Geschrieben von Mittwoch, 04 März 2015 13:56

36 Crazyfists – Interview mit Sänger Brock Lindow zum Album „Time And Trauma“

Wenn uns die 36 CRAZYFISTS aus dem fernen Alaska nach fünf Jahren Abwesenheit endlich mal wieder einen Besuch abstatten, nehmen wir dies natürlich sofort zum Anlass, ihren Sänger Brock Lindow vor der Show im ausverkauften Hamburger Hafenklang mit einigen Fragen zu löchern. Nach einer derart langen Pause gibt es viel zu besprechen und Brock nimmt sich die Zeit, ausführlich über die sehr persönlichen Lyrics des neuen Albums "Time And Trauma", die neue Plattenfirma Spinefarm, das Verhältnis zu seinen Fans und auch über seine Meinung zum kontroversen Titel des aktuellen Films "American Sniper" zu sprechen. Aber lest selbst, was den sympathischen Riesen in den letzten Jahren alles so bewegt hat.

Schön, Euch endlich mal wieder in Hamburg begrüßen zu können. Es ist viel zu lange her! Das letzte Mal, als ich Dich im Rahmen eines Konzertes hier in Hamburg interviewt habe, war im März 2009.

Ja, Du hast absolut recht. März 2009?! Dann sind es ja sogar mehr als fünf Jahre.

Wofür habt Ihr diese Auszeit genutzt?

Eigentlich nicht für viel. Wir haben uns eine Pause gegönnt, um unsere Akkus wieder aufzuladen. Das Schreiben des neuen Albums hat diesmal zweieinhalb Jahre gedauert, was für uns mega lang ist. Ich wollte einfach eine Zeit lang wieder ein „normales“ Leben führen. Weißt Du, mein Bassist und ich haben beide unsere Mütter verloren und da wollten wir bei unseren Familien sein. Das sind so die Hauptgründe, warum wir so lange von der Bildfläche verschwunden waren.

Absolut verständlich. Wie läuft denn die aktuelle Europatournee bisher?

Es war der Wahnsinn! Es ist so schade, dass in drei Tagen alles schon wieder vorbei ist. Wir hatten mega viel Spaß, besonders auch durch unseren Supportact „All Hail The Yeti!“ – die Jungs sind so super. Wir haben uns fast täglich hysterisch übereinander schrott gelacht, daher wird die Tour sicherlich ein bittersüßes Ende nehmen. Die Zeit ist uns davongerannt.

Hast Du das Gefühl, dass Euch Eure langjährigen Fans die Treue gehalten haben und die Konzerte der aktuellen Tour besuchen?

Definitiv – ich habe etliche bekannte Gesichter wiedergesehen.

In unserem letzten Interview hast Du erwähnt, wie zufrieden Ihr mit Eurem damaligen Label Ferret wart. Weshalb seid Ihr mit Eurem neuen Album „Time And Trauma“ zu Spinefarm gewechselt?

Nachdem Universal Roadrunner und Ferret gekauft hat, hat sich sehr viel verändert. Ich glaube, Ferret gibt es mittlerweile noch nicht einmal mehr. Wir kannten einige Leute bei Spinefarm aus alten Roadrunner-Tagen, wie beispielsweise den Chef und auch jemanden aus dem Marketing. Der Chef der US-Niederlassung von Spinefarm war nämlich früher auch der US-Roadrunner Chef und der Typ aus dem Marketing war früher für das Marketing bei Ferret zuständig.

Als die Demos von „Time And Trauma“ fertig waren und wir unsere Fühler ein wenig ausgestreckt haben, hatten wir sechs oder sieben interessierte Labels, die das neue Album veröffentlichen wollten. Irgendwie hat sich das mit Spinefarm am besten angefühlt und die Jungs haben bisher wirklich einen großartigen Job gemacht. Keins der vorherigen Alben ist in der ersten Woche so hoch in die Charts eingestiegen und wir haben noch nie so viel Medieninteresse bekommen.

