Geschrieben von Mittwoch, 03 Oktober 2012 13:45

Coma Divine & Henke - Frankfurt / Das Bett

coma divine

02.10.2012 - Das Bett, Frankfurt: COMA DIVINE und HENKE gehen zum zweiten Mal gemeinsam auf Tour. Nicht nur, dass man gemeinsam mehr erreichen kann, sondern die beiden Gruppen passen auch noch wundervoll zusammen. Ein komplettes Konzert von beiden Bands bis halb ein Uhr nachts und im Anschluss noch Aftershowparty, was für ein Abend! Wir waren für euch mit dabei und können nur empfehlen, ran an die Karten – schaut euch das an!


Vom Club „Das Bett" in Frankfurt habe ich noch nie etwas gehört, doch schon vom Namen her kann man auf gemütliche Atmosphäre hoffen. Der Club fasst schätzungsweise 450 Leute und verfügt über alles, was man für einen gelungenen Konzertabend braucht: Toiletten, Bar, Bühne. Noch dazu gibt es in der Nähe von „Das Bett" einen kostenlosen Parkplatz und eine sehr gute Autobahnanbindung. Die nervige Angelegenheit mit der Parkplatzsuche, wie es immer in der Innenstadt Frankfurts der Fall ist, bleibt einem hier erspart. Als wir gegen 20:15 Uhr dort ankamen, standen schon einige Fans vor dem Club, rauchten, tranken und unterhielten sich. Das ist es, was ich persönlich an der schwarzen Szene so mag, was für unfassbar entspannte Menschen.

Gleich rechts neben dem Eingang in den Club war der Stand der Begierde aufgebaut – Fanartikel von COMA DIVINE, HENKE und erfreulicherweise auch von GOETHES ERBEN sowie WHISPERS IN THE SHADOW. Wie zu erwarten war, gab es nicht nur übliche Standardware, sondern phantasievolle, aufwändig gestaltete Dinge von sehr guter Qualität. Man entscheidet sich natürlich leichter für den Kauf, wenn Oswald Henke persönlich mit am Stand steht. Der Altersdurchschnitt lag irgendwo zwischen 25 und 40 Jahren, so dass man davon ausgehen kann, dass einige wie ich schon seit circa 20 Jahren das Schaffen von Oswald Henke verfolgen. Aber wie gesagt, der Goth ist eher von der entspannten Sorte, so dass wilde Kreischereien ausblieben und lediglich freundlich Autogramme gefordert wurden. Dazu ergab sich an diesem Abend mehrmals die Gelegenheit. Leider ist das nicht normal – auf der einen Seite weil die Fans total überreagieren, aber leider auch weil viele Künstler schon regelrecht Angst vor ihren eigenen Fans haben.

Gegen 21 Uhr kamen COMA DIVINE auf die Bühne. Entsprechend der Atmosphäre der Songs war die Bühne eher spärlich ausgeleuchtet, dafür aber mit schnell wechselnden Lichteffekten angestrahlt. Der Sound war hervorragend, aber das war auch dringend nötig, denn die Songs von COMA DIVINE leben ja von den Leistungen der einzelnen Musiker. Sonja Kraushofer hauchte den Liedern mit ihrer Darbietung eindrucksvoll Leben ein. Stellenweise wirkte sie schon fast abwesend, als ob sie das Publikum nicht wahrnimmt, aber genau das macht ihre Performance aus. Gerade bei ruhigen Momenten war es häufig so still im Raum, dass man eine Stecknadel hätten fallen hören können. Wie gebannt starrten die Fans dann auf die Bühne und die Spannung war fast greifbar. Ich ertappte mich auch oft dabei, dass ich tanzbare Momente gar nicht nutzte, da ich verzückt auf die Bühne starrte. Sonja Kraushofer hat diesen ganz eigenen Tanzstil, der mich an eine Gelenkpuppe erinnert, der man die einzelnen Glieder in alle Richtungen biegen kann.

