Geschrieben von Montag, 11 November 2019 21:38

Clawfinger im Interview über Konzerte, Kohle und kritische Songtexte

Die schwedischen Rap-Metaller CLAWFINGER hatten eigentlich 2013 ihre offizielle Auflösung bekannt gegeben. Seit einigen Jahren ist die Band aber wieder auf Festival- und Club-Shows anzutreffen – und wirkt enthusiastisch wie in alten Zeiten. Wir sprachen mit Sänger Zak Tell über fordernde 9-to-5-Jobs, die Intelligenz der Menschheit und jugendliche Naivität.

Zak, wenn ich mir eure aktuellen Konzerte anschaue, möchte ich vielen anderen Bands empfehlen: Hört auf, alle zwei Jahre halbfertige Platten zu produzieren, nehmt euch ein paar Jahre Auszeit und kehrt dann auf die Bühnen zurück wie CLAWFINGER: Enthusiastisch, spielfreudig, jugendlich (trotz eures Alters). Wie würdest du das Geheimnis eurer immer noch energiegeladenen Live-Präsenz umschreiben?

Ich glaube nicht, dass es einen einzigen richtigen Weg gibt. Jede Band ist eine einzigartige Mischung aus Idioten ... sorry, Individuen, und hat keine andere Wahl, als die Dinge auf ihre eigene Weise zu machen. Gleichzeitig hat das traditionelle Setup mit der Aufnahme und Veröffentlichung eines Albums jedes Jahr oder alle zwei Jahre meines Erachtens ein wenig von seinem alten Charme verloren. Nur sehr wenige Bands erzielen heutzutage tatsächlich Gewinne durch Albenverkäufe oder können sogar davon leben – aber wenn man die Zeit, die Inspiration und die Songs hat, dann gibt es keinen Grund, keine neuen Platten zu veröffentlichen.

Unsere Begeisterung für Live-Auftritte ist nie wirklich verschwunden. Stattdessen waren es andere Dinge, die CLAWFINGER in die Quere kamen: vor allem die sich wandelnde Musik-Branche, die es uns erschwerte, als Vollzeit-Musiker unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir mussten uns andere Jobs suchen und dadurch fehlte uns die Zeit, sodass die Band mehr und mehr in den Hintergrund rückte. Außerdem hatten wir zu diesem Zeitpunkt bereits 17 bis 18 Jahre in der Branche verbracht und waren der Sache leicht überdrüssig geworden.

Wir haben unsere letzten Alben komplett selbst produziert und unsere eigenen Videos aufgenommen. Aber wir haben uns immer lieber mit der Musik und nicht mit dem Drumherum beschäftigt. Es hat Energie gekostet und wir waren es gewohnt, Plattenfirmen, Videoregisseure und Leute zu haben, die uns bei geschäftlichen Dingen unterstützt haben. Deshalb waren wir als Band nie vollkommen unabhängig.

Ich bezweifle nicht, dass es sehr nützlich sein kann, eine Auszeit zu nehmen und ein Perspektiv-Wechsel kann sicher nicht schaden. Was die Energie betrifft, die haben wir in erster Linie bei Live-Auftritten gespürt, weil wir einfach gerne spielen und sehr stolz auf die Musik sind, die wir gemacht haben. Das alles mit einem engagierten Publikum zu teilen, ist ein Adrenalinschub, der schwer zu beschreiben ist für jeden, der ihn nicht selbst erlebt hat!

Ihr nehmt euch selbst nicht zu ernst und verarscht euch auf der Bühne auch gerne mal gegenseitig. Zudem seid ihr eine sehr fan-nahe Band, die nach dem Konzert auch mit den Anhängern an der Theke ein Bier trinkt. Das ist in der heutigen Zeit, in der alles auf straffe Timings und kostspielige Meet & Greet-Tickets ausgerichtet ist, sehr selten geworden.

Rock & Roll ist zu wichtig, um ernst genommen zu werden! Außerdem sind wir zu alt, um uns selbst nur ernst zu nehmen. Eine unserer Erkenntnisse, um in der Band zusammen älter zu werden, ist, dass es nicht darum geht, eine ernsthafte, verklemmte "Rockstar"-Band zu sein, die versucht, vor Publikum auf der Bühne cool auszusehen. Es geht darum, eine Party mit unseren Fans zu feiern und eine entspannte Atmosphäre zu schaffen.

Die Leute haben dafür bezahlt, uns zu sehen und wir lieben sie dafür. Also, warum sollten wir nicht mit ihnen Bier trinken, Fotos machen und uns bei ihnen bedanken, dass sie alle gekommen sind, um einen Haufen Männer mittleren Alters zu sehen, die sich auf der Bühne zum Narren halten. Geld für ein Meet & Greet von Fans zu verlangen, die bereits den Eintrittspreis bezahlt haben, ist verdammt ekelhaft und die Bands, die das tun, sollten sich schämen. Oft scheinen das die Bands zu machen, die sowieso schon ein Vermögen verdient haben.