Spinefarm arbeitet wirklich hart für uns, was heutzutage sehr wichtig ist und besonders, wenn Du mehrere Jahre nicht präsent warst. Man gerät so schnell in Vergessenheit durch die Schnelllebigkeit der Branche, daher sind wir wirklich glücklich mit Spinefarm. Ich kann absolut nichts Negatives über den Laden sagen.

Euer neues Album ist erst vergangene Woche hier in Deutschland erschienen, dabei habe ich gehört, dass es bereits vor langer Zeit fertiggestellt wurde?

Ja, vor etwa einem Jahr im Mai 2014. Den Sommer über haben wir den Vertrag mit Spinefarm in trockene Tücher gebracht und danach wurden Promoaktionen und die Tour geplant. Es sieht wirklich so aus, als hätten wir ewig gebraucht, aber es gab so viel zu erledigen, dass wir diese Zeit einfach brauchten.

Die Lyrics zu Eurem neuen Album sind sehr persönlich und handeln hauptsächlich von Trauerbewältigung. Der zweite Song der Scheibe heißt „11.24.11“ und enthält die sehr rührende Zeile „And I loved loving you was the last thing she said“ ... daher nehme ich an, dass der 24.11.11 der Tag war, an dem Deine Mum gestorben ist?

Ja, das stimmt. Glücklicherweise habe ich meine Musik als Ventil und kann über tragische Dinge aus meinem eigenen Leben schreiben und sie so besser verarbeiten. Diese Möglichkeit war ein absoluter Segen für mich. Ich konnte dadurch besser mit dem Trauerprozess abschließen.

Ich denke, wenn sich in Deinem Leben viele heftige Dinge anstauen, geht das meistens nicht gut aus. Viele Leute betäuben sich dann mit irgendwelchen Substanzen – auch ich habe das schon hinter mir – aber dieses Mal hat die Musik mir geholfen und natürlich auch meine Familie. Irgendwann bin ich dadurch an den Punkt gelangt, an dem ich aufgehört habe, nur daran zu denken, wie schwierig das Jahr war, nachdem meine Mum krank geworden ist. Stattdessen habe ich mich an die schönen Momente erinnert.

Meine Mutter war ein großer Fan der Band und wir standen uns sehr nahe. Daher war Ihr Tod auch ein sehr großer Verlust für den Rest der Jungs. Ein halbes Jahr später hat dann auch noch Mickey (Whitney; Bassist) seine Mutter verloren, was uns als Band und als Freunde noch enger zusammengeschweißt hat. Das Album handelt insgesamt davon, mit Verlust umzugehen. Jeder muss diese Erfahrung leider früher oder später mal machen – das ist das Leben. Ich denke, für mich persönlich habe ich auf diesem Album die wichtigsten Lyrics für mein eigenes Wohlbefinden geschrieben.  

Auf Eurer ersten Single „Also Am I“ geht es um einen Glaubenskonflikt. Es klingt, als würdest Du nach Deinem Verlust etwas suchen, an das Du noch glauben kannst. Bist Du ein religiöser Mensch?

Ähm … ich bin definitiv ein sehr spiritueller Mensch. Mein ganzes Leben lang habe ich immer fest an die Kraft von Gebeten geglaubt. Allerdings kommt mein Glaube nicht aus irgendeinem Buch oder einer Religion. Ich habe einfach eine persönliche Verbindung zu einer höheren Kraft. Wer oder was diese Kraft genau ist, weiß ich allerdings nicht.

Vielleicht bin ich es auch einfach selbst, der mit sich spricht. Weder die Bibel, noch das Christentum oder irgendeine andere Religion hat je eine große Rolle in meinem Leben gespielt. Ich glaube einfach für mich persönlich, dass derjenige, zu dem ich bete, auf mich aufpasst. Ich bin schon eine religiöse Person, aber meine Religion gehört nur mir selbst. Nennen wir sie einfach „Brockism“, haha!

