Geschrieben von Sonntag, 06 Dezember 2009 19:45

Strike Anywhere - Interview mit Sänger Thomas



STRIKE ANYWHERE aus Richmont, Virginia sind seit gut 10 Jahren im Geschäft und stehen nach wie vor für sehr politischen und sozialgerichteten Hardcore-Punk, der sich wohltuend von vielen Bands unterscheidet, die ein „Core" auf der MySpace-Seite stehen haben. Sie sind melodisch bis hymnisch, engagiert, dauernd auf Tour und haben grade ihre neue Platte „Iron Front" auf dem Hardcore-Label Bridge 9 veröffentlicht. Und dass sie eine Menge zu sagen haben, beweist Sänger Thomas in diesem Interview.

Hello! Ich heiße Thomas und singe und schreibe die Texte für Strike Anywhere. In der Band sind außerdem noch die Gitarristen Matt Smith, Mark Miller, Garth Petrie spielt Bass und Eric Kane ist unser furioser Drummer. Josh Barker verkauft unser Merchandise, und in Europa ist der unglaublich große Ales Pechman unser Fahrer und Tour Manager.

Wo seht ihr selber die größten Unterschiede zwischen "Iron Front" und eurer letzten Platte "Dead FM"?

Hmmmm..... von der Produktion her gesehen war Dead FM ziemlich minimalistisch und etwas direkter. Einfach nur zwei Gitarrenspuren und ein leichterer, hellerer Ansatz für den Sound. Die Gitarren und Drums auf Iron Front sind heavier, und die gesamte Philosophi hinter dem Sound der Platte war ordentlich Krach zu machen und intensiver zu werden. Wir haben uns viel mehr Zeit genommen, um zu schreiben und verschieden Demos für die Iron Front-Songs aufzunehmen - wir waren also wesentlich besser vorbereitet als vor irgendeiner anderen Platte. Vom Songwriting her gesehen: Wir haben ein neues Mitglied, Mark Miller, der auch viel von seiner persönlichen Vision eingebracht und die Platte mit dem Opener " Invisible Colony " zum Laufen gebracht hat. Matthew Sherwood hat die Band zwar verlassen, aber nicht unsere Familie - er hat uns während der Aufnahmen besucht und seinen Geist und seine Mithilfe kann man auch auf der Platte zwischen den Zeilen finden. Auch Garth hat sich verbessert und sehr viele Akkord-Verbindungen abgeliefert bei diesem Mal.

Wie seid ihr vom punkigen Label Fat Wreck zu Bridge 9 gekommen, was schon ein größerer Wechsel ist?

Wir haben uns nur gedacht, dass es interessant wird, mit eine paar East Coast Hardcore Kids zu arbeiten, die eine Menge Enthusiasmus für unsere neuen Songs haben, und daas es ein kreativer Weg wird, auf einem Indipendent Punk Label zu sein. Wir sind zwar dankbar für die Zeit bei Fat Wreck und wir wünschen ihnen allen Erfolg der Welt – so wie sie es auch für uns tun – aber es fühlt sich frisch und aufregend an, ein Teil der Bridge Nine Family zu sein. Und es fühlt sich nach einem perfekten Zuhause an für „Iron Front". Die Energie der Songs, die Geschwindigkeit und Power der Platte scheinen ein Echo unserer Wurzeln zu sein – aus dem East Coast Hardcore.

Euch gibt es jetzt seit einem Jahrzehnt. Was waren die größten Veränderungen im Hardcore, die ihr in dieser Zeit mitbekommen habt?

Eine gute Frage, Kai! I würde sagen...auf der guten Seite gibt es mehr herausfordernde Musik und Ideen von legendären Bands (Refused, Tragedy, Coliseum, Modern Life Is War, etc.). Da gab es aber auch eine hässliche Kommerzialisierung und eine aggressive und künstliche Vermarktung der Genres: mit glattgebügelten Haaren und jeder Menge Jungs, die Make-Up ohne jegliche Gnade, Humor oder Ehrlichkeit tragen... du weißt vermutlich, wovon ich rede. Es gibt definitiv mehr Wahlmöglichkeiten für die verschiedenen Leute im Hardcore. Aber man kann auch argumentieren, dass die Qualität dieser Möglichkeiten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner degradiert wurde. Und damit fehlt ein Sinn für Zusammenhalt oder eine gelebte Gemeinschaft. Vor zehn Jahren gab es einen ausdrücklichen Sinn des Familiären, und das war etwas Spezielles. Jetzt ist das etwas, für das man wieder kämpfen, es kultivieren und zurückerobern sollte.

Vor Jahren habe ich mal ein Interview mit euch gelesen, in dem ihr berichtet habt, ihr könntet euch keinerlei Krankenversicherung leisten. Ist das immer noch so? Und macht euch das Angst?