Die Fans zeigen CLAWFINGER ihre Dankbarkeit mit vollen Konzerthallen und minutenlangen Chorgesängen, zum Beispiel zu "The Price We Pay". Wie empfindet ihr diese Hingabe und Unterstützung? Schließlich habt ihr seit 2007 kein neues Album mehr veröffentlicht.

Wir lieben es und sind dafür sehr dankbar. Obwohl es wahr ist, dass wir seit sehr langer Zeit kein Album mehr veröffentlicht haben, haben wir in den letzten Jahren ein paar neue Songs veröffentlicht und einen Backkatalog mit immerhin sieben Alben, sodass wir immer noch viel Abwechslung und Leidenschaft anbieten können.

Unsere Fans sind extrem engagiert, wie es bei Metal-Fans oft der Fall ist. Wir waren immer sehr stolz auf unsere energiegeladenen Shows, die mit humorvollen Einlagen und direkter Fan-Kommunikation vermischt sind. Deshalb wissen unsere Anhänger auch zu schätzen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um auf der Bühne weiterhin abzuliefern und dafür zu sorgen, dass jeder eine gute Zeit hat.

Ihr habt 2013 eure offizielle Auflösung bekanntgegeben. Was waren die Gründe dafür und was hat euch motiviert, trotzdem weiterzumachen?

Wie gesagt, die Zeiten haben sich geändert, die Branche hat sich verändert und am Ende konnten wir nicht mehr von der Musik leben. Also waren wir plötzlich im 9-to-5-Hamsterrad gefangen und da wird es schwierig, die Zeit und Energie zu finden, die nötig ist, damit eine Band richtig funktioniert. Dazu kamen Familie, Kinder und einfach das Leben im Allgemeinen. Scheiße passiert und man geht damit so gut man kann um und macht mit dem Leben weiter.

Wir hätten uns wahrscheinlich einfach nur eine Auszeit für ein oder zwei Jahre nehmen sollen, statt zu sagen, dass wir die Band auflösen und nie wieder spielen würden – aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Am Ende stellten wir fest, dass wir immer noch gerne zusammen Musik machen und dass wir immer noch eine Live-Band sein und mit den Leuten ausgehen und Spaß haben können, ohne jemandem versprechen zu müssen, wann oder ob wir neue Songs aufnehmen.

Die finanziellen Motive dürften ja eher im Hintergrund stehen: Platten habt ihr keine neuen am Start, die Touren sind eher kurz und an Merchandise bietet ihr ein Shirt in zwei verschiedenen Farbversionen. Wäre da nicht mehr rauszuholen?

Wir zahlen kein Geld dafür, um auftreten zu können, das haben wir in unserer Karriere zu oft getan. Geld spielt also schon eine Rolle für uns. Aber die Tatsache, dass wir immer noch gerne auf der Bühne stehen und viel Spaß an Konzerten haben, ist natürlich genauso wichtig. Die Touren sind kurz, weil wir andere Jobs haben und nur dann spielen, wenn wir vernünftige Angebote bekommen und Zeit haben.

Richtiges Merchandising hatten wir noch nie drauf und wir sind lausige Geschäftsleute. Natürlich könnten wir aus der Band finanziell mehr herausholen und CLAWFINGER wahrscheinlich auch wieder als Vollzeit-Projekt führen. Aber das würde auch wieder viel mehr Arbeit bedeuten und ich persönlich habe daran kein Interesse mehr und auch keine Energie dafür.

Wie verdient ihr euer Geld außerhalb von CLAWFINGER?

Ich arbeite in einer Schule, in der ich tagsüber für einen Aufenthaltsraum verantwortlich bin und nachmittags für die Viertklässler den Junior Club leite. Wir alle haben Jobs und andere Projekte, auch wenn CLAWFINGER immer ein Teil unseres Lebens ist und wir im Alltag ständig an unser Vermächtnis erinnert werden – wenn man es so nennen darf.

Auf eurem großen Bühnenbanner steht: "Rap Metal seit 1993". Warum ist Rap Metal, der seine Blütezeit in den 90er-Jahren erlebte, heute noch relevant?

Diese Bezeichnung war eigentlich nur als Joke gedacht. Unsere Musik wurde schon als Nu Metal, Crossover, Industrial-Techno-Metal und mit jeder Menge anderer seltsamer Bezeichnungen umschrieben und wir interessieren uns wirklich nicht für Genres. Aber Rap Metal fühlte sich wie der traditionellste Oldschool-Name an und wir fanden ihn auf eine seltsame Art und Weise lustig.