„Marrow“, der letzte Song Eures neuen Albums,  ist ein eher untypischer Song für 36 CRAZYFISTS. Er wird im Duett gesungen und klingt besonders durch die weibliche Stimme sehr zerbrechlich, aber dennoch hoffnungsvoller als die meisten anderen Songs auf dem neuen Album. Wovon handelt er genau?

Der Song handelt von der Beziehung zu meiner Frau. Zu der Zeit, als meine Mama krank geworden ist, hat sie zwei kleine Jungs adoptiert, die dadurch meine Brüder wurden. Der Job meiner Mutter war es, Kinder, die ihren drogensüchtigen Eltern weggenommen wurden, so lange bei sich aufzunehmen, bis die Regierung Adoptiveltern gefunden hat – oder bis die leiblichen Eltern wieder clean waren, um die Kinder wieder zu sich zu nehmen.

Meine Mutter war extrem fürsorglich, und was sie für viele Kids getan hat, ist einfach gigantisch. Die zwei Jungs jedenfalls blieben länger als gewöhnlich bei meiner Mutter – normalerweise waren es zwei Monate, bis die Eltern wieder clean waren oder Adoptiveltern gefunden wurden – und meine Mutter verliebte sich in die Jungs und adoptierte sie. Sie lebten dann einige Jahre bei ihr, und als sie dann vor ein paar Jahren starb, haben meine Frau und ich die beiden bei uns aufgenommen. Da wir selbst bereits eine kleine Tochter haben, war es nie unser Plan, die Jungs zu adoptieren, obwohl wir es definitiv gemacht hätten, wenn sich keine andere Möglichkeit ergeben hätte.

Aber meine Frau hat unermüdlich daran gearbeitet, neue Adoptiveltern für die Zwei zu finden und überhaupt war sie in dieser schweren Zeit so für mich da, dass ich ihr diesen Song gewidmet habe, um ihr zu zeigen, wie großartig sie ist und wie sehr ich sie brauche.

Hat sie es geschafft, oder leben die beiden Jungs noch immer bei Euch?

Ja, sie hat Adoptiveltern gefunden und wir haben auch darauf geachtet, dass diese Eltern beide Kinder nehmen. Wir hätten nie zugelassen, dass man die beiden trennt. Die neuen Eltern halten uns auf dem Laufenden, daher wissen wir, dass es den Jungs sehr gut geht.

Du bist jetzt seit langer Zeit zum ersten Mal wieder getrennt von Deinen zwei Mädels. Ist das sehr schwierig für Dich?

Yeah! Aber wir sehen uns dank „Facetime“ trotzdem täglich, was das ganze erheblich leichter macht. Meine Kleine ist gerade eingeschult worden und erzählt mir täglich, wie ihr Schultag so war. Das ist wirklich toll, aber ich kann es kaum erwarten, Montag wieder zu ihnen zu fliegen. Allerdings bin ich dann auch nur zwei Wochen zu Hause und danach wieder zwei Monate auf großer US/Kanada Tournee. Dieses Jahr werde ich leider extrem viel weg sein.

Irgendwann kannst Du die beiden ja mal mit auf Tour nehmen.

Ja, auf jeden Fall. In Australien waren sie sogar schon mit, und meine Frau hat uns früher häufig begleitet. Mittlerweile ist das allerdings schwierig, da meine Tochter ja eingeschult wurde. Übrigens geht sie auf eine deutsche Schule – sie spricht morgens Englisch und nachmittags Deutsch.

Haha, das ist super.

Ja, der Vater meiner Frau ist aus Düsseldorf – oder besser gesagt Ratingen.

Sprichst Du denn auch ein wenig Deutsch?

Nein, nicht wirklich. Ich kann Bier bestellen ... (auf Deutsch): Ein Bier bitte, haha! Aber meine Frau ist hier zur Schule gegangen und ihre Mutter war Deutschlehrerin. Daher habe ich auch eine besondere Verbindung zu Deutschland.

Würdet Ihr den Song „Marrow“ live spielen?

