Geschrieben von Samstag, 18 September 2010 14:54

Summer Breeze 2010 – Der Festivalbericht



Am Mittwoch (18.08.) mache ich mich mit dem Bummelzug auf den Weg. Vom Breisgau durch den Schwarzwald nähere ich mich Dinkelsbühl, und je näher man kommt, desto mehr metallisch gekleidete Gestalten erkennt man – denn es ist SUMMER BREEZE-Zeit. Wer noch kein Bier in der Hand hat, bekommt spätestens im Bus nach Dinkelsbühl eins spendiert. Mein Vorteil ist der, dass ich den morgendlichen Stau nicht miterleben muss, sondern komfortabel in einem voll gepfropften Bus von einer freundlichen Busfahrerin zum Festival kutschiert werde.


Das Zelt wurde von Freunden schon mehr schlecht als recht aufgebaut – aber Hauptsache, es gibt einen Schlafplatz. Mein Vorhaben heißt: viele Bands sehen und hören und trotzdem nicht nüchtern bleiben – also, hinein ins Vergnügen.
Den „New Blood Award" am Mittwochnachmittag bekomme ich nicht mit, da ich erst abends auf dem Zeltplatz eintrudle. Nach einer kleinen kulinarischen Stärkung begebe ich mich Richtung Zeltbühne (Party Stage), auf der um kurz nach neun SUFFOCATION spielen sollen. Da dies am ersten Abend die einzig bespielte Bühne ist, ist es viel zu voll und ich bleibe am inneren Zeltrand stehen, um mir die Schlachterei von dort aus anzuhören. Der Sound ist erstaunlich gut, so dass man sich das komplexe Geprügel der Amerikaner schön differenziert in den Schädel schrauben lassen kann.
Nach dieser klasse Eröffnung lege ich schon eine kurze Pause ein, da RAGE dieses Jahr nicht zu meinen Favoriten gehören.

Die Show von UNLEASHED danach ist gut besucht, und soweit ich das aus der Ferne beurteilen kann, walzt der tödliche Gig der Schweden solide durch die schwingenden Haarprachten. Als Tagesabschluss gibt es für mich dann noch EQUILIBRIUM auf die Lauscher, die ordentlich abgefeiert werden, da der Beliebtheitsgrad mit ihrem eingängigen Pagan-Black-Folk-Metal zur Zeit sehr hoch ist. Allerdings enttäuscht hier etwas der Sound, da die Keyboards – die bei EQUILIBRIUM oftmals eine wichtige Rolle spielen – leider öfter mal untergehen. Nichtsdestotrotz ist die Bude voll und Party angesagt. Anschließend wird nach Musikfachgesprächen unter Alkoholeinfluss auf dem Zeltplatz am frühen Morgen der Schlafsack heimgesucht.

Da es morgens schnell sehr warm und unaushaltbar in einem Zelt wird, benötigt man nach kurzem Schlaf schon am frühen Morgen zur Abkühlung ein Bier – oder zwei. Diverse Flüssig- und Festnahrung führt zunächst zu lustiger Trägheit, doch ein bisschen Musikhören gehört ja auch zum Festivalleben. Also, ab zu den Bühnen.
In sengender Hitze höre ich mir sitzend auf dem noch längst nicht überfüllten Gelände NAPALM DEATH an. Der Springinsfeld Barney gibt wie immer alles und die Band rumpelt sich durch ein gemischtes Set von Altem und Neuem, was von einigen Leuten an der Front abgefeiert wird.

Da der Spaßfaktor nicht fehlen darf, will ich mir einmal GRAILKNIGHTS angucken. Eins muss man diesen verrückten Jungs im Superman-Anzug lassen, singen können sie... und ihre unspektakuläre Mischung aus Power und Melodic Death Metal ist relativ simpel, aber macht Freude. Vor allem einige merkwürdig verkleidete Tiere, die über die Bühne watscheln sowie Publikumsspiele machen den Auftritt zu einer Gute-Laune-Pause auf einem doch eher harten, dunklen Festival.

Vom Zelt zur großen Hauptbühne zurückgekehrt, warten nun deutlich mehr Menschen auf die APOKALYPTISCHEN REITER. Die lassen sich nicht lumpen und geben Gas, auch mit einem Stück vom neuen Album – was einem im ersten Durchgang nicht unbedingt die Schuhe auszieht. Generell gibt es mittlerweile immer mehr neuere Lieder zu hören. Schade eigentlich um die kurzen, heftigen Knüppelstückchen der Anfangsphase. Die Hüpfburg auf der Bühne, wie sie vor 5 Jahren beim „Summer Breeze" war, wird allerdings nicht überboten. Bis auf Dr. Pests übliche Auspeitschungen, eine Rutsche und eine Schaukel, ein paar schwarze Luftballons für die Zuhörer und viele Mädels („alles, was Brüste hat") beim letzten Lied auf der Bühne, ist die Show der Reiter etwas routiniert – aber trotzdem wie immer gut.