Außerdem sind wir stolz auf das, was wir geschaffen haben. Für mich ist eine Genre-Bezeichnung, die ein Musikjournalist für eine Band findet, nur ein Versuch zu beschreiben, wie die Musik möglicherweise klingt. Sie definiert die Band nicht wirklich oder beeinflusst deren musikalische Qualität.

Wenn ich mir eure vor Kurzem veröffentlichte Single „Tear You Down“ anhöre, sind CLAWFINGER vor allem inhaltlich weiterhin relevant. Im Gegensatz zu eurem humorvollen Auftreten habt ihr mit euren Songtexten immer den Finger in die Wunde gelegt und auf politische und soziale Missstände aufmerksam gemacht. Der neue Song bildet da keine Ausnahme und eine Textzeile wie „I’m as rotten as the history that I come from“ impliziert, dass sich die Welt seit eurem Debütalbum „Deaf, Dumb, Blind“ (1993) nicht gerade zum Positiven verändert hat.

Die Welt hat sich in vielerlei Hinsicht verändert. Aber je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie gleich, sodass „Deaf Dumb Blind“ meines Erachtens nichts von seiner Relevanz verloren hat. Für jeden Trump gibt es eine Greta: Idioten scheinen zu kommen und zu gehen, genau wie Menschen, die tatsächlich ihr Gehirn benutzen. Ich bin jedoch in keiner Weise davon überzeugt, dass die Menschheit die intelligenteste Lebensform ist – und deshalb glaube ich auch nicht, dass wir die letzten sein werden, die das Antlitz des Planeten Erde schmücken.

Was die Mischung von Humor und Ernsthaftigkeit bei CLAWFINGER betrifft, so gibt es für mich keinen Widerspruch: Ich gebe gerne gehaltvolle Aussagen von mir und mache auch gerne Witze – das gilt auch für die anderen Bandmitglieder. Und solange Scheiße auf der Welt im Gange ist, haben wir auch einen Grund, das anzusprechen.

Auch euer bekanntester Song „Nigger“ scheint nach mehr als 25 Jahren nichts von seiner Aktualität verloren zu haben …

Das Thema des Songs ist definitiv immer noch relevant, da Rassismus weiterhin ein Problem ist und Menschen immer noch andere Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe beurteilen. Wenn wir den Song in der heutigen Zeit geschrieben und veröffentlicht hätten, wäre der Text vielleicht etwas anders ausgefallen. Aber die Botschaft wäre immer noch dieselbe.

Als wir Nigger 1991 geschrieben haben, waren die Zeiten anders: Ich war ein naiver 20-Jähriger, ich war wütend und ich war leicht verwirrt; ich dachte nicht darüber nach, was ich sagen "durfte" oder nicht. Ich schrieb einfach direkt aus dem Herzen und aus diesem einfachen Grund wird der Song nie ganz an Bedeutung verlieren. Er ist teilweise etwas ungeschickt formuliert und wirkt ein wenig merkwürdig, da wir alle eine rosa und keine dunkle Hautfarbe haben. Nichtsdestotrotz: Der Song ist ehrlich und er ist ANTI-rassistisch!

Ist das nicht auch Grund genug für ein neues Album? Ich bin sicher, dass CLAWFINGER immer noch einiges zu sagen hätten. Denkt ihr darüber nach – oder reicht es euch aus, alle zwei Jahre eine Single zu veröffentlichen?

Die Gründe für ein neues Album wären genug Zeit, gute Song-Ideen und das gemeinsame Gefühl, dass wir noch eine Platte in uns haben. Ich schreibe oder sage nicht gerne Dinge, nur um Schlagzeilen zu machen. Also: Wann immer wir Material haben, das wir für sinnvoll halten und die Wege der Bandmitglieder sich für eine Weile kreuzen, dann werden neue Songs entstehen. Völlig ausgeschlossen ist ein neues Album nicht. Es gibt ein paar Ideen, die herumliegen und wir schicken Dateien hin und her und treffen uns gelegentlich, also wer weiß – aber wartet besser nicht darauf!

Wie geht es mit CLAWFINGER weiter? Habt ihr schon Pläne für 2020?

Wir haben ein paar Club-Gigs für nächstes Jahr gebucht und ein paar Festivals, aber das war's im Moment. Ich bin mir sicher, dass noch ein paar weitere Gigs hinzukommen werden, aber warten wir’s mal ab. Wenn die Termine uns passen und alles Sinn macht, dann spielen wir, wenn nicht, dann eben nicht – so einfach ist das.