Avatar - Hunter Gatherer Tipp

Avatar - Hunter Gatherer
    Melodic Death Metal

    Label: Century Media
    VÖ: 07.08.2020
    Bewertung:8/10

    Avatar im Web


Zwei Jahre ist es her, dass AVATAR mit Veröffentlichung ihrer Scheibe „Avatar Country“ kurzerhand ihren eigenen Staat ausriefen. Bei den folgenden Touren sowie in einem Kurzfilm präsentierten die Schweden der Welt ihren allmächtigen König, Gitarrist Jonas „Kungen“ Jarlsby. Angekommen im Jahre 2020 existiert Avatar Country zwar immer noch im Hintergrund, muss jedoch die Bühne für eine dystopische Zukunftsvision frei machen: „Hunter Gatherer“.

The Clowns are back in Town

„Hunter Gatherer“ beginnt so, wie sich jeder eine gute Dystopie vorstellen würde – aggressiv, brachial und kompromisslos. „Silence In The Age Of Apes“ zeichnet das Bild einer düsteren Welt, auf die wir gerade zusteuern, in der Menschlichkeit von Technologie abgelöst wurde. Mit einer warnenden Sirene stampft der „Colossus“ herein und lässt wieder einmal die Groove-Metal-Einflüsse der Band durchblicken. Begleitet von einem sirenenhaften Prä-Chorus gipfelt der Song in den vielen „Colossus, arise!“-Rufen, bei denen Sänger und Frontclown Johannes Eckerström von niemand geringerem als Corey Taylor unterstützt wird.

Das ist aber noch längst nicht alles, was auf „Hunter Gatherer“ vom SLIPKNOT Frontman zu hören ist. Song Nr. 3 des Albums, „A Secret Door“ beginnt mit einer von TAYLOR gepfiffenen Melodie, die an die Werke des kürzlich verstorbenen Ennio Morricone ("Spiel mir das Lied vom Tod") erinnert. Aufgebaut wird dieser mit über sechs Minuten Spieldauer längste Song des Albums durch ein Wechselspiel von im Hintergrund plätschernden Gitarren und vordergründigen Kracher-Riffs. Der eingängige Chorus, bei dem Eckerström ebenfalls wieder Background-Unterstützung von Corey Taylor bekommt, lädt gleichermaßen zum Mitsingen und Headbangen ein.

„I Am The God Of Sick Dreams“ sagt schon alles, was man über den gleichnamigen Song wissen muss. In „Hail The Apocalypse“-Manier prescht der Song mit einem melodisch groovigen Riff voran, welches sich nach gut einer Minute Intro in einen Headbangersong der Extraklasse verwandelt.

Die beiden Gitarristen Jonas „Kungen“ Jarlsby und Tim Öhrström liefern auf „Hunter Gatherer“ nicht nur exzellente Riffs, sondern auch erstklassige Soli ab. Besonders hervorzuheben ist das für AVATAR charakteristische Wechselspiel von Lead- und Rhythmusgitarre zwischen Jarlsby und Öhrström, welches auf „Hunter Gatherer“ wieder einmal geschickt mit den Erwartungen der Hörer spielt.

Mit dem sehr melodiösen und eingängigen „Scream Until You Wake“ ist die Halbzeit erreicht und das Album "ruht sich ein wenig aus". Dass man aus „Scream Until You Wake“ noch mehr hätte machen können, steht außer Frage, die ausgefeilten Soli beider Gitarristen geben dem sonst etwas platten Song dann aber doch etwas Farbe.

Die Menschheit auf dem Prüfstand

Die zweite Hälfte beginnt genau wie die erste, mit einem Kracher und dem wohl stärksten Song des Albums: „Child“ handelt von einem Kind, dessen Mutter lebendig begraben wird. Harter Tobak, verpackt in einer spielerischen Melodie mit ein wenig Grusel. Hier kommen auch Fans der tieferen Töne auf ihre Kosten, wenn Bassist Henrik Sandelin hier und da die musikalische Führung übernimmt.

