Geschrieben von Mittwoch, 25 November 2015 17:21

Shining, Der Weg Einer Freiheit & Imperium Dekadenz - Hamburg, Logo

Verwirrter Geist und einer der besten Frontleute der Musikszene: Niklas Kvarforth von Shining Verwirrter Geist und einer der besten Frontleute der Musikszene: Niklas Kvarforth von Shining Pic von Facebook

Ein „Gefühl des Unbehagens“ wolle er auf seinen Konzerten verbreiten, hat Niklas Kvarforth gelegentlich gesagt. Bei mir hat er das schon ein paar Tage vorher mit Facebook-Fotos vom exklusiv für Deutschland gedruckten Merch geschafft: „Deutsche Legionen“ steht in Frakturschrift auf dem Shirt, auf dem Rücken ein zackiger Adler. Jetzt bin ich erst recht gespannt, ob der SHINING-Chef seinem Ruf, ein Wahnsinniger zu sein, gerecht wird – oder doch nur mit billigen Tricks wie Nazisymbolik schockieren kann.

Hamburg ist die letzte Station der Deutschland-Tour, doch müde scheinen SHINING nicht zu sein. Frontmann Kvarforth schon mal gar nicht: Er gibt Gas. Ein Mensch mit einer selten erlebten Präsenz: Wo sich andere Sänger abrackern müssen, um sich die Aufmerksamkeit des Publikums zu erarbeiten, fliegt sie ihm einfach zu. Vielleicht, weil alle erwarten, fürchten oder hoffen, dass er was Verrücktes anstellt – vielleicht aber auch, weil er zu jeder Sekunde voll bei der Sache ist. Kvarforth performt nicht, er ist er selbst, das ist spürbar.

Von Anfang an sucht er den Kontakt zum Publikum. Er lässt sich Kippen anzünden, schüttet Wein und spuckt Whisky in offene Münder. Einer Frau nimmt er die Kamera weg und bedeutet ihr unmissverständlich: Sieh MICH an, nicht dein Display. Er formt die Finger zur Pistole und knallt seine Fans ab. Er fasst sie an. Er kniet sich hin und starrt ihnen in die Augen. Er überlässt ihnen sein Mikro für einzelne Zeilen und schüttelt nur unzufrieden den Kopf – das reicht nicht, der nächste!

Mag er das? Oder verhöhnt er die, die ihn da anhimmeln? Für eine, die seinen Wein trinkt, fordert er Szenenapplaus und grinst doch nur spöttisch dabei. Ich werde nicht schlau aus ihm. Er spielt mit seinem Image, das ist klar. Gleichzeitig wirkt Niklas Kvarforth immer echt. Unangenehm echt – ich hätte es nicht gedacht, aber tatsächlich steht ihm der Wahnsinn in den Augen. Einmal starrt er in meine Richtung. Ich will, dass er aufhört.

Der Mann steht dabei in interessantem Gegensatz zur Musik. SHINING haben sich schon lange vom (Suicidal) Black Metal entfernt. Kvarforths Musiker spielen die anspruchsvollen, progressiven Stücke professionell, tight und voller Gefühl. Das aktuelle Album „Everyone, Everything, Everywhere, Ends“ steht dabei im Mittelpunkt, aber auch ältere Stücke von zum Beispiel „Född Förlorare“ und „Halmstad“ sind dabei. Zwischendurch verlässt der sonst so egomanische Kvarforth die Bühne für ein Schlagzeugsolo auf „Painkiller“-Basis („You like Judas Priest, Motherfuckers?“) und das ein oder andere Gitarrensolo.

So hat das Konzert durchaus einige Gitarrenhelden-Momente, es endet sogar mit einem – Gitarrist Peter Huss steht auf der Monitorbox und soliert, während hinter ihm sein Chef steht und diabolisch grinst. Doch trotz ihrer überragenden Fähigkeiten verblassen die Musiker doch neben ihrem Sänger. Niklas Kvarforth ist mit seiner Ausstrahlung einer der besten Frontleute, die ich bislang gesehen habe. Er wäre sicher auch als Diktator und Volksverhetzer erfolgreich geworden.

Dass auch die Vorbands blass bleiben, ist da nur logisch. DER WEG EINER FREIHEIT machen ihre Sache gut und liefern eine engagierte, professionelle, auf herkömmliche Art intensive Show im Kunstnebel ab. Als Gast kommt der Schreihals der Hamburger Black Metal-Band NEGATOR für ein Stück auf die Bühne – ebenfalls ein schöner Moment, NEGATOR werde ich mir merken. Zwischendurch folgender Dialog mit meinem Begleiter:

Ich: „Der Drumsound…“
Er: „Ja, total geil!“
Ich: „Total geil? Total künstlich!“
Er: „Ja, genau! Passt richtig gut zur Mucke!“

Irgendwie hat er recht, mich stört es trotzdem.

Absolut recht hat er auch mit seinem Urteil über IMPERIUM DEKADENZ: „Mir schlafen gleich die Füße ein.“ Ich hatte mich auf die Band gefreut, denn ich mag ihren atmosphärischen Midtempo-Black Metal total gerne. Die Truppe liefert mir aber keinen Grund, noch einmal ein Konzert zu besuchen. Wie bestellt und nicht abgeholt stehen die Jungs in Leder auf der Bühne und wirken wie eine Schülerband beim ersten Auftritt. Der Sänger versucht sich an ein paar abgegriffenen Posen: Faust ballen, Hand krallen. Vereinzelte lahme Ansagen machen es nicht besser: „Der nächste Song passt zur Jahreszeit“ – gähn, ich setz' mich an die Theke. Das kommt davon, wenn man sich offenbar keine Gedanken darüber macht, wie man rüberkommen will. Beim letzten Song wird es zwar besser, aber das ist zu spät.

Trotzdem ein denkwürdiger Abend und eines der spannendsten Konzerte, die ich bisher besucht habe. Dass Niklas Kvarforth ein Spinner und verwirrter Geist ist, hat er mir bewiesen. Und dass manchmal gerade die Verrückten die größten Künstler sind, glaube ich jetzt auch.