dann noch durch die drei Mittelmäßigkeiten „Here Comes Revenge“, „Am I Savage?“ und „Murder One“ quält, bekommt zur Belohnung eins auf die Mütze: „Spit Out The Bone“ schließt die Klammer zum Titeltrack. Ein toller Rausschmeißer der zeigt, dass METALLICA Thrash-Hymnen mit Melodie und Biss schreiben können – wenn sie wollen.

Was bleibt? Eine handvoll sehr guter Stücke, einige davon mit Klassiker-Potenzial. Eine lange Reihe Enttäuschungen. Und Fragen. Warum musste es ein Doppelalbum sein? Gibt es bei METALLICA keine ernsthafte Qualitätskontrolle? Vielleicht kreist die Band zu sehr um sich selbst, als dass sie Stimmen von außen zulassen oder sich selbst mal wirklich kritisch hinterfragen würde. So bleibt die Erkenntnis, dass auch METALLICA nur eine Band von vielen ist, mal besser, mal schlechter als andere. Das ist zwar keine neue, aber immer wieder eine ernüchternde Erkenntnis.

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Andreas
Bewertung: 6/10

METALLICA sind zurück – und polarisieren wie eh und je. Mit den Diskussionen über diese Band ließen sich immer noch Bücher füllen, obwohl zahlreiche (ehemalige) Anhänger Ulrich, Hetfield und Co. vorwerfen, seit dem 1988 erschienenen „ … And Justice for All“ kein relevantes Album mehr veröffentlicht zu haben. Mit „Hardwired … To Self-Destruct“ unternehmen die Bay-Area-Thrasher nun den nächsten Versuch, an alte Glanzzeiten anzuknüpfen.

Mit dem Titeltrack gelingt dann auch gleich der Traumstart: Ein schnörkelloser, temporeicher und energiegeladener Thrasher mit einem kurzen, präzisen Hammet-Solo, dazu der abgehackte Gesang von James Hetfield – der Song erinnert in der Tat an METALLICAs goldene Jahre in den 80ern, ohne ein billiger Abklatsch zu sein. „Atlas, Rise!“ untermauert den starken Auftakt. Das Tempo wird hochgehalten und es ist hörbar, dass die Jungs immer noch ein Gespür für gutes Songwriting haben. Auch der für die Band mittlerweile so typische, lange Instrumentalpart wirkt bei diesem Stück nicht deplatziert.

Es folgt mit „Now That We're Dead“ mein Lieblingssong dieses Albums. Stampfender, energischer Rhythmus, ein prägnantes Lead-Riff und ein Refrain mit Ohrwurm- und Gänsehaut-Charakter: So müssen METALLICA klingen! Auch „Moth Into the Flame“ kann das hohe Niveau halten und rückt die überzeugende Bass-Arbeit von Robert Trujillo in den Vordergrund: Man hat förmlich vor Augen, wie er die vier Saiten malträtiert und dabei wie üblich am Rande des Wahnsinns wandelt. Auch die Variabilität von Hetfields Sangeskünsten beim Refrain gefällt: Hier wechseln sich melodischer und Stakkato-Gesang ab.

Leider verlieren sich die Songs in der nächsten dreiviertel Stunde des Albums aber mehr und mehr in Belanglosigkeiten. Die Geschwindigkeit wird merklich gedrosselt, es folgt ein Midtempo-Song nach dem anderen, deren lange Laufzeit teilweise sogar dazu führt, dass man gelangweilt den Skip-Button drücken will. Gute Ansätze sind vorhanden (beispielsweise die starken, teils sogar epischen Melodien bei „Halo on Fire“), aber die Songs kommen leider wegen der unnötig ausschweifenden Instrumentalparts kaum noch auf den Punkt. Erst gegen Ende nimmt die Platte wieder Fahrt auf und mit „Spit Out the Bone“ – inklusive maschinengewehrartigem Drumming aus dem Hause Ulrich – gelingt ein versöhnlicher Abschluss.

METALLICA haben einige neue Kracher zustande gebracht, die auch live für Verzückung sorgen dürften. Allerdings wäre weniger deutlich mehr gewesen: Hätte man auf ein bis zwei Songs des zweiten Albumteils verzichtet und einige Songs um zwei bis drei Minuten gekürzt, dann wäre „Hardwired … To Self-Destruct“ ein Anwärter für das Album des Jahres. So ist daraus nur eine gute und leider viel zu lange Platte geworden.