Schnell zum Zelt gejoggt, höre ich mir noch INSOMNIUM an, die ihren melancholischen Death Metal in ein wohl gesonnenes Publikum hinausposaunen. Die hier wichtigen Leads kommen stimmungsvoll rüber und es darf gebangt werden. Bei den darauf folgenden SWALLOW THE SUN interessiert mich, wie sie live ihre Düsterheit verbreiten. Der kurzhaarige Sänger mit Cappi auf dem Dach könnte fast ein Rapper sein, aber sein klarer und gutturaler Gesang beweisen das Gegenteil. Klanglich gut abgemischt verpassen viele Leute diese Lektion in finnischem Death-Doom, zu dem man genüsslich seinen Schädel gegen eine Wand hämmern könnte oder im Bierbad untergehen will. Die Schwermut ist hier der Sieger vor relativ wenigen Leuten, was wahrscheinlich daran liegt, dass auf der großen Bühne OBITUARY spielen, zu deren Auftritt ich leider nichts sagen kann (Schande über mein Haupt, aber alles geht halt nicht).

Nach kurzer Meditation auf dem Zeltplatz begebe ich mich in der Nacht nochmals ins Zelt, um mir NECROPHAGIST reinzuziehen. Muhammed erkenne ich mit seinen langen Haaren kaum wieder, und der technisch kalten Mucke entsprechend sind die Ansagen sehr kurz gehalten. Songtitelansage, kunstfertiges Todesblei, „Summer Breeze" – mehr gibt's nicht zu hören. Bei den vielen Breaks ist es schwierig, etwas anderes zu machen als nur zuzuhören, da man in keinem normalen Rhythmus moshen oder bangen kann. Man hätte das Zelt fast bestuhlen können, und obwohl der Sound nicht astrein war, kann man doch von einem ordentlichen Brutalo-Konzert sprechen.

Leicht gerädert von den üblichen Festival-Erscheinungen beginnt der musikalische Abschnitt des Freitags für mich erst nachmittags um vier. Hier geben sich auf der Main Stage ENSIFERUM die Ehre und es ist verhältnismäßig voll. Während sich drei junge Herren im Publikum dem Spanking hingeben, schaue ich mir lieber die nordischen Hellhäuter an, die mit wenig Brimborium ihre Show abziehen. Es wird fröhlich gemosht und gesungen und alle sind zufrieden.
Zur Entspannung höre ich mir im stark ausgedünnten Publikum ANATHEMA an. Gefühlvoll proggig verbreitet die Truppe eine fast andächtige Atmosphäre am frühen – immer noch sehr warmen – Abend. Mit klasse Live-Qualitäten und gutem Sound überzeugen mich ANATHEMA davon, mich später weiter in ihre Musik zu vertiefen, die bis dato recht selten den Weg in meine Ohrwindungen gefunden hat.

Doch jetzt sollte es was auf die Glocke geben. Die Metzgerei von CANNIBAL CORPSE hat geöffnet und es gibt Schlachtplatte – fast ein bisschen früh für solch ein Abendessen um sechs. Die Ansagen des Corpsegrinders kennt man zwar schon, da sie zumindest bei manchen Songs kaum variieren (z.B. „Now a song about shooting blood out of your cock... - I cum blood"). Dafür wettet der Herr Fisher, dass er seinen Haarpropeller schneller laufen lassen kann, als alle geneigten Hauptschüttler vor der Bühne. Und ich würde fast behaupten, der Mann mit dem Stiernacken hat gewonnen. Die Amerikaner knallen routiniert ihre Setlist durch und schließen den Blutwurstladen mit dem obligatorischen „Hammer Smashed Face".

Die darauf folgenden END OF GREEN höre ich mir gemütlich mit einem Gerstensaft von weiter hinten an. Highlight neben der Düstermucke ist zeitweise auch der Sohn des aktuellen Albumproduzenten, der mit seiner eigenen Minigitarre alles in Grund und Boden rockt. Auf der Hauptbühne macht sich Peter Tägtgren derweil bereit, den Dinkelsbühler Besuchern eine Lektion in wohltönender Gewalt zu erteilen. Der kleine Schwede mit den Augenringen gibt Vollgas und lädt die Geschützstation nach dem Einstieg von neueren Songs auch mit alten Kamellen. Da rumpelt es ordentlich im Gebälk und es gibt sowohl erstaunte als auch freudig erregte Gesichter, die sich der melodischen Todesorgie hingeben. Wobei die schönen Harmonien im Prügelgewand des „Virus"-Albums und der neuesten Scheibe auch nicht zu kurz kommen. Der Nacken schmerzt, die Band und die Meute haben Spaß – eine runde Sache, die HYPOCRISY da abliefern.