Eher nicht ... Ich meine, ich würde es schon machen, aber ohne Stephanie Plate, die den weiblichen Part singt, würde der Song seine Wirkung verlieren. Stephanie singt übrigens in der großartigen Band Thera, die ebenfalls aus Alaska kommen. Wir haben sie 2013 sogar einmal als Support mit nach Großbritannien genommen. Sie sind wirklich toll, Du solltest sie Dir unbedingt mal anhören.

Außerdem ist „Marrow“ ein so sanfter Song, dass ich mir nicht sicher bin, wie er live so ankommen würde. Aber lustigerweise werde ich in fast jedem Interview auf diesen Song angesprochen – damit hätte ich überhaupt nicht gerechnet.

Wieso habt Ihr „Time And Trauma“ als Titel für das Album gewählt?

Also zum einen, weil die Lyrics zu „Time And Trauma“ die allerersten Lyrics waren, die ich für das Album geschrieben habe. Die Zeile „I've seen the devil in many of my days; lately I've decorated far too many graves“ war sogar die allererste Textzeile überhaupt. Allerdings wollte ich das Album anfangs „Lightless“ nennen. Normalerweise mag ich keine Titeltracks, aber nach all den ultralangen Titeln wie „Bitterness The Star“ oder „A Snow Capped Romance“ klang „Lightless“ für mich perfekt.

Außerdem fasst dieses eine Wort einfach alles perfekt zusammen, auf der anderen Seite klingt dieses Wort etwas trostlos. Man assoziiert so gar nichts Positives mit dem Wort „Lightless“, daher war ich so froh, dass die Jungs irgendwann zu mir kamen, obwohl sie sonst immer auf meine Titel vertrauen. Steve (Holt; Gitarrist und Produzent) schlug dann „Time And Trauma“ vor, was ich anfangs nicht so toll fand, da es dem letzten Albumtitel „Collosions And Castaways“ so ähnelt. Aber je mehr ich drüber nachgedacht habe, desto besser fand ich es.

Welcher Song ist Dein persönlicher Favorit vom neuen Album?

Junge … ich kann das nicht wirklich sagen. Das Album ist noch so neu, dass ich so gut wie alle Songs mag. Vielleicht „Gathering Bones“, obwohl wir diesen Song gar nicht für unser Liveset vorgesehen haben. Wir sollten ihn eigentlich ins Set aufnehmen. Wir spielen fünf neue Songs – heute Abend insgesamt übrigens 21 Songs.

Wow, cool! Der Club ist irgendwie ziemlich klein für Euch.

Ja, sehr klein – aber ich find das super. Es wird mega laut heute! Die Show in Karlsruhe gestern war der Hammer! Die Leute sind so abgegangen, es gab jede Menge Stagediver und Crowdsurfer, die sich an den niedrig angebrachten Kronleuchtern der Halle entlang gehangelt haben. Von der Bühne aus sah das fantastisch aus.

In Eurer Auszeit hast Du eine Bar in Alaska eröffnet. War sie als zweites Standbein geplant oder gab es tatsächlich eine Zeit, in der Du darüber nachgedacht hast, die Band aufzulösen?

Nicht wirklich. Allerdings habe ich darüber nachgedacht, nicht mehr zu touren. Das war allerdings bevor das neue Album fertiggestellt war. Weißt Du, unser Drummer Thomas (Noonan) hat die Band verlassen und ich habe über 20 Jahre mit ihm Musik gemacht. Wir haben zusammen in der Highschool angefangen und er ist auch immer noch mein bester Kumpel, aber am Ende hat es überhaupt keinen Spaß mehr gemacht, mit ihm zu touren. Er hat es gehasst zu touren und das hat sich auf unsere Musik ausgewirkt.

