Geschrieben von Freitag, 10 Mai 2019 22:00

Mantar im Interview - Teil 2: "Die eigene Meinung ist nicht richtiger als die von anderen"

Rau, ursprünglich, schweißgetränkt – die Musik des Rock-Duos MANTAR zelebriert die Lust am Kaputtmachen und will am ganzen Körper erfahren werden. Im Rahmen der diesjährigen Kiel-Show hatte BYE die Möglichkeit, sich mit den beiden Vollblut-Bremern zusammenzusetzen. Im zweiten Teil des Interviews dreht sich alles um Politik, Diskussionskultur und Spotify.

Seid ihr politische Menschen?

Hanno Klänhardt (H): Ich gehe nicht auf Demos. Aber ich lese jeden Tag aus verschiedensten Ecken Nachrichten, um mir natürlich ein möglichst objektives Bild zu schaffen. Und ich habe natürlich auch sehr klare Meinungen zu Dingen und denke sehr viel, fast schon zu viel über das Weltgeschehen nach. Es ist ein sehr schwieriges, komplexes Thema, weil man viele falsche Sachen sagen kann. Je älter ich werde, desto mehr verliere ich den Glauben daran, dass Menschen in größeren Gruppen überhaupt funktionieren.

Und so hab' ich mir mein Privatleben auch geschaffen, dass ich raus bin aus der Stadt. Weil das Konzept „Stadt“ für mich nicht mehr funktioniert. Das fühlt sich wie ein Fremdkörper an, dass ich morgens in die U-Bahn steige oder meine Badezimmerwand die Schlafzimmerwand meines Nachbarns ist. Das ist etwas, was ich in meinem Leben nicht mehr möchte. Und das ist für mich ein politischer Schritt.

Aber die für mich wichtigste politische Erkenntnis war – was mich zu mir vor 25 Jahren sehr unterscheidet – zu merken, dass die eigene Meinung nicht wichtiger oder richtiger ist, als die von anderen. Klar gibt es Sachen, die sind für mich ein No-Go und da unterhalte ich mich auch nicht drüber. Von gewissen politischen Extremen distanziere ich mich natürlich. Aber ich habe gemerkt, dass Menschen sehr, sehr sonderbar sind.

Ich glaub' auch nicht an ... Wie soll ich das sagen ... Ich vertraue Menschen auch nicht. Ich vertraue meinen Freunden, meiner Familie. Ich vertraue Erinc und vielleicht auch dir, aber ich vertraue niemandem, der sich auf die Bühne stellt und sagt: „Ich hab' die Wahrheit mit Löffeln gefressen. Ich weiß, wie der Plan ist, ihr müsst mir folgen.“

Ist mir auch scheißegal, aus welcher politischen Richtung das kommt. Wenn mir jemand erzählt, wie ich Dinge machen muss, was ich darf und was ich nicht darf, welche Worte ich wählen darf, wie ich meine eigene Kunst gestalten darf, in welchem Rahmen ich auftreten darf, wo ich auftreten darf – da mach' ich sehr, sehr schnell zu. Da bin ich einfach zu alt und sturköpfig für. Mir bereitet es keine Freude, Teil von etwas zu sein, was ich nicht selbst erschaffen habe.

Und das ist dann auch der Punkt, an dem du sagst, dass du nicht auf Demos gehst? 

H: Na ja, es gibt total viele wichtige Demos und das finde ich auch geil. Da, wo ich wohne, ist die Demolandschaft jetzt auch nicht so ausgeprägt wie in Hamburg oder so. Das muss man auch mal ganz klar sagen. Ich fühle mich generell recht unwohl, in einem großen Trott Menschen zu „marschieren“ und eine Parole zu skandieren, die ich vielleicht in zwei Jahren anders sehe. Ich bin sehr vorsichtig. Ich lasse Menschen gerne sein, wie sie sind.

Und ich finde, das trägt nicht immer zur Gesamtsituation bei, wenn jemand meint, alles politisieren zu müssen. Aber was du auch im Kopf behalten solltest, ist, dass du als erwachsener Mensch für dich Prinzipien setzen musst. Und dass ich mich nicht mit irgendwelchen Faschos an den Tisch setze und sage: „Mucke ist Mucke und Politik ist Politik“ ... Geht natürlich nicht, es gibt Grenzen. Und die mache ich auch sehr, sehr schnell klar. Ich komme aber auch nicht häufig in die Situation, weil ich allgemein sehr schüchtern bin, was neue Menschen oder so betrifft. Ich halte mich da gerne von fern.