Als ich mich nach dem letzten Riff umdrehe, leuchtet die blutrot beleuchtete Schmerzbühne und GORGOROTH bitten zum Totentanz. Der Bühnenaufbau ist nicht ganz so umfangreich, wie er schon bei anderen Festivals war. Mit ihrem rauen Schwarzmetall erfreuen die Norweger auch ohne Gaahl alle dunkel Gewandeten. Düstere Harmonien im ruppigen Klanggewand legen sich schwer auf die Gemüter. Doch trotz der Güte des Materials ist die Stimmung nicht dauernd enthusiastisch – vielleicht sind manche der Anwesenden auch schon müde.

Die Nacht bleibt für mich schwarz, da ich statt der gerade überflieger-populären HEAVEN SHALL BURN lieber WATAIN im Zelt sehen will. Mein Interesse gilt mehr den blutverschmierten Satansbraten als den Königen der Wall of Death. Da die Schwarzmetaller leicht Verspätung haben, kann man sich mit der Betrachtung des aufwändigen Bühnenbildes einstimmen. Umgedrehte Kreuze mit Kerzenlicht, auf jeder Seite der Bühne ein brennender Dreizack, und die Band erscheint schließlich in voller Leder-Nieten-Blut-Kluft. Ohne viele Umschweife geht die Hetzerei los und es wird dem Höllenfürsten gehuldigt. Bei rüdem, genügend druckvollem Sound könnte sich jeder vor Freude das schwarze Herz aus dem Leib reißen. Atmosphärisch dicht und authentisch dunkel beweisen WATAIN, dass sie für manchen im Moment die heimlichen Könige des Black Metal sind. Trotz anfänglicher Verspätung hören die Jungs pünktlich auf - nicht wie THE DEVILS BLOOD, die laut Aussage eines Freundes ihren Zeitplan am Vortag nicht akzeptierten und sich mit der Security prügelten, als der Strom abgeschaltet wurde. Sehr unprofessionell, meines Erachtens.
Meine Energie ist nach diesen vielen guten Konzerten im unteren Bereich, so dass ich ledier DYING FETUS und ORPHANED LAND verpasse. Man kann nicht alles haben.

Als der letzte Festivaltag anbricht, begebe ich mich relativ spät aufs Bühnengelände. Mit stärkender Flüssignahrung (eine Halb-Liter-PET-Flasche voll Jägi, deren Deckel mir wegen „Wurfgeschossgefahr" am Eingang abgenommen wird...) in der Hand lausche ich den Klängen von SÓLSTAFIR, deren Performance ich von hinten im Zelt kaum sehen kann. Doch von der tollen Stimme des Herrn Tryggvason kann man sich auch so gefangen nehmen lassen. Sympathisch ist auch, dass man die Band kurz nach dem Auftritt unter den Leuten wieder trifft. REBELLION rocken dann das längst nicht überfüllte Zelt, doch die Stimmung bleibt etwas im festgetretenen Matsch hängen. Erst als am Ende der GRAVE DIGGER-Klassiker „Rebellion" erschallt, tobt die Meute. Da kommen für mein Gefühl die harten Folker von MÅNEGARM ein bisschen besser an. Zwar ist es nicht ganz einfach, den Sound differenziert genug hinzukriegen, aber minimaler Makel wird von der Lautstärke eh wett gemacht. Und gefeiert wird so oder so.

Gemütlich schlappe ich zu den Hauptbühnen, bekomme noch die letzten Töne von SICK OF IT ALL mit und mache micht für den Abschied bereit – von Emperor Magus Caligula. Da der Frontmann von DARK FUNERAL nach seiner Hochzeit wohl anderes vorhat, lässt er nochmals die Sau raus, bevor Schluss ist. In voller Montur präsentieren die Schweden ihren rasenden Black Metal und es schwingen viele Matten. Auf Wiedersehen sagt der Sänger, der eigentlich Masse Broberg heißt, dann stilecht mit „My Funeral". Klasse Gig!

