Geschrieben von Samstag, 26 Juli 2025 14:01

Letters & Matters mit SPIN MY FATE - Lyrics-Talk Nr. 1

Jan Kattner von SPIN MY FATE Jan Kattner von SPIN MY FATE

Texte sind doch nur schmückendes Beiwerk – Hauptsache, die Musik knallt. Oder etwa nicht? In dieser Rubrik sprechen wir ab sofort in unregelmäßigen Abständen über Lyrics. Und zwar direkt mit denen, die sie schreiben!

Mit anspruchsvollem, wandelbarem Rock haben sich SPIN MY FATE in den letzten Jahren einen Namen gemacht und eine solide Fanbase aufgebaut. „Alternative/Rock/Metal“ nennt Gitarrist und Produzent Simon Bosse den facettenreichen und immer leicht melancholischen Sound, wobei ich nicht ganz sicher bin, ob und wo er da die Schrägstriche setzen würde. Eine Schublade reicht hier jedenfalls nicht aus, ist aber auch nicht nötig.

Nach längerer Live-Pause tritt das eingespielte Team aus dem Münsterland heute erstmals wieder bei einem Festival auf – aus terminlichen Gründen, wie sie ein wenig bedauern, „nur“ als Opener am frühen Abend. Ein Opener, der es den nachfolgenden Bands allerdings fast ein wenig schwer macht, in Sachen Intensität noch eine Schippe draufzulegen.

Dasselbe scheint auch für unseren Lyrics-Talk zu gelten. Ich hatte gehofft, auf einen Texter zu treffen, der sein Handwerk ernst nimmt – aber Sänger, Texter und Gründungsmitglied Jan Kattner (42) überspringt hier gleich mehrere Level. Er erfüllt – im allerbesten Sinne – jedes Klischee eines Vollblut-Künstlers, der mit präziser Beobachtungsgabe durch die Welt geht und seine Gedanken in reflektierte Zeilen gießt. Das dürfte schwer zu toppen sein.

Jan, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mit mir über Lyrics zu sprechen. Wie läuft das bei euch im Songwriting – baut ihr erst die klangliche Basis und setzt später eine Gesangslinie und zum Schluss den Text obendrauf oder ist das auch mal umgekehrt?

Das kann auch mal umgekehrt laufen – zum Beispiel bei „Fire“ von unserer aktuellen Platte. Also die Lyrics kamen da auch erst später, aber die Gesangsmelodie war in diesem Fall tatsächlich zuerst da, die wollte ich unbedingt so machen. Und dann musste ich die passenden Töne, ein passendes Riff dazu finden.

In der Regel steht aber schon das Gerüst am Anfang. Man trifft sich, man klimpert was oder man hat ein Riffing und irgendwann merkt man, okay, das wird was, daraus machen wir was. Und dann fühlt man meistens schon, in welche Richtung es textlich gehen wird: ob es was Ernstes sein soll, was Schönes, was Verarbeitendes, was Emotionales oder eher eine Ansage, so ganz grob. Die genaue Bedeutung kommt dann später.

Ich halte nicht so viel von der kollektiven Menschheit. 
Aber ich möchte Schönheit sehen.

Wie kommst du auf die Themen für die Texte? Wo findest du deine Inspiration?

Indem ich auf mein Herz höre. Es geht um Einstellungen zum Leben, was mich beschäftigt – vor allem auf den letzten beiden Alben. Oft denke ich, "Über dieses Thema habe ich noch nie geschrieben, aber es ist wichtig. Kaum jemand spricht darüber, also schreib darüber, trau dich halt!" Zum Beispiel, zuzugeben, dass man eine Schwäche hat, dass man sich manchmal klein fühlt. Bei „Fix me“ geht es darum, dass man repariert werden kann, aber manche Dinge einfordern muss.

Oder Weltbilder: Ich halte nicht so viel von der kollektiven Menschheit. Ich weiß aber trotzdem, dass viel Potenzial da ist. Bei all den Kriegen und desaströsen Zuständen, wie wir miteinander und mit der Welt umgehen, möchte ich trotzdem auch Schönheit sehen. Nicht jeder, der Böses tut, ist auch böse. Deshalb versuche ich, möglichst schöne Texte zu schreiben. Auch dann, wenn der Inhalt eher hart ist.

Meistens gibt es eine klare Ansage, aber ich mache es nie so plakativ, dass ich denke, da könnte sich jemand von angegriffen fühlen. Jemand, der es vielleicht anders sieht, soll trotzdem noch eine Schönheit in den Lyrics erkennen können. Mir geht es um Kommunikation, ums Händereichen. Die Welt ist in krasser Bewegung und irgendwie müssen wir uns sortieren. Das geht nicht, indem wir gegeneinander kämpfen.

