Uli Jon Roth - Tokyo Tapes Revisited: Live In Japan

Uli Jon Roth - Tokyo Tapes Revisited: Live In Japan

Man kann einem Musiker wie ULI JON ROTH leicht vorwerfen, sich auf den Lorbeeren der Vergangenheit auszuruhen. Sein letzter Studio-Output waren Neuaufnahmen von SCORPIONS-Klassikern, jetzt folgt mit "Tokyo Tapes Revisited: Live In Japan" eine Quasi-Wiederaufführung der Show, die seine ehemalige Band vor knapp 40 Jahren für ihr legendäres Livealbum "Tokyo Tapes" mitgeschnitten hat.

Am 20.02.2015 gastierte ULI JON ROTH in der Nakano Sun Plaza Hall in der japanischen Hauptstadt Tokyo. Auf "Tokyo Tapes Revisited: Live In Japan", das als DVD bzw. Blu-ray mit 2 CDs, Digital Download und Boxset erscheint, finden sich in 2 ½ Stunden Spielzeit 19 Songs: 18 mal mehr, mal weniger bekannte SCORPIONS-Songs aus den Siebzigern sowie das Cover "All Along The Watchtower" (JIMI HENDRIX bzw. BOB DYLAN), dargeboten ohne Effekthascherei, mit minimalistischer Lichtshow, aber einer großartigen Spielfreude der Musiker.

Uli Jon Roth rifft und soliert wunderbar flüssig und gefühlvoll, in manchen Songs allerdings auch ein bisschen zu viel, übernimmt zwischendurch die Vocals und hat sichtlich Spaß daran, sich mit begabten Musikern durch Songs wie "All Night Long", "The Sails Of Charon", "Virgin Killer", "We'll Burn The Sky", "Fly To The Rainbow" (inklusive der "Rainbow Deam Prelude") "In Trance", "Polar Nights"  oder "Catch Your Train" zu zocken - allesamt SCORPIONS-Nummern, die den etwas älteren Fans der Hannoveraner das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen. Immer wieder duelliert er sich insbesondere bei den mehrstimmigen Soli und Leads mit David Klosinski und Niklas Turmann, die ebenfalls absolute Könner an der Sechssaitigen sind. Nathan James am Mikro singt die alten Klassiker extrem gut und voller Inbrunst, Ule W. Ritgen am Bass, Corvin Bahn an den Keyboards und Drummer Jamie Little geben die unaufgeregte, tight aufeinander abgestimmte Rhythmusfraktion.

Das Bild der DVD ist gut, wenngleich das der Blu-ray allein aus technischen Gründen noch eine ganze Ecke schärfer sein wird. Eine opulente Lightshow wird nicht geboten, die Musiker konzentrieren sich ganz auf ihr Können. Das Bild ist deshalb an einigen Stellen recht dunkel. Der Schnitt ist im Gegensatz zu 90 % aller heute erscheinenden Live-DVDs ruhig und bedacht. Natürlich wird auch hier hin und wieder schnell umgeschaltet, doch größtenteils bleiben die Musiker auch mal länger als nur eine halbe Sekunde im Bild, bevor die nächste Einstellung kommt. Einzig vom Publikum sieht man nicht allzu viel.

Der Sound der DVD liegt als Stereo-Spur und in Dolby Surround vor; beide Tonformate transportieren das Livefeeling gekonnt ins Wohnzimmer. Im Tiefton-Bereich könnte der Klang mehr Wumms vertragen; überhaupt klingt es ein wenig dünn, wenn die ganze Band spielt. Die Soli und Effekte hingegen machen im 5.1-Mix wirklich Spaß; nicht nur das Publikum, auch die Instrumente kommen aus den hinteren Boxen. Der Sound der CDs geht ebenfalls in Ordnung, klingt allerdings ein wenig kraftlos.

So weit, so gut. Wer sich im Titel an einer legendären Rock-Livescheibe orientiert, muss sich allerdings Vergleiche zum Original gefallen lassen. Und da zieht ULI JON ROTHs Interpretation eindeutig den Kürzeren: Zum einen fehlen in der Setlist schnelle Rocker der Marke "Steamrock Fever" und "He's A Woman, She's A Man". Zum anderen ist der Sound auf "Tokyo Tapes" von den SCORPIONS knackiger, fetter und trotz seines Alters frischer. Die Gitarren sind schärfer, obwohl "nur" zwei eingesetzt werden, das Publikum ist deutlich besser zu hören, die Songs kommen schneller auf den Punkt, der junge Klaus Meine klingt phänomenal.

Für Altfans der Hannoveraner und Liebhaber ausladender Gitarrensoli dürfte ULI JON ROTHs Livealbum einen Pflichtkauf darstellen, da "Tokyo Tapes Revisited: Live In Japan" den Saitenvirtuosen in außergewöhnlich guter Form zeigt und Songs zum Zuge kommen, die nicht auf "Tokyo Tapes" standen. Wer die teils progressiven Rock-Nummern der SCORPIONS-Frühphase noch nicht kennt, sollte jedoch erst einmal zum formidablen "Tokyo Tapes" greifen, das im letzten Jahr als "50th Anniversary Edition" erschien.