Geschrieben von Samstag, 26 Juni 2010 18:49

Valient Thorr & BugGirl - Berlin / White Trash


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Blood, Sweat & Beers“ - der Titel des BUGGIRL-Songs fasst perfekt zusammen, was an diesem Freitagabend in der Diamond Lounge los ist. Groteske Figuren, jede Menge Schweiß und Rock 'n' Roll at its fucking best mit VALIENT THORR und BUGGIRL.

Wenn auf der Website des White Trash 22 Uhr steht, geht die Tür frühestens um elf auf, und die Bands spielen irgendwann in der Nacht. Macht aber nichts, denn eine gewaltige Portion Laissez-faire gehört unzweifelhaft zum White Trash – ebenso wie zu den Protagonisten dieses Freitagabends, den bärtigen Außerirdischen VALIENT THORR und dem australischen Duo BUGGIRL.

Schon kurz nach Öffnen der Türen ist die im Souterrain liegende Diamond Lounge gut gefüllt. Passend zur Chinaspelunkenatmosphäre tummeln sich allerhand interessante Leute unter der niedrigen Decke; neben den verwegen aussehenden Künstlern fällt vor allem der DJ auf, ein Transvestit aus London, der mir mit dem Brustton der Überzeugung klar macht, dass England im Achtelfinale gegen Deutschland gewinnen wird. Mumpitz, sage ich, es geht ins Elfmeterschießen, grinse und stoße mit ihm an.
Generell ist das Publikum heute sehr gesprächig, jeder scheint mit jedem zu quatschen oder anzustoßen. Dabei fällt auf, dass ausnahmslos alle Anwesenden großflächig tätowiert sind; man fühlt sich wie auf einer Rock 'n' Roll-Convention. „Normale Leute“ sind Fehlanzeige.

BUGGIRL entern die Bühne und schmeißen erst mal eine gewaltige Soundwand in den kleinen Raum. Wahrscheinlich freut sich die Band jedes Mal den Arsch ab, die verdutzten Gesichter zu sehen, die nicht glauben können, dass auf der Bühne nur zwei Personen stehen. Amber (Gitarre, Gesang) und Clinno (Schlagzeug, Gesang) rotzen Hit um Hit ins Publikum, mit treibenden, bluesorientierten Hard-Rock-Riffs und einer wahnsinnig kraftvollen Performance, die niemanden an diesem Abend unbeeindruckt lässt.
Dabei headbangt, schreit und schwitzt Amber sich die Seele aus dem Leib; gniedelt sogar bei jedem zweiten Song ein veritables Gitarrensolo – ohne dabei auch nur ein Sekündchen Zweifel an der Vollständigkeit der Band hervorzurufen! Diese Frau ist eine kraftstrotzende Bombe auf der Bühne, eine grandiose Alleinunterhalterin, sexy trotz Schweiß und Körperfülle, die mit jedem Atemzug und jedem Saitenanschlag klarmacht, dass Bass und zweite Gitarre nur überflüssiger Luxus sind, die den Rock 'n' Roll aus der Kutte waschen. Umwerfend.

Man ist versucht zu glauben, dass VALIENT THORR gegen diese geborene Bühnenmacht nur noch abschmieren können. Die erste Handlung in der Pause ist daher, sich ein neues Bier zu holen und mit BUGGIRL anzustoßen. Aus Vorfreude auf die Außerirdischen, Elektrisierung von BUGGIRL und aus Faulheit, eine Treppe zu erklimmen ignoriere ich ADAM BOMB, die ein Stockwerk höher im Restaurant die Pause mit einem kurzen Set überbrücken und widme mich stattdessen dem Merchstand und meinem Bier. Mit der Kamera in der Hand stehe ich anschließend eine ganze Weile vor der Bühne rum, weil anscheinend der Tonmann verschwunden ist und niemand die Amps und das Schlagzeug von VALIENT THORR verkabelt. Als das doch irgendwann passiert, ist eine geschlagene Dreiviertelstunde rum und das angekündigte 20-Minuten-Set von ADAM BOMB bestimmt auch längst vorbei.

Das spacige Intro mit der tiefen, um einen epischen Ton bemühten Erzählerstimme ruft sofort Begeisterungsstürme im Publikum hervor. Binnen Sekunden ist es brechend voll vor der Bühne, jeder atmet dem anderen in den Nacken. Als VALIENT THORR die Bühne erklimmen und ohne Umschweife mit Knalleffekt „I Hope The Ghosts Of The Dead Haunt Yr Soul Forever“, den Opener des aktuellen Albums „Immortalizer“ raushauen, gibt es kein Halten mehr. Die Menschen vor der niedrigen Bühne (mich eingeschlossen) verdichten sich in kürzester Zeit zu einer amorphen Masse, die mit Schweiß und Bier geschmiert und von Love, Peace and Rock 'n' Roll angefeuert wird. Es wogt und schwappt durch den Raum; vorne schaffen es ein paar Leute, sich zu stabilisieren und hemmungslos die Haare zu schütteln, zu schreien und das teure Becherbier gleichmäßig ins Publikum zu verspritzen. Noch bevor Valient Himself die erste Ansage macht, ist alles voller Schweiß und Bier.
Was nach BUGGIRL nicht möglich schien, ist nun adrenalinversprühende Realität. Mit einer Inbrunst und Energie, die man derart intensiv in keinem Circle Pit der Welt findet, zelebrieren VALIENT THORR und all die Thorriors im White Trash gemeinsam ein ekstatisches Fest des Rock 'n' Roll. Dabei fällt es kaum auf, dass der ein oder andere Hit (z.B. „Red Flag“) im Set fehlt und stattdessen mehrere der Menschheit noch unbekannte Songs vom kommenden Album gespielt werden.
Zusätzliche Schmankerl neben der an sich schon grandiosen Darbietung sind die patentierten Akrobatikeinlagen (inkl. Gitarrensalti) von Eidan Thorr, die einzigartigen alles- und nichtssagenden Blicke von Nitewolf und – natürlich – der bis zur absurd erhöhten Rutschgefahr verschwitzte, rotbestiefelte und hemdlose Valient Himself. Rock 'n' Roll-Götter, die man erlebt haben muss.

Einziger Wermutstropfen für mich ist, dass ich in der Enge vor der winzigen Bühne und all dem umherfliegenden Schweiß und Bier kaum fotografieren kann – zudem besteht das Bühnenlicht in der Diamond Lounge aus gefühlten anderthalb Bauscheinwerfern, die im Zusammenspiel mit den Köpfen in der ersten Reihe des Publikums die Bühne zu 30 bis 70 Prozent in Schatten werfen können... ein paar überhöht nachbelichtete Schwarzweißbilder sind das einzige Bilddokument des Wahnsinns im White Trash. Aber was solls, das Erlebnis zählt – und das ist unvergesslich.

Wer die Chance hat, VALIENT THORR und/oder BUGGIRL live zu erleben, sollte sich das unter keinen – wirklich absolut keinen noch so wichtigen oder unwichtigen (Tode von Haustieren oder Vorgesetzten zählen da auch nicht, und Einladungen zu Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern noch weniger!) – Umständen entgehen lassen.

Fotos (c) BurnYourEars / Fabien Blackwater