Die meisten von uns haben keine Krankenversicherung. Das ist Amerika! Ehrlich gesagt hat Mark im letzten Monat – also auf dieser Tour für Iron Front - eine Lungenentzündung bekommen. Wir mussten ihn zu einem Arzt bringen, von dem wir wussten, dass er uns Medizin unter der Hand für lau geben würde. Er hat so glücklicherweise das Antibiotikum bekommen und wir konnten weiterhin Shows spielen. Aber für Millionen von Menschen in meinem Land ist der Zugang zu Medizin und Ärzten eher wie die illegalen Kneipen während der Prohibition: ein Untergrundnetzwerk von Resourcen, die zu weit weg sind durch unternehmerische Krankenversicherungen und pharmazeutische Konzerne. Vielleicht kann die neue Gesundheitswesen-Gesetzgebung dabei helfen, diese Entgleisung in unserer Zivilisation zu bereinigen, aber eventuell kommt es nicht mal durch den Senat. Wir sind oft krank auf Tour, aber wir schätzen einfach die Zeit, die wir haben, um zu reisen und Musik zu machen und versuchen, uns keine Sorgen um Krankheiten zu machen.

Denkst du, dass es schwieriger geworden ist, Menschen für politische Texte zu begeistern, nachdem der gemeinsame Feind George Bush von "everybodys darling" Barak Obama abgelöst wurde?

Ich denke, dass die Rolle des Präsidenten nahezu machtlos ist im Vergleich zu dem Geld der Konzerne und der Kriegstreiberei des Kapitals, welches unser Land, dein Land und unser gemeinsames Imperium besetzt hat. Auch wenn du denkst, der Präsident sei moralisch und intelligent - was auf jeden Fall neu und aufregend für unser Land ist -, gibt es da immer noch diese überwältigende Eigendynamik unseres Konzern-Staates und seiner Kriegsmaschinerie. Sie spielen die Musik, zu der wir alle tanzen und nennen es Demokratie. Es gibt Hoffnung in der historischen und oftmals (trotz eifriger Kritik und Zweifelt) inspirierenden Rolle, dass die, die für ihn gestimmt und gehandelt haben, darauf achten werden, wenn er sich als kraftlos gegenüber dem Dogma der Illusionen, des beschwerten Wettbewerbs und des rückläufigen Profits erweist. Viele, viele Amerikaner mehr werden diese radikale Erfahrung machen. Wenn du realisierst, dass das ganze Regierungssystem Macht ist und dass alle Macht Korruption bedeutet. Und: es liegt an uns, die Zukunft zu verändern, nicht an Präsidenten oder Rockstarts oder Erlösern...

Es ist aber auch auf jeden Fall erfrischend, einen Präsidenten im Amt zu haben, der umsichtig und hoch intelligent zu sein scheint, ein bewegender Sprecher mit Bandbreite und Persönlichkeit ist - kein manipuliertes, idiotisches, emotional verkrüppeltes Kind des Reichtums und des Krieges, wie unser alter Präsident. In gewisser Weise ist es aber sogar beängstigender. Die Kompromisse und Geschenke an unternehmerische Verbrecher und bestechliche Banken gehen weiter. Dann die Reaktion der riesigen, durch die Medien in Beschlag genommenen Rechten; sie unterstützt schamlos die Spielchen der US-Politik sowie konservative, religiöse Psychopathen, indem sie öffentlich die Militarisierung öffentlicher Plätze fordert, ohne Rücksicht auf Gewalt und Argumente.
Es ist ohne Zweifel eine sensible Zeit in der Geschichte unseres Landes. Und wir können auch nicht den Zustand der Welt vergessen – auch wenn Mr. Obama wesentlich besser mit anderen Menschen umgehen kann als Bush - wir können nicht darauf warten, dass Berühmtheiten oder gewählte Offizielle die Bedingungen für unser Überleben auflösen, unsere Evolution in der Spielkunst, die uns als Konsens vermittelt und als Demokratie verkauft wird.
Könntet ihr euch vorstellen, jemals ein Album zu machen, welches größtenteils von Beziehungen und Gefühlen handelt?
Wir haben immer Hinweise auf Beziehungen in zumindest einem Song pro Platte. "First Will and Testament " von Iron Front handelt vom Verlust von Freunden und der Liebe und dem Einfluss, den sie auf unser Leben haben – sogar nach einem zu frühen Tod. Ich könnte mir vorstellen, mehr Songs über Liebe, Loyalität, Inspiration und geteilte Erlebnisse auf zukünftigen Platten zu haben – aber die Hardcore-Punk-„Tradition" des Songwritings scheint eher die politische Kritik hervorzubringen. Es ist auch einfach eine profundere Beziehung zur Geschichte, sich mit befreienden Ideen und der Bekämpfung des Krieges und panikmachenden Institutionen zu beschäftigen. Unsere persönlichen Beziehungen, obwohl sie sehr einzigartig, inspirierend und sehr wichtig sind, sind Teil unsere Privatlebens – unseres stillen Selbst. Die Schlichtheit und Energie, die sie erzeugen, helfen uns unseren Mut zu aktivieren und Lieder gegen das Sterben des Lichtes zu schreiben.

