Geschrieben von Dienstag, 26 Juni 2007 18:46

Panteón Rococó & Smooth Lee - Münster / Sputnikhalle


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09.05.07 – Wenn man zu denen gehört, die ein Faible für Ska haben (der ja nun wirklich nicht dem Jedermann ihm sein Hund sein Ding ist), seit über einem Jahr kein entsprechendes Konzert besucht hat, und wenn dann auch noch die Skapatisten von PANTEÓN ROCOCÓ in der Lebenswertesten Stadt Der Welt (man glaubt es kaum: Münster in Westfalen) zu Gast sind, dann muss man einfach hin.


Als wir zu zweit pünktlich zum offiziellen Einlassbeginn vor der Sputnikhalle ankommen, hat sich bereits eine locker vor der Kasse verstreute Menge von knapp 100 Alternativen und auf alternativ gestylten Leuten angesammelt. Nichts deutet auf den tatsächlichen Einlassbeginn hin, alle sind völlig relaxt.

Nebenan sagt jemand in etwa "Ich hab zwar keine Karte und kenne die Band kaum, aber das wird schon", was ich für recht optimistisch halte, da ein volles Haus erwartet wird, wie mir gesagt wurde. Und tatsächlich: es wird immer voller, und aus dem lockeren Grüppchen wird ein dichter Haufen, der nun allerdings aufgrund der heraufziehenden bedrohlichen Wolken und einiger erster Regentropfen nicht mehr ganz so entspannt ist, misstrauisch nach oben schielt und langsam in Richtung Kasse drängt. Die öffnet auch in just diesem Moment und der Bandwurm zieht ins Innere des Betonmolochs.

Kurz danach legen die standesgemäß fast vollzählig in Anzüge gekleideten Belgier von SMOOTH LEE mit ihrem bemerkenswert guten Ska-Punk los. Genau genommen spielen die sieben Jungs viel Streetpunk, viel Ska und am allermeisten Ska-Punk, also genau die richtige Bandbreite, um die Temperatur in der sich zusehends füllenden Halle zu erhöhen. Die dreiköpfige Bläsersektion (Tenor-Sax, Trompete, Posaune) zeigt sich ausgezeichnet arrangiert, verspielt und tanzfreudig, die Gitarren gaben Gas, der Bass tanzt die Saiten rauf und runter und der Drummer spielt nicht erst seit gestern Ska-Punk. Dazu eine Stimme der rauheren Sorte und  so mancher Mitsing-Refrain, und schon zeigen erste Skank-Einlagen und zunächst noch schüchterne Pogo-Spielchen vor der Bühne an: die Band ist der richtige Support. Nach knapp zehn Liedern ist dann Schluss, der Name SMOOTH LEE wohlwollend vermerkt und der Weg zur Theke verlockend.

1 Minute später: Ich stelle mich an.

15 Minuten später: Ich bekomme ein Bier und eine (absichtlich bestellte!!!) Cola.

1 Minute später: Das Bier befindet sich in meinem T-Shirt, der zerbrochene Becher in meiner Hand und eine durch Ärger und Überraschung veranlasste dämliche Beleidigung auf dem Weg durch den Äther zu jenem Mädchen, das durch ein völlig überflüssiges Zucken des Ellenbogens mein erlesenes und im wahrsten Sinne des Wortes eifrig erstandenes Kaltgetränk seinem Verwendungszweck entzog.

27 Minuten später: Ich habe keine Ahnung, wie viele Leute in der Sputnikhalle sind und ob dort so viele hinein dürfen, aber eines scheint mir klar: Wenn man nicht mehr umfallen kann, dann ist ein Laden voll.

1 Minute später: Nach vorläufigen Schätzungen entern ungefähr zehn Mexikaner die Bühne und entfachen binnen Sekunden einen solchen Feuersturm an Latino-Ska, dass das Publikum gar nicht anders kann, als zu tanzen und aus der guten alten Sputte die womöglich in diesem Moment einzige tanzende Sardinenbüchse der Welt zu machen! Was angesichts der Enge eigentlich der Physik zu widersprechen scheint, gelingt: bis weit in die hinteren Reihe hinein wird geskankt, gepogt und den Gestürzten wieder hoch geholfen. Und das Beste daran: Alles friedlich, alles mit einem Lächeln im Gesicht.

Wie geht das? Es muss wohl an PANTEÓN ROCOCÓ liegen, diesem beinahe in Fußballmannschaftsstärke angetretenen Monster von einer Band, das irgendwie mühelos die politische Agitation der für die Rechte der Indios kämpfenden Zapatisten mit schwülen Liebesliedern verbindet, ohne rot zu werden. Naja, politisch mögen sie rot sein und/oder auch anarchistisch… Bei der Musik jedenfalls mischen sie so ziemlich alles, was Mittel- und Südamerika zu bieten haben (Salsa, Cumbia, Reggae, Mariachi…) und bringen dann die Power des Rock und die Verspieltheit des Ska rein, wie es wohl keine andere Band in dieser Perfektion tut. Song um Song, immer weiter. Wozu soll ich da ein spezielles Stück nennen?

Bald erscheint das ganze Konzert wie ein einziges, alle Möglichkeiten der zahlreichen Instrumente nutzendes monumentales Ska-Lied, fast nur unterbrochen von Ansprachen in Richtung des Mr. George W. Bush und ähnlich denkender Menschen. Wie Sänger, Spaßmacher und Agitator "Dr. Shenka" seine kurzen (und manchmal auch ausschweifenden) Reden hält… Mensch, der könnte sogar Bingo-Zahlen so spannend aufrufen, dass man sich sofort gesellschaftlich engagieren will! Und wer es drauf anlegt kann versuchen, alle Musikrichtungen rauszuhören, die in immer neuen Kombinationen zusammengesetzt werden.

Noch besser: Man macht es so wie (zumindest soweit ich nach hinten schauen konnte) der Großteil des Publikums und kümmert sich nicht um den transpirationsbedingten Indoor-Regen und skankt sich stattdessen um den Verstand.
Oder man schaut sich an, was auf der Bühne abgeht, denn wenn (laut zwischenzeitlicher Zählung) genau 10 Mann vor einem entfesselten Publikum auf der Bühne stehen, dann zeigen die Herren Musiker auch gerne mal ihren Spaß an der Sache. Blödeleien, Tanzeinlagen, Kostüme, urkomische pantomimische Darstellungen der Texte…es nimmt einfach kein Ende.
Und dann noch die genialen Mitmach-Aktionen. Mitmach-Aktionen? Klingt ja furchtbar! Aber wer dort war (oder bei anderen stimmungsvollen Konzerten der Band) wird verstehen, was ich meine, und ebenfalls verstehen, wenn ich denen, die die Band noch nicht live erleben durften, nicht verrate, was sie sehen und mitmachen werden.

Ich habe noch nie erlebt, dass eine Band ihr Publikum so sehr im Griff hatte! Durch die Musik, die Intensität und die souveräne, lockere Art ergab sich das alles ganz natürlich – ein wahnsinnig guter Auftritt, der mit einer irrwitzigen, von der Band angeführten Polonaise abgeschlossen wurde! Ich hätte nicht gedacht, dass eine Polonaise ein Triumphmarsch sein könnte, aber genau so war's!
Link: www.panteonrococo.com

Fotos (c) Kirsten Große Gehling