Geschrieben von Montag, 09 Oktober 2017 16:40

Callejon im Interview zu „Fandigo“: „Die dunkle Seite ist einfacher zu beherrschen, wenn man sie auslebt“

Callejon sind nicht in Partystimmung Callejon sind nicht in Partystimmung Foto: Lukas Richter

Sie sagen es auf ihrem neuen Album „Fandigo“ selbst: CALLEJON ist tot! Die ehemalige Metalcore-Band hat ihren Fans ganz schön einen auf den Sack gegeben mit dieser neuen „Mainstream-Mucke“. Bevor im Februar die erste Headliner-Tour mit „Fandigo“ stattfindet, wollten wir von Sänger BastiBasti (34) wissen, warum sich diese Platte textlich als auch musikalisch so extrem zwischen Schmerz und Aufbruchstimmung bewegt.

Basti, Du hast Dich verändert. Und damit meine ich nicht nur Euren Stil, sondern Deine Bühnen-Performance. Die war sonst „typisch Metalcore“, ohne große Überraschungen. Neulich beim Vainstream Festival in Münster wirktest Du eher wie ein Künstler, den man auch beim Wave-Gotik-Treffen in Leipzig nicht als Fremdkörper angesehen hätte. Was ist passiert?

Witzig. Darauf hat mich noch nie jemand angesprochen. Finde ich sehr interessant, dass das jemandem anhand meiner Auftritte auffällt. Klar, ich habe mich sicherlich verändert. Das passiert nun mal über die Jahre. Aber was mich in letzter Zeit einfach genervt hat, ist diese Entwicklung unter Bands, dass es während der Shows um nichts anderes mehr geht, als sich anzuknipsen und die Leute zum Kochen zu bringen – und das bei jedem Song. Deshalb habe ich dieses extreme Animieren für mich persönlich zurück gefahren.

Um auf meine Frage zurück zu kommen, täuscht der Eindruck oder bist Du tatsächlich vom Gothic inspiriert?

Ja, und sogar noch mehr als vom Black Metal. Die Richtung haben unser Gitarrist und ich ja auch gehört. Ich bin zwar kein Gruftie, aber TYPE O NEGATIVE ist nach wie vor meine absolute Lieblingsband – und die einzigen Bandtattoos, die ich habe. TYPE O ist für mich der Inbegriff von Gothic. Die Songs sind traurig und haben trotzdem etwas Tröstendes. TYPE O verkörpern das Prinzip der Romantik – anders als diese ganzen Mittelalter-Combos zum Beispiel.

THE CURE ist auch so eine Band, die ich sehr mag, auch wenn die mehr Mainstream als Gothic sind. Die habe ich sogar mal live gesehen. In der Lanxess Arena. Da standen zwar alte Männer auf der Bühne und der Sound in der Halle ist einfach immer Scheiße, aber das war trotzdem die beste Show, die ich je gesehen habe. Nostalgie pur.

Punk hat mich auch geprägt, aber mehr der aus Kalifornien. Dieses „No Future“-Gefühl im düsteren Sinn, das hat der Hardcore für mich noch besser vermittelt, als Punk. Letzten Endes hängt natürlich alles irgendwie zusammen.

"Der Umgangston wird immer aggressiver und kälter"

Wie passt das zu Eurem neuen Album „Fandigo“?

„No Future“, das ist das richtige Stichwort. So fühlen wir uns aktuell. Die Bundestagswahl hat stattgefunden, die AfD sitzt im Bundestag. Das ist schlimm. Es fühlt sich wieder an wie in den 80ern zu Zeiten des Kalten Krieges und der Apathie. Das war die Zeit, als Wave ganz groß war. Als wir „Wir sind Angst“ heraus gebracht haben, war Pegida ein großes Thema. Da war viel Wut und Aggressionen. Jetzt ist die Zeit danach angebrochen und vom Gefühl her scheint alles verloren und nichts wird besser.

Uns ist gerade nicht mehr nach Schreien, keine Lust mehr auf Party. Es hat einen krassen Rechtsruck gegeben. Der Umgangston in der Gesellschaft wird allgemein immer aggressiver und kälter. Wie fühle ich mich in einer solchen Welt? Darum geht es auf diesem Album. Es ist sehr persönlich, sehr Ich-bezogen. Musikalisch gesehen haben wir den Sound der 80er ins Moderne übersetzt.

Ihr behandelt auf dem Album Themen wie Depressionen und Sucht. Dass es sich um ein düsteres Album handelt, würde man jedoch nicht vermuten, wenn man nur die damaligen Vorabveröffentlichungen wie „Noch einmal“ oder „Utopia“ kennt.