Was mich, glaube ich, zu einem politischen Menschen macht – viel mehr, als auf Demos zu gehen – ist, dass ich im Gegensatz zu vielen anderen – ohne da jetzt mit dem Finger auf jemanden zu zeigen – bereit bin, mich mit jedem zu unterhalten. Ausnahmslos jedem. Und auch bereit bin, jedem eine klare Kante zu zeigen. Aber ich möchte wissen, was Leute denken, warum Leute denken, was sie denken.

Ich finde die spannendsten politischen Momente – wenn ich Zeitung lese, Nachrichten gucke oder auch Dokumentationen schaue – sind, wenn sich Leute, die sehr gegensätzlich sind, unterhalten. Auf Augenhöhe. So weh das auch tut. Weil ich mag Momente, wo sich Leute austauschen, ohne mit dem Finger zu zeigen.

Natürlich ist das schwierig, wenn sich hier jetzt ein full-blown Nazi hinsetzt, mit so 'ner Hetzpropaganda. Da mach' ich sofort dicht. Aber trotzdem hab' ich einen Instinkt in mir, der mich fragen lässt: Wo kommt das her? Warum bist du, wie du bist? Warum trägst du so viel Wut in dir? Wo kommt dieser Hass her? Und ich glaube, das gibt es zu wenig.

Zu wenig Gesprächsbereitschaft allgemein?

H: Ja, genau! Ich traue Menschen in einer Gruppe sowieso nicht – egal ob links oder rechts. Sobald sich Menschen zusammentun, entsteht so ein Mechanismus, der im schlimmsten der Fälle in einer hysterischen Masse endet. Egal, von welchem politischen Ideal ausgegangen wird. Da bin ich raus.

Und ich mag es – und das ist eine der schönen Sachen an unserem Job –, dass ich in den letzten Jahren wirklich krasse Leute getroffen habe. Und nicht bei Konzerten, sondern morgens, alleine um vier an der Flughafenbar. Und gemerkt habe, dass hinter der Fassade der meisten Leute doch ein Mensch steckt. Sowas finde ich interessant und über sowas freue ich mich sehr. Und freue mich am meisten, wenn die Leute ganz anders sind, als ich, aus einer ganz anderen Ecke kommen und vielleicht auch komplett andere Ansichten haben. Das bereichert mich und mein Leben ungemein.

Weil du dadurch Dinge auch wieder aus einem anderen Blickwinkel sehen kannst?

H: Ja, es muss halt immer alles mit Respekt passieren. Wenn du jetzt vorbeikommst und mir eine Propagandascheiße vorsetzt, weil du dich selbst gerne reden hörst, mache ich sehr schnell dicht. Dann bin ich raus. Wenn jemand bereit ist, sich zu öffnen und ehrlich mit mir zu reden, höre ich tendenziell erst einmal jedem zu. Ich glaube, dass man politisch deutlich mehr bewegen könnte – und das klingt jetzt total abgedroschen – wenn man einfach mehr miteinander spricht und sich selbst auch nicht so wahnsinnig wichtig nimmt.

Jedes politische Extrem hat immer eins gemeinsam, dass die Leute nicht bereit sind, sich zu öffnen und umzudenken. Du gehst ja mit einer gefestigten Meinung da rein. Das ist ja immer schwierig – egal, ob das irgendein CDU-Vogel ist, der vor seinen „Jüngern“ spricht oder irgendein Fascho, der vor seiner komischen Fascho-Demo spricht oder irgendwie ein schwarzer Mob, der mit 2.000 Leuten durch die Straßen zieht und sagt: "Ey, so ist das und deswegen zünden wir jetzt hier ein Auto an." Ich misstraue denen einfach. Ich halte Menschen einfach nicht für sonderlich intelligent.

 

Oft geht es ja auch nur um das Recht haben. Darum, eine Dominanz zu etablieren, welche den Diskussionsgegenstand selbst aber nicht voran bringt.

H: Trotzdem ist es total wichtig, für seine Meinung konsequent einzustehen. Auch wenn sie mir nicht gefällt. Das ist das Allerwichtigste. Aber du musst, auch wenn du für deine Meinung oder vermeintlichen politischen Ideale einstehst, eine Grundbereitschaft mitbringen, anderen Leuten zuzuhören. Sonst musst du die Diskussion überhaupt nicht führen.

Und es ist egal, wenn du am Ende des Tages in einem totalitären Regime lebst, das sich links, rechts, mitte oder oben-unten nennt, am Ende bist du am Arsch. Dann haben wir überhaupt nichts mehr zu melden und davor habe ich eine gewisse Furcht. Ich glaube, egal wohin eine politische Idee geht, sollte man das immer vermeiden. Man muss immer Fragen stellen. Und ich finde auch, dass man seine eigene Überzeugung immer konstant hinterfragen und immer widersprechen muss.