ZettelJan: „Das sieht immer so aus. Und ich fange immer wieder neu an. 
Das hier ist wahrscheinlich schon der vierte oder fünfte Zettel gewesen.“

Ich habe gesehen, du schreibst gerne ganz oldschool auf Papier. Weil du dadurch eine besondere Verbindung zum Text aufbaust?

Ja, ich schreibe alles auf Papier. Ich bin ein total visueller Typ. Man sieht dann, ich bin mit mir in den Prozess gegangen. Das ist mir wichtig, das nehme ich total ernst.

Der Anfang ist am schwierigsten – das weiße Blatt, wenn nichts da ist. Manchmal, wenn ich noch darüber nachdenke, in was für eine Emotion ich reingehe, male ich so ein bisschen rum oder schreibe, was mir dazu einfällt. Ich muss einfach merken, okay, das ist der Startschuss für etwas, was es mal werden soll. Und dann sieht man nach und nach einen Fortschritt. Ich hebe diese Songskizzen auch auf, die habe ich fast alle noch zu Hause.

Ich verstehe einen Songtext immer noch als Kunstwerk.

Hast du dir beim Texten schon mal von KI helfen lassen?

Nein, noch nie. Werde ich auch nie. Ich verstehe einen Songtext immer noch als Kunstwerk und ich bin ganz klar der Meinung, alles, was mit KI generiert wird, ist keine Kunst. Da bin ich ganz straight. Ehrlich gesagt bin ich sogar super demotiviert durch KI. Wir als Band versuchen immer, alles möglichst echt zu machen. Auch, dass bei den Sounds nicht alles aus der Konserve kommt. Aber vieles ist heute sehr schnelllebig und die Leute wissen diese Arbeit oftmals gar nicht wertzuschätzen. Wie viele Stunden und Tage man eigentlich an so einem Text sitzt, wie viel Arbeit manchmal in eine kleine Zeile fließt.

Wenn du selbst Musik hörst, sind dir da Texte auch wichtig?

Ich finde den Zugang immer erstmal über die Musik – aber bei den Bands, bei denen ich auch wirklich geblieben bin, habe ich von vornherein schon gemerkt, die meinen das ernst, da steckt was hinter. Meine top drei Bands sind PEARL JAM, SILVERCHAIR und BRING ME THE HORIZON. Und die haben alle was zu sagen.

Viele Texte sind voll von Stellen, wo du merkst: Wow, das ist schön geschrieben. Krass, dass man sowas machen kann! Oder da ist eine Ansage da. Klar, es gibt auch ein paar Ausnahmen. Aber in der Regel ist da was hinter, da kannst du was mitnehmen, was draus lernen.

Sind diese Bands auch deine lyrischen Vorbilder oder Einflüsse?

Ja, im weitesten Sinne schon. Ich versuche immer, möglichst bei mir zu bleiben, aber ich kann natürlich nicht verleugnen, dass solche Sachen mich beeinflusst haben. Und ich muss auch sagen, ich liebe sowas – wenn ich eine Inspiration von einer tollen Platte habe, dann denke ich mir, "geil, keep it going!". Klar, andere Kunst inspiriert mich, auch selber weitere Kunst zu machen.

SMF CoesfeldVon Jans – zum Glück überstandener – Lungenkrebserkrankung merkt man auf
 der Bühne nichts mehr. Mit einnehmender Energie und beachtlichem Stimmvolumen 
geht es bei „Rock am Turm“ zur Sache.

Ich habe mir einen eurer neueren Songs „Scotoma“ ein bisschen genauer angesehen. Da arbeitest du mit einer extrem bildhaften, metaphorischen Sprache. Es geht um den „blinden Fleck“, den wir gedanklich haben, wenn wir uns mit einem wichtigen Thema nicht auseinandersetzen. Aber der Text wirkt wie aus einer konkreten Krisensituation heraus geschrieben. Hattest du da einen zwischenmenschlichen Konflikt, eine innere Krise oder eher etwas Gesamtgesellschaftliches vor Augen?

Auf diesen Song bin ich echt stolz. Da habe ich zum ersten Mal selbst die Gitarren eingespielt. Ich wollte etwas Brachiales, etwas Schweres, das nicht ganz so eingängig ist ... Und dann war das mit dem Text so eine Reise. Ich hatte irgendwie Bock, was aufs Maul zu machen, aber nicht so typisch plakativ.

Jetzt handelt der Song von einem fiktiven Typen, der ein total konservatives Leben gelebt und nicht viel hinterfragt hat. Aber der Typ merkt in sich, da ist irgendwie was, ich bin im Reiz irritiert. Irgendwie denke ich über ein Thema doch anders nach, als so, wie ich es immer erzähle. Er ist also im Dialog mit seiner inneren Stimme. Und dann merkt er, so geht es nicht weiter. Deswegen auch „the ceiling is falling“.