Mit der neuen Besetzung – ich meine, ich möchte nicht angeben oder so – aber wir sind einfach heiß darauf, zu touren und passen echt perfekt zusammen. Wir haben ewig nicht mehr zusammen gelacht auf der Bühne und mittlerweile machen wir es jeden Tag. Es bringt mega viel Spaß. Aber als Thomas die Band verlassen hat und Mickey noch nicht zurück war, spielte  unser Guitartech Bass und das alles war nichts Halbes und nichts Ganzes. Da habe ich kurze Zeit mal mit dem Gedanken gespielt, aufzuhören, aber die Band ist seit über 20 Jahren mein Baby und daher habe ich es nie ausgesprochen. Jetzt mit Mickey am Bass und Kyle an den Drums funktionieren wir so gut wir noch nie. Wir alle können uns vorstellen, auch mit 60 noch gemeinsam Musik zu machen.

Was die Bar angeht, ist meine Familie dort fest involviert und es läuft super, aber mein Fokus liegt definitiv auf der Band.

Dieses Jahr gibt es die Band bereits 21 Jahre – wie fühlt sich das an?

Unwirklich, denn wenn ich mir Fotos von vor 20 Jahren anschaue, als wir noch eine Highschool Band waren, kommt es mir vor wie gestern. Mein Gott, im April werde ich 40 – die Zeit rennt wirklich unfassbar schnell. Die Band habe ich mit 19 gegründet und ich bin extrem stolz auf sie. Es gibt wirklich kaum Bands aus Alaska, die international bekannt sind. Außer vielleicht PORTUGAL.THE MAN. 

THERA, von denen ich Dir vorhin erzählt habe, waren so dankbar, als wir sie 2013 mit nach UK genommen haben, da nur wenige Bands aus Alaska diese Möglichkeit erhalten. Sie haben übrigens gerade eine EP auf iTunes veröffentlicht, die „For Someone Somewhere“ heißt – sie ist großartig, hört unbedingt rein!

Was denkst Du als Musiker eigentlich von Plattformen wie Spotify, bei denen die Künstler ja wirklich nur einen minimalen Anteil an Lizenzen ausgezahlt bekommen?

Ich weiß nicht genau. Cool finde ich, dass man die Songs dort nur streamen kann und dass sie einem so nicht gehören.

Aber vielen Leuten reicht das dann auch und sie kaufen die physische Version der Alben nicht mehr.

Ja, aber ich denke, wenn Du als Band den Fans vermittelst, dass man heutzutage nicht existieren oder touren kann, wenn sie keine Alben oder Tickets für Deine Shows kaufen, dann verstehen sie das und unterstützen Dich auch. Letzte Woche war beispielsweise die erfolgreichste Woche unserer Karriere. Dazu ist es wichtig, den Fans immer wieder zu zeigen, wie dankbar man für sie ist, was wir definitiv sind.

Hier in Europa haben wir beispielsweise einen Tourbus, ein echter Luxus für uns, da wir in den Staaten nur einen RV haben, den entweder ich oder mein Bassist fahren. Wir befinden uns halt nicht mehr in den 80ern oder Mitte der 90er, wo die Leute noch Millionen von Platten gekauft haben. Das ist uns absolut bewusst und wir halten es nicht für selbstverständlich, dass unsere Fans unsere Alben kaufen. Daher nochmal ein großes Dankeschön an alle, die letzte Woche „Time And Trauma“ gekauft haben, das hat uns nochmal einen richtigen Kick gegeben.

Ist es Dir daher auch wichtig, über Deinen persönlichen Instagram Account oder über Facebook direkt Kontakt zu Deinen Fans zu haben?

Ja, definitiv. Ich hatte diese Möglichkeit damals nicht. Ich wäre ausgerastet, wenn ich damals eine Antwort meines Helden James Hetfield auf eine private Nachricht auf Facebook erhalten hätte. Aber verstehe mich nicht falsch – ich vergleiche uns jetzt nicht mit METALLICA. Nur vom Prinzip her ist es ähnlich. Ich merke, wie begeistert einige Fans sind, wenn ich ihnen tatsächlich antworte. Man darf seine Menschlichkeit nicht verlieren und sollte sich mit seinen Fans immer auf dieselbe Stufe stellen. Nur dann respektieren sie Dich auch.

