Boysetsfire - The Misery Index: Notes From The Plague Years


Review

Stil (Spielzeit): Post-Hardcore / Rock (50:48)
Label/Vertrieb (VÖ): Burning Heart / SPV (VÖ: 24.02.2006)
Bewertung: nett, aber kein Meisterwerk (5/10)

Link: http://www.boysetsfire.org

Es gab einmal eine Zeit, da waren BOYSETSFIRE die Konsensband des Hardcore: Wenn „After The Eulogy“, der 2000er Meilenstein des Quintetts aus Delaware, die Tanzflächen füllte, lagen sich Emosofties und knallharte Mosher selbstvergessen in den Armen. BOYSETSFIRE hatten es geschafft, Genregrenzen aufzubrechen, waren über Nacht Vorreiter und Referenzgröße einer musikalischen Bewegung geworden, die sich traute, bis dato unvereinbare Stile zu etwas gänzlich neuem zu vermengen. Die Band war zwischen allen Stühlen zuhause, und dafür liebte man sie... bis zu ihrem auf CD gepressten Sündenfall, dem ach so enttäuschenden „Tomorrow Come Today“ von 2003. Unter dem Radar der Szenepolizei waren BOYSETSFIRE beim bösen, bösen Major gelandet und machten plötzlich Musik, über die der integere Punk nur noch verächtlich die Nase rümpfen konnte: zu glatt, zu new-rockig – zu mainstream. Der Erfolg als nächstes großes Ding blieb aus, und für eine Weile wurde es auffällig ruhig um die Band.

Als dann im vergangenen Jahr die ersten Meldungen über ein neues Album die Runde machten, horchte die verstimmte Fangemeinde hoffnungsvoll auf: Härter sollte das neue Material geworden sein, rauer und kompromissloser, wie damals, in den „guten, alten Zeiten“. Nach dem Wechsel vom Sony-Sublabel Epic zur Indie-Qualitätsmarke Equal Vision existierte jetzt zudem ein angemessener Rahmen für die Heimkehr in die offenen Arme der vergebungswilligen Szene. Alles sollte gut werden. Nein, alles sollte ganz anders kommen.

Denn wer sich von „The Misery Index: Notes From The Plague Years“ ein zweites „After The Eulogy“ erhoffte, wird bitterlich enttäuscht sein. Sicher, hier und da scheint wohldosierte Härte durch, wie in „Final Communiqué“ oder dem chaotischen „A Far Cry“. Im großen und ganzen aber schwingen auf dem neuen Longplayer Pop und Pathos das Zepter – „Tomorrow Come Today Reloaded“ sozusagen, nur dass man sich hier noch ein ganzes Stück weiter aus dem Fenster gelehnt hat als auf dem ungeliebten Vorgänger (den ich übrigens entgegen der landläufigen Meinung für recht gelungen halte). Schon der Opener „Walk Astray“ verwirrt anfangs mit Akustikgitarren und Creed-eskem Geknödele, bis er nach einer guten Minute schließlich doch noch zu einem veritablen Rocker mutiert. „Requiem“, „Empire“ und das herrlich beschwingte „Deja Coup“ sind Ohrwürmer, wie sie im Buche stehen, und der großartige Crossoverkracher „So long... And Thanks For All The Crutches“ – der beste Song des Albums – überrascht im Refrain mit unverschämt launigen Bläsersätzen. Dass „The Misery Index...“ dennoch kein Überflieger geworden ist, ist dann wohl vor allem der Tatsache geschuldet, dass BOYSETSFIRE hier bei aller Spielfreude schlussendlich an ihre musikalischen Grenzen gestoßen sind. Viele Songstrukturen – inklusive der im Übermaße verwendeten Samples aus historischen Reden und Predigten – wirken beinahe schablonenhaft, und nach dem hundertsten moralinsauren Sinnsprüchlein entwickelt Nathan Grays stets erhobener Zeigefinger auch einen gewissen Nervfaktor. Zudem sind manche Passagen für meinen Geschmack doch ein wenig zu schwülstig geraten.

Unterm Strich bleibt ein solides, manchmal etwas unentschlossenes Album mit einigen herausragenden Momenten, das die Fans wieder einmal in zwei Lager spalten dürfte. Eine Ausnahmeband sind BOYSETSFIRE zumindest nicht mehr – eher guter Durchschnitt. Aber auch der will gekonnt sein.