Aus meinem Germanistik-Studium weiß ich, dass man sich von der Buchvorlage lösen muss, um eine filmische Interpretation für sich betrachten zu können. Das ist vielleicht der Anspruch, den man an sich selbst haben sollte, realistisch ist er meiner Meinung nach allerdings nicht. Wer die literarische Vorlage kennt, wird diese immer mit dem filmischen Ergebnis vergleichen. Bei "Verblendung" stehen Kenner der Romane und der schwedischen Verfilmung nun aber vor einem noch größeren Problem: Finchers Version muss sich nicht nur Vergleiche mit der Romanvorlage, sondern auch der schwedischen TV-Produktion gefallen lassen.
Vergleichen sollte man nicht, man tut es aber trotzdem unweigerlich. Deshalb ist der Anspruch, alle Versionen unabhängig voneinander und für sich alleine zu beurteilen, zwar löblich, aber nicht realistisch. Unter diesem Gesichtspunkt habe ich Finchers "Verblendung" gesehen, und natürlich bringe ich die Hollywood-Verfilmung mit der schwedischen Verfilmung in Verbindung. Die ist für mich ganz einfach die bessere, vor allem in der noch detaillierteren, erweiterten Fassung.
Noomi Rapace gibt als Lisbeth Salander eine ansehnlichere, hübschere Figur ab. Das kann man natürlich vortrefflich kritisieren, und in Finchers Version kommt Rooney Mara der Figur im Buch rein äußerlich vielleicht näher. Trotzde bringe ich mit Lisbeth immer Noomi Rapace in Verbindung, die wandlungsfähig ist und auf mich viel mehr den Eindruck der Rebellin, vom Leben immerzu enttäuschten, aber trotzdem starken Frau macht. Ihre Darstellung ist für mich überzeugender, ihre Art einfach passender.
Die Vergewaltigungsszene ist in beiden Filmen toll gespielt, die Rolle als Rächerin nimmt man Rapaces Lisbeth jedoch eher ab. Vor allem gegen Ende des Films (nach der Folterszene, Stichwort brennendes Auto) sieht man förmlich die stahlharte Genugtuung in Lisbeths Augen, ihren Willen, nicht zur Hilfe zu eilen – ihre Rache an einem "Verbrecherschwein", wie sie sich ausdrücken würde. Das macht sie trotz ihres hübschen Äußeren, das man durch all die Tattoos und Piercings immer erkennen kann, meiner Ansicht nach noch gefährlicher. Sie ist gleichzeitig verwundbar und unheimlich selbstbewusst.
In der schwedischen Verfilmung kommt generell mehr Spannung auf, vor allem am Ende schlägt einem das Herz bis zum Hals. Das Tempo ist gehetzter, vieles liegt lange im Dunkeln, man vermutet, dass irgendwas nicht stimmt, die Auflösung ist gelungener als in Finchers Remake. Und trotz des Hochglanz-Looks, der wunderschönen Landschaftsaufnahmen im verschneiten Schweden und des sehr gelungenen Soundtracks, an dem Trent Reznor (NINE INCH NAILS) beteiligt war, kommt mir die schwedische "Verblendung" düsterer und abgründiger vor. Trotzdem ist sie zugleich emotionaler und menschlicher: Wie sehr sich Lisbeth um ihren Vormund kümmert, wird in der schwedischen Produktion viel deutlicher. Wie sehr sie von Mikael letztendlich enttäuscht wird, leider nicht – einer der wenigen Punkte, in denen Finchers Film meiner Meinung nach zutreffender ist.