Und du hast vorhin diese Jugendlichen angesprochen, die auf die "Fridays For Future"-Demos gehen und das finde ich tendenziell total super. Ich bin nur sehr gespannt, wo die alle sind, wenn einmal Osterferien sind. Ich meine das überhaupt nicht kritisch oder so, aber ich weiß selbst, wie ich als 17-Jähriger war. Und ganz ehrlich, ich wäre da wahrscheinlich hingegangen, um Gras zu rauchen. Natürlich finde ich das Ideal, was dahinter steht, total wichtig und so. Aber nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

Ich bin gespannt, aber hey – nichts, überhaupt nichts ist wichtiger, als dass junge Leute bestehende Standards hinterfragen und aufbrechen. Das ist immer gut. Weil es, auch wenn es weh tut – die Identitäre Bewegung, das sind ganz oft auch sehr junge Leute, die sich da hingerissen fühlen –, junge Leute sind ja immer auch ein Gradmesser für eine allgemeine politische Stimmung in einem Land, in einem Zusammenleben von vielen Leuten. Deswegen muss man fragen: Wo kommt das her? Warum sind jetzt Jugendliche auf der Straße für Dinge, die ihnen vor zwei Jahren nicht wichtig waren?

Ein letzter Themenwechsel: „Spotify ist eine Entwertung von Musik“ – eure Meinung dazu?

H: Ich halte das für absoluten Quatsch. Ich glaube, dass wenn ein Lied macht, dass du zuhause sitzt und weinst, wenn du dich dein Leben lang erinnerst, weil du zu dem Lied zum ersten Mal gebumst hast oder weil dich ein Lied sonst irgendwie bewegt, ist das Medium völlig egal. Ich glaube schon daran, dass es noch mehr ein Wegwerfprodukt wird – zu einem gewissen Grad. Aber trotzdem glaube ich daran, dass wenn du 15 Jahre alt bist und ein Lied auf Spotify geil findest und das vier Monate lang jeden Tag auf dem Schulweg hörst und du jedes Mal heulen musst, weil dich das Stück so berührt, dann erzähl mir doch nicht, dass das Medium nicht das Richtige ist.

Das ist Wichtigtuer-Schnack von allen Leuten, die sich sehr, sehr wichtig nehmen. Mir ist Spotify scheißegal, ich hab' keinen Account. Aber ganz ehrlich, ich bin auch kein Plattensammler. Ich mag gute Musik – egal, ob sie aus dem Radio kommt oder du sie mir vorsingst. Also ich finde das absoluten Quatsch. Extrem ungünstig ist für die meisten der Künstler, die da jetzt nicht gerade zehn Milliarden Klicks haben, ... wir haben auch über eine Million Klicks, glaube ich. Wie viel Geld kriege ich dafür? Das ist ein Scherz.

Erinc Sakarya (E): 76 Cent oder so?

H: All In! (lacht)

E: Die Sache ist die: Wie viel kostet das? Zehn Euro? Und dir steht prinzipiell alles zur Verfügung, was es musikalisch jemals gegeben hat. Ich glaube, das ist eine Entwicklung, die man gar nicht hätte aufhalten können.

H: Solange die Leute – und das klingt jetzt sehr doof und auch sehr alt –, aber solange die Leute Musik hören, bin ich sehr froh. Es wäre für mich eine viel schlimmere Bewegung, wenn es so etwas wie Spotify gar nicht gäbe. Wenn die physischen Tonträger einbrechen und sich abzeichnet, die kommende Generation hat kein Interesse an Musik. Aber das ist ja offensichtlich ganz anders und das ist grundsätzlich erst einmal positiv. Ich finde, dieser Diskussion wird viel zu viel Bedeutung beigemessen.

Ich bin sehr froh, dass Leute unsere Musik konsumieren und ich bin auch sehr froh, dass wir durch die Musikfarbe, die wir bedienen, auch noch physische Tonträger verkaufen und sogar sehr gut. Aber ich schätze jeden Fan ganz genauso, wenn er mir sagt: „Aus dem und dem Grund bedeuten mir MANTAR genau das und ich würde niemals auf die Idee kommen, eine Vinyl zu kaufen.“ Ist für mich völlig uninteressant.

→ Hier geht's zum ersten Teil unseres Interviews mit MANTAR – darin dreht sich alles um das Leben auf Tour, Lautstärke und das Bedürfnis nach Ruhe.