Mittlerweile haben sich Bands neue Einnahmequellen gesucht, was ich bis zu einem gewissen Grad auch verstehen kann. Aber ich würde doch nie Geld für ein "VIP Meet & Greet" von ihnen verlangen. Meine Fans finden mich nach der Show an der Bar, wenn sie mit mir quatschen möchten. Aber ich möchte hiermit keine Bands dissen, die diese Meet & Greets anbieten. Nur, solange es nicht zusätzlich irgendeinen Preis oder ein Geschenk für die Fans bei diesen Events gibt, die den Preis in irgendeiner Art und Weise rechtfertigen, werden wir niemals Geld dafür verlangen, uns zu treffen.

Ich würde eventuell ein wenig mehr bezahlen, wenn ich bei meiner Lieblingsband beim Soundcheck dabei sein könnte.         

Noch nicht mal das. Heute beispielsweise haben wir vor dem Soundcheck drei Jungs aus Schweden getroffen, die extra für uns nach Hamburg gereist sind. Wir haben sie direkt zum Soundcheck eingeladen und das würde ich immer tun. Das ist für mich nichts Besonderes und ich hoffe, unsere Fans wissen das zu schätzen und unterstützen uns dann auf eine andere Art und Weise.

Ganz anderes Thema – ich weiß, dass Du total hinter dem Militär stehst und Dir dieses Thema sehr am Herzen liegt, da Du es ja auch bereits in einigen Songs verarbeitet hast. Gestern wurde in Deutschland der Film „American Sniper“ mit Bradley Cooper veröffentlicht, der hierzulande sehr kritisch gesehen wird. Wie ist Deine Meinung über den Film, falls Du ihn bereits gesehen hast? 

Ich habe das Buch vor einigen Jahren gelesen – großartig! Ich finde es unheimlich wichtig, die amerikanischen Truppen zu unterstützen. Weißt Du, ich sehe mich als eine „weltliche“ Person, da ich durch unsere Touren bereits viele Gebiete der Welt bereist habe und ich bin mir sicher, dass Clint Eastwood es nicht beabsichtigt hat, den Film durch seinen Titel „American Sniper“ weltweit zu verherrlichen. Als Amerikaner siehst Du den Titel nicht so, wie der Rest der Welt ihn sieht. Du hörst von dem Film „American Sniper“ und denkst einfach: Cool, fein, worum geht es in dem Film?

Dann liest Du das Buch und es geht um diesen Typen, der mit 160 Tötungen der erfolgreichste amerikanische Scharfschütze ist. Ich persönlich kenne so viele Soldaten und keiner von ihnen hat je mit der Anzahl seiner Tötungen in irgendeiner Art und Weise geprahlt. Daher hat mich die Aufzählung der Tötungen in dem Buch auch gestört. Dennoch ist Chris Kyle für mich ein amerikanischer Held, er ist ein Patriot und hat seinem Land gedient und da ziehe ich für mich dann auch den Strich.

Der Titel „American Sniper“ beschreibt einfach das, was er war und zwar ein Scharfschütze. Von außen betrachtet klingt der Titel für den Rest der Welt sicherlich scheiße, aber ich verstehe nicht ganz, warum nicht auch der Rest der Welt den Titel einfach etwas nüchterner betrachten kann. Damit hab ich schon ein Problem, besonders, weil ich so gerne herkomme.

Ich hatte da mal ein Erlebnis als wir mit ATREYU in Europa getourt sind – das war zwei oder drei Jahre nach dem 11. September 2001. Wir waren auf einer Fähre in Großbritannien und eine Frau auf der Fähre fragte die Jungs von ATREYU, wo sie herkommen. Als sie sagten, aus Kalifornien, meinte die Frau nur: „Oh, you guys are Americans?!“. Da es sich um eine Urlaubsfähre handelte, haben sie die Band dann als Letztes auf das Boot gelassen, da sie niemanden damit verängstigen wollten, dass Amerikaner an Bord sind und die Fähre dadurch ein Angriffsziel darstellen könnte.

