Geschrieben von Samstag, 15 Juni 2019 21:30

The GazettE im Interview: "Vielleicht gehören wir gar nicht mehr zum Visual Kei"

Modisch, androgyn und mitunter schmerzhaft schrill – das japanische Underground-Genre des Visual Kei polarisiert seit den frühen 90ern die Gemüter rund um den Globus. Mit THE GAZETTE kehrt nun einer der schillerndsten Vertreter des nur schwer fassbaren Musikstils nach Europa zurück. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um mit Gitarrist Aoi, Bassist Reita und Schlagzeuger Kai über das aktuelle Album „Ninth“ und die kommende Tour zu sprechen.

Ihr steht ja nun schon kurz vor dem Start eurer Europa-Tournee in London. Inwiefern unterscheidet sich die Atmosphäre von Konzerten in Japan zu Konzerten in Europa?

Aoi: Im Falle eines japanischen Publikums hat man mehr das Gefühl, eins zu werden. Zum Beispiel, wenn alle zusammen springen oder headbangen. Das sieht man bei ausländischem Publikum nicht so häufig. Hier bekomme ich mehr das Gefühl, dass jeder die Musik auf seine Art und Weise genießt. Mich freut das, weil es mich an die Live-Mitschnitte ausländischer Künstler erinnert, die ich in meiner Jugend immer angeschaut habe.

Reita: Ich bin ganz froh darüber, weil die Stimmung vor den Shows in Japan nicht ganz so vorfreudig ist. Das macht es sehr angenehm zu spielen, wenn du siehst, dass jemand deine Musik am ganzen Körper wahrnimmt.

Kai: Ich finde, dass es gar nicht so große Unterschiede gibt.

Den ersten Teil eurer Welttournee in Süd- und Nordamerika habt ihr schon abgeschlossen. Was hat bisher bei euch am meisten Eindruck hinterlassen?

Aoi: Welche Show bisher am besten war, ist wirklich schwer zu sagen, weil es alles sehr erinnerungswürdige Konzerte waren. Chile und Argentinien waren auf jeden Fall sehr bewegend, weil wir beide auf der letzten Welttournee nicht abdecken konnten. Einfach die Tatsache, dass so viele Leute gekommen sind, um uns zu sehen, obwohl wir uns mit unserer Rückkehr wirklich Zeit gelassen haben ...

Reita: Wir hatten wirklich das Gefühl, dass uns die Leute in Chile und Argentinen – wo wir vor sechs Jahren das letzte Mal gespielt hatten – unbedingt wieder sehen wollten. Außerdem Mexiko … da war der Sauerstoff echt dünn und es war sehr heiß.

Kai: Es war überall beeindruckend, aber besonders speziell waren auf jeden Fall Argentinien und Chile, die wir letztes Mal nicht besuchen konnten.

Reden wir noch ein bisschen über euer aktuelles Album "Ninth“. Der Vorgänger "Dogma“ war ja ein sehr konzeptuelles Album, "Ninth“ hingegen fühlt sich vergleichsweise frisch und live-orientiert an. Wie hat sich der Songwriting-Prozess gestaltet?

Aoi: Puh, wie war das nochmal … Das ist alles schon ein bisschen her, im Detail kann ich mich an den Prozess gar nicht mehr erinnern. Wir haben uns vermutlich damals gedacht, Songs zu schaffen, die trotz einer prominenten Melodie natürlich wirken und dich in Bewegung versetzen. Wenn man das mit "Dogma" vergleicht, welches mit einem für unsere Verhältnisse sehr speziellen Konzept im Hinterkopf geschrieben wurde, ist "Ninth" ein für uns sehr natürliches Werk geworden.

Reita: Wir haben es auf der Basis unserer bisherigen Erfahrungen geschrieben, was live besonders gut ankommt. Und es hat uns viel Selbstvertrauen gegeben, dass wir genau das erreicht haben, was wir versucht haben.

Kai: Wenn überhaupt ist es frisch, dass wir so konzeptuell wie auf "Dogma" sind. Dieses Gefühl der Varianz, wie es "Ninth" eben hat, ist das, was THE GAZETTE eigentlich ausmacht.

Mit welchem Song des Albums verbindet ihr am meisten?

Aoi: Eigentlich mit allen, weil man sich ja irgendwie als Elternteil fühlt. (lacht)

Reita: Für mich ist es "その声は脆く“. Es ist live der emotionalste Song und ich hoffe, dass das auch bei den Leuten ankommt.

Kai: "Falling".

Welche Position nimmt das Album in eurer bisherigen Laufbahn ein?

Aoi: Es ist ein Album geworden, welches all die Techniken, welche wir über die Jahre und Monate erlernt haben, vereint und sich – wie gesagt – ganz auf den natürlichen Ausdruck unseres Wesens fokussiert. Das ist schwer in Worte zu fassen, aber so ein Album ist es eben.

Reita: Ich denke, dass es ein Album ist, welches die alten und neuen Elemente unserer Musik vereint.

Kai: Es ist unser bestes.

Was sind die Gründe dafür, dass außer THE GAZETTE so wenige Visual-Kei-Bands in Europa touren?

Aoi: Gute Frage. Natürlich gibt es diese Kategorie des Visual Kei, aber das ist ja keine Gewerkschaft oder so. Deswegen gibt es auch keinen ständigen Gedankenaustausch. Aber in Anbetracht des Zuschauerzuspruchs und der Verkäufe in Japan ist es für viele immer noch herausfordernd, nach Übersee zu gehen. Das hat einfach praktische Gründe.

Reita: Aber ich glaube, wenn die Fans in einem Land eine Band sehen wollen und das auch äußern, dann lässt sich das auch realisieren. Glücklicherweise hatten wir so viele Fans, die sich eine Welttournee gewünscht haben, dass wir diese auch realisieren konnten.

Kai: Ich kann nicht für andere Bands außer THE GAZETTE sprechen.

Welche Position nehmen THE GAZETTE in der heutigen Visual-Kei-Szene ein?

Aoi: Wenn man sich anschaut, was in der Szene heute unter Visual Kei verstanden wird, gehören wir vielleicht gar nicht mehr dazu. Das glaube ich jedenfalls.

Reita: Das ist ziemlich schwer zu beantworten, weil wir ja unseren eigenen Status nicht fühlen können. Aber prinzipiell möchte ich mit der Band immer an vorderster Front kämpfen.

Kai: Das ist etwas, über das ich selbst bisher nie wirklich nachgedacht habe. Aber ich denke, dass wir immer die Nummer 1 sind.

Habt ihr zum Schluss noch eine Botschaft an eure Fans, die ihr loswerden wollt?

Aoi: Ich freue mich extrem auf den europäischen Teil der "The Ninth“-World-Tour! Bis jetzt war das Feedback für das Album sehr gut und die bisherigen Auftritte waren sehr aufregend. Und ich freue mich darauf, das nun auch mit euch gemeinsam teilen zu können.

Reita: Ich liebe euch! Und freue mich sehr darauf, euch auf den Konzerten treffen zu können. Bitte kommt auf jeden Fall, ich erwarte euch!

Kai: Ich freue mich sehr darauf, euch alle auf der nächsten Europa-Tour zu treffen.

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