Wie kam es, dass ihr so viel von dem neuen Material in Europa geschrieben habt?

Wir befinden uns mittlerweile ziemlich häufig auf irgendeiner Form von Europatournee. Unser Schlagzeuger Eric lebte 2007 bis 2008 größtenteils in Europa. Es beginnt Sinn zu machen, unsere Rahmen-Wochenenden – also eine Woche vor oder nach einer Tour – und unsere gemeinsame Zeit, egal wo wir sind, zu nutzen. In Europa haben die "Nomads Of Prague" einen Proberaum und Platz zum Leben geschaffen, in die wir unsere Songs geatmet haben, direkt vom Laptop aus (also die Gitarren und Vocal-Spuren, die wir uns vorher hin und her geschickt haben, als wir vor der Tour noch in verschiedenen Städten gewohnt haben). Es ist witzig und bequem, dort zu leben, in dieser altertümlichen Stadt herumzuwandern und dann die ganze Nacht lang Musik zu machen, an einem sehr punkigen Ort. Wenn möglich, also so zwei- bis dreimal im Jahr, schreiben und proben wir auch in Richmond, Virginia, unserer eigentlichen Heimstadt, aber wir touren in den Staaten nicht so viel wie in anderen Ländern..

Was für Musik außer Punk hört ihr noch?

Jeder von uns mag viel verschiedenes Zeug. Ich und Josh (unser Roadie und Mitglied Nummer sechs) liebt Sixties Soul Music, alle Arten von Reggae und Dub und sogar ab und zu den Mainstream Hip-Hop, wenn es uns auf dem richtigen Fuß erwischt. Eric und ich lieben Electronic, Industrial, Noise-Folk, Dark Wave und ein wenig Post-Punk. Smith steht auf viel Americana, Country, Folk und Indie Rock-Bands. Garth mag ein wenig von allem, liebt aber frühen 80iger und frühen 90iger Hardcore und Post-Hardcore.

Was macht ihr Jungs, wenn ihr nicht an STRIKE ANYWHERE arbeitet?

Normalerweise besorgen wir uns irgendwelche Schichtarbeiten oder irgendwelche anderen Jobs, die wir kriegen können und die uns erlauben, nach drei Wochen wieder auf Tour zu gehen. Das ist härter als es sich anhört. Die meisten meiner Jungs arbeiten in den Bars und Restaurants von Freunden als Barkeeper, Kellner oder Lieferfahrer. Garth verkauft eine Menge alter und seltener Hardcore Platten über ebay. Ich habe die Hälfte des letzten Jahres – direkt vor den Aufnahmen zu Iron Front – mit einer rollstuhlfahrenden Frau mit zerebraler Lähmung gearbeitet. Sie war eine brillante Aktivistin für Sexualität unter behinderten Menschen und Schwulenrechte innerhalb und außerhalb dieser Kommune. Ihre Seminare und Workshops für diese revolutionären und essentiellen Themen haben die Wut der Zensur der mächtigen evangelikanischen Rechte der USA auf den Plan gerufen, und sie steht jetzt auf deren Liste dieser "Focus On The Family"-Faschisten. Ich habe „Failed State" über die Solidarität mit ihr und den Kampf mit diesen Bigotten geschrieben. Manchmal kann die Arbeit sogar den Songwriting-Prozess unterstützen.

Eure Band hat einen eigenen Twitter-Channel. Wie wichtig sind für euch solche Medien und wieviel Zeit opfert ihr dafür?

Diese Art von Medien sind nicht sonderlich wichtig für uns. Und wir sind auch nicht bereit dazu, übermäßig viel Zeit dafür aufzuwenden., in dieser zersplitterten Welt andauernder digitaler Lähmung zu leben. Es ist eher ein nebensächlicher Kanal für Tourneen und Informationen. Manchmal schreiben wir ein Update auf MySpace, Facebook oder Twitter und unsere normalen Homepage, aber das ersetzt nicht das Herz und die Seele, eine Show zu spielen oder ein Face-to-Face Gespräch in der realen Welt zu führen.

Famous Last Words?

"What you do to one of us, you have done to us all."

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