Trau dich, hinzugucken!

Die Konsequenz aus der „ceiling“-Stelle finde ich fantastisch getextet: „Dig a hole to see the sky“.

Du musst halt einmal richtig tief rein, um dann komplett durchzukommen. Und ich dachte mir, okay, was hat der Mensch dann hinterher davon? Dass er vielleicht sowas wie Freiheit erfährt. Gedankliche Freiheit. Aber du musst erstmal erkennen, wo du deine Themen hast, die du nicht behandelst. Trau dich, hinzugucken! Wo du denkst, alles sei sauber, aber es ist nicht sauber. Ganz viele Leute haben das, ich auch.

Ich denke, jeder hat das. Aber die Frage ist halt, ob man sich dem stellt. Dein Protagonist hat da ja einen richtigen Perspektivwechsel drin – das merkt man an kleinen Wortveränderungen im Prechorus.

Genau, er schnallt irgendwas. Und ich denke, auch das kennt jeder: Wenn du von irgendwas total überzeugt bist, aber dann siehst du plötzlich die Gegenseite, gute Gegenargumente. Und dann merkst du, du kannst an deiner alten Version nicht festhalten. Jetzt weißt du mehr und du kannst nicht mehr weitermachen wie vorher. Darum geht es.

Am Ende heißt es: „Pledge the attainments on the wall“. Was willst du damit sagen?

Ich habe mir vorgestellt, dass dieser Typ vor der Wand steht, sich die Knarre gibt und das Blut quasi so da dran spritzt, dass die Wahrheit, die er geschnallt hat in seiner Birne, da an der Wand steht. Deswegen ist es auch musikalisch so brutal am Schluss. Und dann stehen die Leute da, die ihn eigentlich kannten, und sagen: „Krass, so war der in Wirklichkeit?“ Ich habe da an Robin Williams gedacht, der nach außen immer total happy war und innen war alles ganz anders.

Oh wow, darauf wäre ich im Leben nicht gekommen! Danke für diesen detaillierten Einblick.

Gibt es noch einen anderen Songtext, zu dem du selbst etwas sagen möchtest?

Mal was Kontroverses: „Tides“ ist ein super wichtiges Album für uns alle und ich habe darin wahnsinnig viele persönliche Sachen verarbeitet. Aber ein Song darauf ist anders: „Lullaby“. Ich weiß noch ganz genau, wir waren im Proberaum, hatten ein dickes Riff und wussten nicht, was wir textlich machen sollten. Ich habe dann einfach on the fly irgendwas geschrieben.

Eigentlich bin ich jemand, der schließt sich ein, sitzt tagelang an Texten, schmeißt morgens alles weg und fängt von vorne an. Aber diese Demo habe ich spontan eingesungen und exakt so haben wir den Text übernommen. Ich habe im Nachhinein gesagt, „Ich weiß gar nicht mehr, worüber ich da singe! Da müsste ich irgendwie nochmal ran“. Aber alle meinten, „Ey Jan, da ist so viel Tiefgang drin, das lassen wir einfach!“. Und ich: „Okay, scheiß drauf, machen wir so.“

Aber ich merke auch, was das mit mir gemacht hat. Ich mag den Song, würde ihn auch gern mal wieder live spielen – aber ich habe wenig Verbindung zu ihm. Der ist mit nichts konnotiert bei mir in der Birne.

Worüber möchtest du noch schreiben? Gibt es inhaltlich schon Ideen für die Zukunft?

Tatsächlich einige. Wir haben für „Volume I“ unglaublich viel Material gesammelt und werden da ein paar Ideen weiterverfolgen. Zu unserem derzeitigen Opener „Progress“ wird es irgendwann den Gegenpart „Regress“ geben, der ist schon so gut wie fertig. Die beiden Songs sind aus der Sicht zweier uralter Bäume erzählt, die die Entwicklungen der Menschheit schon lange beobachten.

Und der jetzige Titeltrack handelt davon, wie bekloppt gesellschaftliche Konflikte wirken müssen, wenn sie jemand aus weiter Entfernung erleben würde – daher der Mond auf dem Cover. Ich kann jetzt schon sagen, dass es irgendwie mit der Sonne weitergehen wird und dann kann man vielleicht versöhnlich zur Erde zurückkehren, zur Homebase.

Anne

Stilübergreifend Fan von packenden Harmonien und Lyrics. Es muss Spaß machen oder berühren – oder beides. In früher Jugend große Seelenanteile an den Powermetal verkauft. Trotzdem nie was mit Drachen und Einhörnern am Hut gehabt. Konzertliebe wiederentdeckt und zur Sucht werden lassen. Frontrowbegeisterung! Lebensziel: Mit 80 immer noch vorne mithüpfen.