Da ich hinter den Jungs in der Schlange stand, meinte ich nur zu der Frau „Wooo, das ist echt verrückt!“, und sie fragte uns dann auch, wo wir herkommen. Als ich sagte „Alaska“ war sie erleichtert und meinte: „Ah, Ihr seid Kanadier!“. Ich stellte es dann sogar noch richtig und sagte: „Nein, wir sind auch Amerikaner, sehen unser Land aber gerne als eigenständig.“

Solche Probleme rühren daher, dass die Amerikaner die „Weltpolizei“ sind und dass die Medien bestimmte Dinge immer wieder verherrlichen. Es gibt so viele anständige Amerikaner und tolle Soldaten, die unserem Land dienen und versuchen, Frieden in andere Länder zu bringen. Und sie reisen in diese Länder, weil sie jobtechnisch dazu verpflichtet sind. Wir werden unter anderem durch unsere Politik immer als "die Bösen" dargestellt, aber glaube mir, das amerikanische Militär hat schon so vielen anderen Ländern geholfen. Ich habe da meine ganz persönliche Meinung, möchte die aber auch nicht durch die Musik jemand anderem aufzwingen. Das überlasse ich anderen Bands.

Aber um nochmal auf „American Sniper“ zurückzukommen – der Film steht nur durch seinen widersprüchlichen Titel so in der weltweiten Kritik. Er handelt einfach von einem Typen, der einen beschissen Job zu erledigen hatte. Und es ist so tragisch, wie er letztendlich gestorben ist. (Er wurde an einem Schießstand von einem Veteranen erschossen, dem er helfen wollte, seine posttraumatischen Erlebnisse zu verarbeiten.)

Mich hat der Film sehr berührt und ich finde nicht, dass es verherrlichst wurde, dass Chris Kyle in seinem Job als Scharfschütze so viele Tötungen erzielt hat. Aber kommen wir zu einem erfreulicheren Thema. Du hast einen Bier-Podcast geführt und verschiedene Brauereien und Biere getestet, daher bist Du doch sicherlich ein Experte auf diesem Gebiet. Welche Biere kannst Du persönlich denn so empfehlen?

Absolut! Die Denali Brewing Company aus Alaska produziert zwei fantastische Biere: Twister Creek IPA und Mother Ale. Dann arbeitet ein Freund von mir bei der Alaskan Brewing Company, die eher belgische Biere und Sauerbiere brauen, die etwas hochprozentiger sind. Er hat ein Bier nach unserem Song „The Tide And Its Takers“ benannt. Ich habe vor einiger Zeit Peter Iwers und Björn Gelottes (IN FLAMES) Restaurant „2112“ in Göteborg besucht und die hatten dieses Bier bei sich im Angebot. Das war großartig. Ich habe hier an der Ecke diese „Ratsherren“ Kneipe gesehen. Da muss ich nachher unbedingt mal hin. Ich liebe Bier!

Ich war noch nie dort, aber das Bier schmeckt auf jeden Fall! Was steht für die Band als nächstes an?

Als erstes die US/Kanada Tour und dann kommen wir Ende des Jahres definitiv nochmal nach Europa zurück – wahrscheinlich als Support für eine größere Band.

Also lasst Ihr die Festivals diesen Sommer aus?

Ja, die stehen für nächstes Jahr auf dem Plan. Zu diesem Zeitpunkt sind wir dann fast 18 Monate getourt, danach wird es schon fast wieder Zeit für ein neues Album. Aber wir sind absolut zuversichtlich und freuen uns auf die Zukunft. Wir haben ein neues Management, einen neuen Booking Agenten, eine neue Plattenfirma und einen neuen Presseagenten. Alles frische neue Leute, die allesamt wirklich hart für die Band arbeiten. Wir sind total zufrieden, wie es zur Zeit läuft!

Vielen Dank, dass Du Dir so viel Zeit für uns genommen hast, Brock! Ganz viel Glück für die Zukunft!
  

Interview Brock Lindow