Coma divine celloDie Bandkollegen standen ihr allerdings in nichts nach, Gitarrist Ash drehte sich häufig im Kreis und war auf seinem kleinen Teil der Bühne sehr aktiv. Martin Höfert verausgabte sich ebenfalls vollkommen an seinem Cello. Während er stimmungsvolle Momente trug (verdammt macht Cello eine dicke Gänsehaut, ein sehr intensives, tolles Instrument), konnte er aber auch in schnellen Momenten richtig ausrasten und sich in Ekstase spielen. Da kann sich so mancher Metalgitarrist eine Scheibe abschneiden. Eine sehr mitreißende und optisch sehr ansprechende Darbietung von COMA DIVINE, auch der neue Schlagzeuger spielte fehlerfrei, druckvoll und mit sichtbarer Freude an der Sache.

Besonders kribbelig wurde es, als Sonja am Keyboard die Ballade „Reason To Live" einleitete... die gesangliche Leistung ist zwar schon auf CD perfekt (und zwar perfekt im Sinne von „gut gesungen und auch emotional berührend" und nicht das böse „ich treffe jeden Ton perfekt, könnte aber auch die Steuererklärung singen") wurde live aber noch gesteigert, gepaart mit der Atmosphäre. Viele richteten ihren Blick gebannt auf die Bühne, in solchen Momenten stellten sich sicher nicht nur bei mir die Nackenhaare auf. Auffällig war, dass großartige Mitsingchöre, frenetische Ausbrüche oder ähnliches ausblieben. Sicher hätten viele die Texte mitsingen können und nach den Songs die üblichen Phrasen schreien können. Aber die Fans hielten sich, wie COMA DIVINE selbst, eher bedeckt. Es war einfach nicht angebracht in der Situation... Sonja Kraushofer „moderierte" nicht durch die Songs, sondern bedankte sich kurz oder informierte über die Namen der Lieder. Vollkommen ausreichend.

Vor „Burn Sister" verließ Sonja Kraushofer kurz die Bühne und kam dann mit einer blondgelockten Puppe wieder zurück, die sie in ihre Performance mit einbaute. Ich war der festen Überzeugung, dass sie die Puppe jetzt anzünden wird... Aber gut, man kann auch nicht bei jedem Konzert eine Puppe verbrennen und außerdem hätte es dann im Raum nach verbranntem Plastik gestunken und eine mordsmäßige Sauerei gegeben.

Auch wenn COMA DIVINE nicht mit der Produktion einer zweiten CD begonnen haben, so hatte die Band doch schon einige neue Lieder dabei. Auch die frischen Songs überzeugten sofort und fügten sich harmonisch in die Tracks von „Dead End Circle" ein. Unter den Zuschauern waren auch alte Bandmitglieder von Sonja Kraushofer, die mit COMA DIVINE ja eine ganz neue, musikalisch härtere Richtung eingeschlagen hat.
coma divine burn sister

In der Umbaupause konnte man den Auftritt sacken lassen und die meisten gingen wieder nach draußen. „Das Bett" verfügt über eine Art kleinen Vorgarten, in dem die Betreiber Bänke aufgestellt hatten. Obwohl der Club direkt an einer befahrenen Straße liegt, war man dadurch trotzdem geschützt und abgeschirmt. Hier werde ich sicher noch öfter hinkommen, da ich kleine Konzerte auch viel lieber mag als diese großen Hallen. Die Betreiber sollten lediglich überdenken, ob es sinnvoll ist, Radler und Bier der Marke Adler anzubieten. Die Nachfrage "Radler oder Adler" sorgte für Lacher unter den Gästen, während die Servicekraft Scherze darüber sicherlich schon nicht mehr hören kann ...