„Justice“ besitzt, was „Scream Until You Wake“ gefehlt hat – einen eigenen Charakter. Der gesprochene Mittelpart verleiht dem ansonsten sehr eingängigen Song Tiefe und fängt die Konzentration des Hörers wieder ein. Nicht zu verachten ist neben den exzellenten Gitarrenparts das Drumming von John Alfredsson, der mit Präzision und Prägnanz das gesamte Album hinweg das stabile Gerüst bildet, auf dem alles ruht.

AVATAR sind keine Band, von der man es gewohnt ist, Balladen zu hören. Der letzte etwas balladenähnliche Song war „Tower“ vom Album „Hail The Apocalypse“, wenn auch dieser keine Ballade im klassischen Sinne war. Auf „Hunter Gatherer“ versucht sich das Göteborger Quintett an einem Song, der zumindest wie eine Ballade klingen soll:

Johannes Eckerströms extrem wandelbare Stimme liegt über einem einzelnen Klavier, einem ebenso selten gehörten Instrument im Repertoire der Schweden. Später stoßen noch ein paar Streicher dazu und geben „Gun“ ein noch balladigeres Feeling. Auch wenn der Song musikalisch völlig aus dem Rest hervorsticht, arbeitet er Eckerströms Stimme auf einzigartige Weise heraus und besonders für Hörer, die mal etwas Beruhigung zwischendrin brauchen, ist der Song etwas.

Zu viel Ruhe darf dann aber auch nicht sein und „When All But Force Has Failed“ haut umso stärker wieder rein. Auch wenn die Fünf hier offiziell einem Konzept entsagt haben, ist doch über die volle Bandbreite des Albums zu erkennen, dass es ganz ohne Message für die Menschheit nicht geht ... denn so weit ist die von AVATAR gezeichnete Dystopie von uns nicht entfernt. Die Songs „Chid“, „Gun“, „Colossus“ und „When All But Force Has Failed“ illustrieren das im Besonderen.

Das abschließende „Wormhole“ ist noch einmal eines der Highlights des Albums. Der Song fühlt sich beklemmend an, so, als würde man aus dem Wurmloch, in das man scheinbar gerade hineingeraten ist, nie wieder herausfinden. Das physikalische Konzept des Wurmlochs kommt hier jedoch eher aus populären Werken der Science-Fiction als aus der eigentlichen Wissenschaft. Tut dem Song zwar keinen Abbruch, aber, um Sänger Johannes Eckerström aus einem Interview zum 2016 erschienenen Album „Feathers And Flesh“ zu zitieren, „This is not how astronomy works.“

Fazit

Mit „Hunter Gatherer“ haben AVATAR ein Werk geschaffen welches nahtlos an ihre bisherige Diskografie anknüpft. Es ist anders als alles, was sie vorher gemacht haben, aber genau dafür sind die Schweden ja bekannt und beliebt. Von krachend bis ruhig, von groovy bis melodiös ist auf „Hunter Gatherer“ alles dabei, was ein gelungenes Metalalbum ausmacht. Nach ihren zwei – zweifelsohne erstklassigen – Konzeptalben kommt „Hunter Gatherer“ wie ein frischer, die Hitze durchbrechender Regen im Sommer daher. Ein düsteres, unheimliches Album mit Ohrwurmfaktor, hohem Live-Potential und einer gar nicht so unwichtigen versteckten Message.

Songempfehlungen:

  • Child
  • Colossus
  • Wormhole

Trackliste:

  1. Silence in the Age of Apes
  2. Colossus
  3. A Secret Door
  4. God of Sick Dreams
  5. Scream Until You Wake
  6. Child
  7. Justice
  8. Gun
  9. When All But Force Has Failed
  10. Wormhole

AVATAR sind:

Johannes Eckerström – Vocals
Jonas „Kungen“ Jarlsby – Guitars
Tim Öhrström – Guitars
Henrik Sandelin – Bass
John Alfredsson – Drums