Jetzt wird's voll – und ich bin fast nüchtern – aber bald ist ja auch schon alles vorbei. Die finnischen Clowns von CHILDREN OF BODOM kommen zu ihrem Einsatz. Es ist wirklich gerappelt voll und Alexi und Co. legen los, ohne viel Geblödel. Alles zu seiner Zeit. Dass aber auch hier bei fast jedem Song eine Wall of Death gestartet wird, ist nervig. Vor allem, wenn die Kids dann zu früh losrennen, da sie anscheinend nicht wissen, wann der jeweilige Song volle Kanne losgeht. Doch ich habe den Eindruck, ein junge Gegenbewegung bangt sich lieber das Hirn raus – vielleicht ist eine WoD doch nur eine kurzzeitige Modeerscheinung. Nach einer gemischten Setlist, die für jeden Fan etwas bereithält, geht dann die übliche Blödelei los. Janne sei zu betrunken für „Kissing the Shadows", er spielt dann lieber „Jump" von VAN HALEN. Herr Laiho kommentiert alles entsprechend – erstaunlicherweise ohne den wie üblich häufigen Gebrauch des F-Worts. Ab und an hat man zwar den Eindruck, dass die Drums und das Keyboard nicht immer mit dem Rest übereinstimmen, aber bei dieser Spaßgesellschaft kann man ruhig ein Auge zudrücken. Denn Entertainment ist die Show allemal, und von „Follow the Reaper" bis zum balladesken „Every Time I Die" bekommt man genügend gute Mucke auf die Ohren.

Die Stunde Null ist die Stunde von MY DYING BRIDE. Passend um Mitternacht packt die Mannschaft um Sänger Aaron Stainthorpe ihre Instrumente aus und liefert eine packende Show ab, die nicht von Aggressivität oder Ulk-Unterhaltung lebt, wie die der Vorgänger. Melancholisch ruhig und finster brachial erlebt eine ziemlich kleine Zuhörermenge künstlerisch ästhetisches Sterben. Manch einem sind die höchst dramatischen Posen des Frontmanns an der Grenze zum kitschigen Zelebrieren des schattigen Todes (auch für mich ist es teilweise hart an am Limit), aber diese vertonte Schwermut bringt einen düsteren Kolorit mit sich, wie es kaum jemand anders schafft. Auf diesem Festival könnten hier höchstens noch SWALLOW THE SUN ein ähnliches Ambiente erzeugt haben.
Diese wunderbare Lektion in Sachen Dämmerlichtmusik verdaue ich gemütlich mit einem Bier, bevor sich weit vor mir im Zelt THE CROWN mit ihrem schwedischen Death-Thrash-Mix die Seele aus dem Leib prügeln. Man hat seit einigen Jahren kaum etwas von dieser Band gehört, und so werde ich auch von ein paar Leuten gefragt, wer denn da überhaupt zockt, doch Songs von u.a. vom Album „Deathrace King" hauen gut rein.

Von einigen Nachtschwärmern sehnlich erwartet, treten ebenfalls mit einiger Verspätung 1349 auf die Zeltbühne, was nicht nur an dem ständig von den Boxen herunterrutschenden Banner liegt. Ohne Umschweife brettern die schwarzen Gesellen mit ohrenbetäubender Lautstärke los – lauter als die meisten anderen. Leider ist der Sound nicht sehr gut abgemischt, so dass einem von den vielen Höhen fast die Ohren wegfliegen. Kaum Ansagen, hohes Tempo und viele ältere Songs: Ohne die Schwerpunkte auf das umstrittene Vorjahresalbum zu legen, geben sie ein Hassfeuerwerk erster Güte ab – wenn nur der Klang nicht wäre. Alles in allem ein guter Gig, auch wenn die derben Gitarren von 1349 das Zelt mit Lärm füllen, der anders gemixt wahrscheinlich mehr als ein anerkennendes Kopfnicken ernten würde. Andererseits ist nachts um drei Uhr auch schon viel vorher passiert – und für mich war's das dann auch.


Fazit: Was hatten wir für ein Glück. Ich erlebte zumindest keinen Stau, freundliche Sicherheitsleute, das Wetter wurde pünktlich warm und trocken, so dass nur der Mittwoch noch ziemlich matschig war. Eine Freundin wurde nach einem Sonnenstich gut von den Sanitätern in deren Zelt versorgt, die Essens- und Getränkepreise waren auch im annehmbaren Berreich. Insgesamt gibt es bei der Organisation eigentlich kaum etwas zu bemängeln. Das Summer Breeze 2010 war also eine große Party mit harter Mucke, die gerne so weiter gehen kann.

Fotos © BurnYourEars / Manuel Kiefer

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