Gegen 22:30 Uhr stürmten HENKE die Bühne, die deutlich heller ausgeleuchtet war als bei COMA DIVINE. Was aber sicherlich von beiden Bands entsprechend beabsichtigt war. Es war zu erwarten, dass Oswald Henke auf der Bühne präsent und extrovertiert ist. Doch die Erwartungen wurden bei weitem übertroffen ... Von Sekunde eins an war HENKE komplett da. Die Band hatte einen erstklassigen Sound und es war einfach faszinierend zu beobachten, wie jeder Musiker komplett in der Musik versunken schien und Freude an dem Auftritt hatte. Oswald Henke sprang über die Bühne, schrie den Fans in der ersten Reihe direkt ins Gesicht und allen Anwesenden direkt ins Herz. Selten war ich von einem Auftritt so beeindruckt. Ähnlich wie bei COMA DIVINE konnte ich mich häufig gar nicht rühren und wollte keine Sekunde von dem Schauspiel auf der Bühne verpassen.



henke dasKennt ihr diesen Moment, wenn ihr auf einem Konzert seid und die Künstler in freudiger Erwartung einen „neuen Song vom kommenden Album" ankündigen? Auf der einen Seite freut man sich, aber auf der anderen Seite befürchtet man, dass der Song beim ersten Mal sowieso nicht komplett gefällt und man weiß, dass das dann „auf Kosten" bekannter Songs geht, die man gerne hören würde. Nicht so bei HENKE! Die Band stellte einige Lieder vom kommenden Album „Maskenball der Nackten" vor (erscheint voraussichtlich im Frühjahr 2013) und alle überzeugten mich auf Anhieb, noch bevor die Stücke überhaupt zu Ende waren. Zum Glück habe ich beim Review von „Seelenfütterung" Luft nach oben gelassen ...
 
Bei „Valiumregenbogen" war ich richtig körperlich ergriffen von Text und Darbietung. HENKE gaben sich viel Mühe mit der Inszenierung, zum Song „Rote Irrlichter" war die Bühne konsequenterweise in ein tiefes Rotlicht getaucht. Oswald Henke nutzte die Bühne wie gewohnt komplett aus und bezog jeden in seinen Vortrag mit ein. Im Vergleich zu Sonja Kraushofer war er aber regelrecht geschwätzig und unterhielt das Publikum mit lustigen Ansagen. So erfuhren wir auch, dass Gitarrist Stefan das Thema Ausrüstung für die Tour extrem entspannt anging und der Meinung war, dass man doch keine Ersatzgitarre brauchen würde. Prompt riss ihm kurz darauf bei der Probe eine Saite und das Thema war geklärt. Auch kleine technische Probleme wie „Benni haut die Snare kaputt" wurden von Oswald charmant überbrückt: „Wie viele Saiten hat eigentlich ein Bass?"

Auch das Publikum wurde zu später Stunde etwas mitteilungsfreudiger und einer übernahm das Sprachrohr für alle: „Frankfurt liebt dich... Frankfurt braucht dich". Zum Glück waren auch HENKE mit dem Club sehr zufrieden, so dass man auf eine Wiederholung hoffen darf.

Weiteres Highlight war dann die Rückkehr von Sonja zur Interpretation des David Bowie Songs „Heroes" in der Version von HENKE namens „Helden". Die beiden harmonieren optisch und stimmlich hervorragend miteinander und zauberten wieder einen magischen Moment auf die Bühne, Schlagzeuger Benni trommelte uns ein weiteres Mal in Trance. Gleich im Anschluss gab es eine richtige Perle, denn HENKE und Sonja Kraushofer performten den ARTWORK Song „Liebling der Götter". Zu beiden Performances sagen Bilder mehr als tausend Worte, daher schaut euch am besten einfach das Video an:



Wenn Oswald Henke irgendwo präsent ist, dann darf natürlich auch kein GOETHES ERBEN Song fehlen. Es gab einige an diesem Abend, „Eissturm" zum Beispiel. Ein Titel, der vielen textlich sehr nahe ist und der erste Moment, bei dem einige die Augen schlossen und einfach tanzten. Ein traumhaft schöner Song! Gegensätzlicher als „5 Jahre" vom ersten GOETHES ERBEN Album, den es auch noch zu hören gab, konnte es danach kaum sein. Oswald wirbelte mit verschwitzten Haaren in Irrenjacke über die Bühne, und auch hier ist wieder jedes Wort zu viel und jede Beschreibung nicht treffend, von daher am besten selbst gucken:


