My Dying Bride - For Lies I Sire Tipp




Stil (Spielzeit): Gothic - / Death Doom Metal (1:03:14)


Label/Vertrieb (VÖ): Peaceville (27.03.09)
Bewertung: 8,5 / 10
Link: www.mydingbride.org


Vorab: wenn es bei einem Musikgeschmack über diverse Metalsparten hinweg überhaupt Sinn macht, von „der Lieblingsband“ zu sprechen, dann sind dass bei mir wohl MY DYING BRIDE.

Klar also, dass ich nach dem (aus meiner Sicht) absoluten Tiefpunkt ihrer Historie, „A Line of Deathless Kings“, leicht kribbelig war, als ich „For Lies I Sire“ in den Schlitz schob.

#1) Und der Einstieg„My Body, a Funeral“ erwischt mich, obwohl ich mit allem rechne und es ein Song ist, der nur von MDB sein kann, auf dem völlig falschen Fuß. Damit hätte ich nach dem Vorgängeralbum dann doch nicht gerechnet!

Ein Song, der in seiner extrem betonten Melodik eigentlich auch auf meinem Fave „The Angel and the Dark River“ hätte sein können… ein dezentes, akustisches Vorspiel unterlegt für die ersten Minuten einen nicht weniger dezenten Sprechgesang der schönsten und intensivsten männlichen Stimme im Death Doom, bis Stainthorpes Vortrag von zwei harmonischen Gitarren und der Violine, die viele so lange so sehr vermisst haben, auf eine dramaturgisch höhere Stufe gewuchtet wird.

[Die Violine: sie hat erst einmal so gar nichts Eigenes. Und das soll ein Riesenkompliment sein. Sie hat original die Klangfarbe und Schönheit, mit der Martin Powell damals seinen Teil zu den größten Momenten der Band beigetragen hat. (Verantwortlich ist Katie Stone, seit letztem Jahr Ersatz für Sarah Stanton, also auch für die Keys zuständig.) Im Laufe des Albums und sogar noch während des Tracks aber zeigt sie, dass sie nicht als reiner Powell-Klon eingestellt wurde.]

Ein rundherum schönes Stück Musik, dass in Sachen Dramatik noch einige Tacken zulegt. Aber niemals wirklich hart oder gewalttätig wird. Es bleibt dezent (,) tragisch und schön. Etwas anders also als ältere Perlen wie „Cathrine Blake“ oder „My Hope, the Destroyer“, deren Schönheit regelmäßig an aggressiven Eruptionen zerschellte.

#2) Und damit wird man ganz gut auf das eingestellt, was noch kommen wird. Im Positiven wie Negativen… „Fall with Me“ ist dann eine Nummer härter, aber brutal wird’s auch diesmal nicht. Tragend sind MDB-typische Death Doom Riffs im unteren Geschwindigkeitsbereich und ein schönes Lead, das einmal solo und langsam und dann zweistimmig und schneller gespielt wird, und etwas nach tiefergelegten MAIDEN klingt, die Stimmen also um eine Terz versetzt. Nicht schlecht die Nummer, aber für MDB-Verhältnisse etwas unspektakulär.

#3) Dann wird’s gut heavy. „The Lies I Sire“ lebt aber vor allem von der elegischen Schönheit Stainthorpes Stimme und Craighans Vorstellungen, was denn geiles, gefühlvolles Gitarrenspiel auszeichnet. Und die Violine mischt sich wieder ein. Aber langsam fällt auf: keinerlei Blasts, kein wütend rausgerotztes Growling, und die Dramaturgie schwächelt für MDB-Verhältnisse etwas. Dafür ist der Refrain zum Niederknien.

#4) „Bring me Victory” ist ungewöhnlich groovy und drum-orientiert. Aber auch ungewöhnlich seicht. Man mag von „34.788%... Complete“ halten was man will, aber eine so – tendenziell – unambitionierte Nummer hat man da nicht gehört. Ich fühle mich hier unangenehm an den „Reiferprozess“ von PARADISE LOST erinnert. Was nicht zuletzt an dem relativ harmlosen Gesang liegt, der sich an englischen Goth-Rockern orientiert.

#5) „Echoes from a Hollow Soul“ geht mit einer wunderschönen Gitarrenlinie los, die in einem so schönen wie schweren Piano-Spiel einmündet. Das seinerseits wiederum von noch schöneren Gitarren abgelöst wird, bis Aaron daher kommt mit seiner schönen Stimme… Kurzum: Der Track ist ein halbelegischer, romantischer Traum. Aber mir fehlt einfach der Kontrast, die Biss und etwas von der Magie älterer Scheiben…

#6) Und … es geht erst mal so weiter: Aaron singt den Refrain von „Shadowhaunt“ erstaunlich hoch und in der Melodieführung riecht’s ein bisschen nach “The Sabbs“ mit jungem Ozzy. Eine tolle Nummer mit interessantem Intermezzo. Und verzerrter Violine. ( Sie klingt wie ein Zwitter aus Cello und Stromgitarre). Richtig klasse. Aber wieder „nur“ verdammt schön.

#7) Aber dann. „Santuardio di Sangue“. Ein Blastbeat…. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich auf einem MDB-Album je über so primitives Gerödel freuen würde. Der Gesang… Teufel auch! Er ist schwarz. Richtig Schwarz. Und. Böse. Endlich ein echter Kontrast. Dazu dezente Gregorianik... Das können zwar polnische Atmosphären-Black-Metaller ebenso gut, aber das habe ich nach so viel ungezügelter Schönheit gebraucht.

##8 &9) Gehen wieder in die vorherige Grundrichtung „ verflucht schön, aber tendenziell unmajestätisch“; deshalb breche ich hier ab und versuch mich am Fazit:

„For Lies I Sire“ stellt eine mittlere Überraschung dar. Es ist ein extrem (sorry!:) schönes Album. Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dass sich MDB nochmals so sehr auf ihre Grundstärke besinnen würden. Und das liegt nicht allein an der Reanimation der Violine. Insofern übertrifft es alle Erwartungen: Ginge es nur um Schönheit, dann stellte das Album alle bisherigen in den Schatten. Die 12 auf der 10er-Skala.

Von „seiner Lieblingsband“ sollte man aber etwas mehr verlangen. „For Lies I Sire“ ist bei soviel Schönheit etwas kontrastarm und glatt ausgefallen. Es gebricht ihm dadurch an Erhabenheit, Tiefgang und der metaphysischer Kraft, die die wahren Meisterwerke der Band auszeichnen. Aber bitte, das ist alles relativ: von Happy Metal sind Yorkshires Chefmelancholiker noch immer meilenweit entfernt.

Noch schwanke ich zwischen Begeisterung und dezenter Enttäuschung. Die fließende Grenze zwischen mächtigem Death Doom und schönem Gothic Metal jedenfalls hat die Band noch nie so eindeutig in Richtung „Gothic“ überschritten.

Trotz allem: objektiv ein geiles, extrem schönes Album, dass das Zeug hat, ein breiteres Publikum anzusprechen, während manch alte Fans, (und nicht nur die, die „Turn Loose…“ und „As the Flower…“ zum Besten der Band zählen) vielleicht ein Auswimpen befürchten könnten. Das täuscht. Gemessen an „34…“ bleibt sich die Band doch relativ treu. Zumal sich der kritische Eindruck mit jedem Umlauf immer weiter verschleift…und eine der Stärken der Band ist es ja, sich nie selbst zu kopieren…