Stimmt. Ich bin mir auch nicht mehr sicher, ob es so eine gute Idee war. Da wären Liner Notes sinnvoll gewesen. „Noch einmal“ wird immer als fröhlicher Song interpretiert, dabei handelt es sich eigentlich um ein trauriges Lied. Es ist gewissermaßen die Fortsetzung von „Kind im Nebel“, wo es auch darum geht, diesen einen Moment noch mal zu spüren, als es einem in der Vergangenheit gut ging.

Ich frage mich zum Beispiel immer, warum Leute mit Mitte Dreißig noch zu Festivals gehen. Darüber habe ich lange nachgedacht – und auch da geht es ja letzten Endes darum, dass man sich nicht mit dem Altwerden abfinden kann und sich noch mal wie früher fühlen möchte. Ja, man möchte Momente konservieren. „Noch einmal“ ist das „Friday I´m in Love“ von THE CURE, was die Stimmung betrifft.

"Wir haben dieses Album geschrieben, um klar zu kommen"

Wie Du selbst auch schon angedeutet hast – man muss sich mit diesem Album beschäftigen, um es zu verstehen.

Ja, das ist richtig. Deshalb haben wir „Riss in uns“ auch an den Anfang gesetzt. Normalerweise kommt ja zu Beginn immer ein Knaller-Song, irgendwas, das aufpeitscht. Bei diesem Song ist es so, entweder man macht ihn direkt aus oder man hält ihn aus – und ist dann aber auch bereit, sich mit diesem Album zu beschäftigen, sich auf die Texte einzulassen. Ich weiß, dass das in der heutigen Zeit viel verlangt ist. Die Leute haben einfach keine Zeit, es ist alles so schnelllebig geworden. Da kommen Inhalte einfach viel zu kurz.

Uns war auch klar, dass wir mit einem solchen Album viele Leute vor den Kopf stoßen werden. Aber wir mussten das einfach machen. Das ist wirklich so – wir haben dieses Album für uns geschrieben. Um klarzukommen in dieser Welt.

"Die Kindergärtner dachten, mit mir stimmt was nicht"

Du machst einen fröhlichen Eindruck – wie kommt es, dass jemand wie Du so traurige Texte schreibt?

Ich bin auch ein fröhlicher Typ. Das Leben ist aus meiner Sicht auch lebenswert. Es ist ja auch nicht alles, was ich schreibe, autobiographisch. Stephen King ist auch eher lustig und schreibt trotzdem böse Sachen.

Natürlich hat jede Persönlichkeit verschiedene Facetten und Deine Aussagen spiegeln wider, dass es eine dunkle Seite bei Dir gibt …

Ja, diese Affinität war schon vorhanden, als ich noch in den Kindergarten ging. Mein Lieblingsfilm war damals „Die Zeitreise“ von 1960. Weil ich immer die Morlocks gezeichnet habe  – also die Bösen in dem Film – dachte die Kindergärtnerin, dass zu Hause bei mir etwas nicht ganz richtig läuft … das war natürlich Quatsch. Aber es gibt nun mal Sachen, denen man sich nicht entziehen kann. Und dazu gehört nun mal die dunkle Seite. Ich finde ohnehin, sie ist einfacher zu beherrschen, wenn man sie auslebt.

Malen, Zeichnen, Musikmachen und Mode designen. Du bist durch und durch Künstler, oder?

(lacht) Ja! Es ist auch ein großes Glück, halbwegs anständig davon leben zu können. Früher habe ich auch noch das Artwork für diverse Bands gestaltet. Das mache ich inzwischen nicht mehr, weil es mich einfach nicht mehr reizt. RAMMSTEIN sind die einzige Ausnahme, für die mache ich das Merch und so. Unsere Videos und das ganze Drumherum mache ich übrigens auch selbst – „Kind im Nebel“ und „Dunkelherz“ sind von mir. Die neuen auch.

Warum eigentlich? Brauchst Du das, ständig was Neues auszuprobieren?

Wir haben für die Videos ein recht schmales Budget. Dafür bekommst du nun mal nicht die besten Leuten. Also muss man sich selbst damit beschäftigen. Ich will jetzt nicht angeben oder so, aber dadurch kann ich eben viele Sachen.

"Einfach machen!"

Stimmt. Du hast ja sogar „Fandigo“ selbst produziert.

Das war gar nicht so schwer. Nach sieben Alben hat man viele Erfahrungen gesammelt. Und irgendwann weiß man einfach, was Phase ist. Einfach machen! Anfangen! Das ist mein Motto. Ich bin ja in jeder Hinsicht ein Quereinsteiger. Das Wichtigste ist einfach, dass man sich traut und ins kalte Wasser springt.

Basti, das war ein sehr ausführliches Interview. Bist Du immer so offen?

Das kommt auf das Interview an. Ich möchte ja auch ernst genommen werden, da macht die ganze Schauspielerei gar keinen Sinn.