Im Anschluss an den Song gab Oswald zu bedenken, dass er wohl zu alt sei für GOETHES ERBEN Lieder und sicherlich morgen wieder überall blaue Flecken haben werde. Schön zu sehen, dass Herr Henke noch so agil wie eh und je über die Bühne fegt und noch genau den gleichen Spaß (oder noch mehr?) wie in den Anfangstagen hat. Die obligatorischen Zugaben ließen sich übrigens weder COMA DIVINE noch HENKE nehmen. Ich werde es nie verstehen, das alte Spiel „Band geht weg, Publikum ruft Zugabe und Band kommt dann wieder", besonders bei HENKE war es so kurz, dass man das Gefühl hat, die Band geht einmal backstage, läuft um den Tisch und kommt wieder rein.

Grandios war auch noch der Song „Ein Jahr als Tag", damit brachen HENKE wieder mit einer unausgesprochenen Regel. Wer einen langsamen Song zu so später Stunde, es muss schon Mitternacht gewesen sein, spielen kann und damit mehrere Leute zu Tränen rührt, der macht einiges richtiges. Das ist eben der Unterschied zwischen Prittstift Spears und Bands wie HENKE und COMA DIVINE. Oswald Henke wiederholt in diesem Song über sehr lange Zeit einen Vierzeiler, der aber inhaltlich so treffend ist und von ihm so packend ausgesprochen wird, dann man wie vom Blitz getroffen ist. Bassist Tom Bola strich einem Mädchen in der ersten Reihe tröstend über die Wange, die ganz fertig war von der Performance.

Obwohl HENKE mehrere Zugaben spielten, konnte Frankfurt nicht genug bekommen. Doch irgendwann kam von Oswald ein bestimmtes "Nein!" und gleich darauf ein "Hallo?", da er unsere Gier wohl nicht fassen konnte. Als ob es nicht schon intim genug gewesen wäre, rückten wir für den letzten Song nochmals alles zusammen. Ich kenne den Titel nicht, das Lied ist wohl auch als letzter Song des kommenden HENKE Zweitling gedacht und erinnerte mich textlich und von der Stimmung her an "Herbstkinder" vom aktuellen Album "Seelenfütterung". Noch ganz eng und ganz nah beschlossen Publikum und Band den Abend mit ruhigen Klängen.

outro-henke

Insgesamt war es ein faszinierender, intensiver Abend. Wir bekamen dramatische, traurige, fröhliche, melancholische und auch depressiv stimmende Momente geboten. Laute Musik, leise Musik, vielfältiger Instrumenteneinsatz bei beiden Bands: ein kräftezehrendes, aufwühlendes und eindrucksvolles Konzert der ganz anderen Art. Ich appelliere nicht nur an die schwarze Szene – schaut euch das an! Die Karte ist wahrlich nicht teuer für die Dauer und die wuchtigen Auftritte, die man dafür geboten bekommt. Dafür lassen sich andere ein Wunschkennzeichen für ihr Auto machen ...

Selten stehe ich nach einem langen Arbeitstag und 100 Kilometer Anfahrt nachts um halb eins vor der Bühne und wäre bereit, mir genau das Set nochmals anzuhören. Ich bin bei der nächsten Gelegenheit definitiv wieder dabei. Die nachhaltige Darbietung der Künstler hat zweifellos mehr Aufmerksamkeit und somit auch mehr Zuschauer verdient!

Was für ein Tourauftakt ... wer dabei sein möchte, hat zu folgenden Daten noch die Gelegenheit:

03.10.2012 Rostock - Mau Club
04.10.2012 Berlin - K17
05.10.2012 Glauchau - Alte Spinnerei
06.10.2012 Szene - Wien

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