Geschrieben von Freitag, 29 April 2011 00:00

Underoath & Devil Sold His Soul – Hamburg, Knust

UO5

Es ist zwar erst April, allerdings ist in Hamburg bereits seit über einer Woche der Sommer eingezogen und somit spielt sich am heutigen Ostersamstag das Leben draußen ab. Als ich um 19 Uhr beim Knust ankomme, ist es vor dem gemütlichen Club bereits rappelvoll, allerdings hauptsächlich mit Fußballfans, die nach der Niederlage der beiden Hamburger Mannschaften am Nachmittag nun den Sieg von Mönchengladbach über Dortmund verfolgen.


Um kurz nach 20 Uhr ist Einlass für das heutige UNDEROATH Konzert, welches viele Fans sicherlich mit gemischten Gefühlen antreten, da es das erste Deutschlandkonzert ohne ihren markanten, singenden Drummer Aaron Gillespie sein wird, der die Band nach der letzten Europatournee verlies. Ich persönlich bin absolut zuversichtlich, dass die Jungs aus Florida live auch ohne Aaron glänzen werden, da ich ihr neues Album Ø (Disambiguation) absolut großartig finde und Frontmann Spencer Chamberlain die cleanen Gesangsparts auch allein wunderbar meistert.

Um 21 Uhr stürmen die Anheizer DEVIL SOLD HIS SOUL aus Großbritannien mit sechs Mann die kleine Bühne des Knusts und legen mit ihrem progressiven, atmosphärischen Post Hardcore los. Leider ist der Club heute überraschend leer und sogar der obere Rang ist abgesperrt, was die jungen Briten und besonders Frontmann Ed Gibbs allerdings nicht davon abhalten kann, auf der Bühne ordentlich Gas zu geben und die Zuschauer nach anfänglichen Soundproblemen in oft tieftraurige, düstere Klangwelten mit urplötzlich ergreifenden Ausbrüchen zu entführen.
Auch wenn die Musik von DEVIL SOLD HIS SOUL sicherlich keine leichte Kost ist, ist das Hamburger Publikum, welches am heutigen Abend zum Hauptteil aus Jungs besteht, sichtlich ergriffen und folgt dem Rhythmus der oft treibenden Beats und den wunderschönen instrumentalen Klängen. Sänger Ed ist auch kein Mann der großen Worte, bedankt sich zwischenzeitlich nur kurz bei UNDEROATH und weist darauf hin, dass das neue Album „Blessed & Cursed“ am Merchandise Stand käuflich zu erwerben ist. Das Merchandise verkauft übrigens Basser Jozef Norocky später dann höchstpersönlich. Große Worte braucht es auch nicht, denn die Musik spricht für sich und wird durch wenige gezielt eingesetzte Samples und gelegentliche Gang Vocals angereichert. Sänger Ed ist die komplette Setzeit über aktiv, springt auf die Monitorboxen und schleudert – immer im Takt der Musik – seine Arme in Richtung Publikum. Weniger ist oft mehr und dennoch besitzt der schmächtige Frontmann eine ordentliche Bühnenpräsenz.
Da ich die Songs der Briten bisher nicht kannte, ist mir von den Titeln her nur „The Disappointment“, zu welchem auch bereits ein Musikvideo existiert, und „Ocean Of Lights“ in Erinnerung geblieben. Insgesamt spielen DSHS etwa 40 Minuten, schaffen es in dieser Zeit durch die Länge ihrer Songs aber gerade mal, sechs Lieder zu spielen. Mich hat ihr Auftritt absolut überzeugt und ich finde, UNDEROATH hätten sich keinen passenderen Supportact aussuchen können.

Eine gute halbe Stunde später – etwa gegen 22:20 Uhr – ertönt ein beklemmendes Intro mit Glockenspiel und simuliertem Herzschlag, im Hintergrund ist auf einer Videoleinwand eine Winterlandschaft zu sehen. Nach einem ohrenbetäubenden Pfeifen legen UNDEROATH mit „In Regards To Myself“ los und haben die Menge vom ersten Moment an auf ihrer Seite. Mittlerweile ist das Knust auch relativ gut gefüllt, aber ich bin immer noch schockiert, dass der Club bei dem Bekanntheitsgrad der Band aus Florida nicht aus allen Nähten platzt - eventuell liegt's am Osterwochenende. Die Band scheint das nicht zu stören, denn sie legt allesamt mit purer Energie los und strahlt besonders bei den Songs der neuen Scheibe Ø (Disambiguation) absolute Spielfreude aus. Und das, obwohl Keyboarder Chris fehlt, da er kurz vor Beginn der Europatournee zum zweiten Mal Papa geworden ist – denn er sorgt durch sein zügelloses, durchgeknalltes Verhalten (laut Aussage der Band) bei den anderen Mitgliedern sonst immer für einen zusätzlichen Ansporn.

Eindeutiger Blickfang ist heute (und wie eigentlich auf allen vier UNDEROATH Konzerten, die ich bisher besucht habe) Sänger Spencer Chamberlain, der – ohne es darauf anzulegen – seinen Bandkollegen die Show stielt. Er ist der geborene Frontmann, der es drauf hat, mit wenigen Worten, filigranen, tänzelnden Bewegungen und ergreifenden, leicht theatralischen Gesten ein Publikum komplett zu fesseln. Erst nach dem zweiten Song „Breathing In A New Mentality“ gibt es von Spencer am heutigen Abend eine kurze Begrüßung, bei der er sich erkundigt, ob auch alle Englisch verstehen, da er ja ein ignoranter Amerikaner sei, der nur eine Sprache spricht. Nach der Frage, wer denn bereits das neue UO Album besitzt, welches im November 2010 veröffentlicht wurde, folgt mit „In Division“ der erste neue Song des Abends, bei dem im Hintergrund auf der Videoleinwand das dazugehörige Video abgespielt wird. UNDEROATH sind während dieses Songs komplett in ihrem Element, das Publikum gerät allerdings erst bei "It's Dangerous Business Walking Out Your Front Door" vom Durchbruchsalbum They're Only Chasing Safety in Extase. Der von der Menge mit hochgerissenen Armen lauthals mitgeschriehene Kirchenchorpart "Drowing In My Sleep, I'm Drowning In My Sleep" ist auch für mich jedes Mal ein absolutes Highlight bei den Shows der Christen aus Florida.

Dann folgt mit "The Created Void" ein kleiner Ausflug ins 2008er Release Lost In The Sound Of Separation. Lange lassen uns UO allerdings nicht in der Vergangenheit schwelgen, denn mit "Paper Lung" und "A Divine Eradication" geht es danach gleich wieder in die Gegenwart. "Paper Lung", welches übrigens die zweite Single aus Ø (Disambiguation) ist, zu der jünst auch ein Video veröffentlicht wurde, performt Spencer zeitweise kniend, direkt vor der ersten Reihe und läßt sich währenddessen von seinen Fans die Rastamähne streicheln. "A Divine Eradication" ist der härteste und düsterste Song der neuen Scheibe und kommt live richtig gut. Nach dieser schweren Kost bedankt sich Spencer erstmal beim heutigen Supportact und allen Fans, die an diesem Abend anwesend sind. Außerdem fordert er uns auf, unsere Lieblingsbands immer so gut es geht zu unterstützen und Tickets für deren Konzerte zu kaufen, da mittlerweile neben den CD-Verkäufen die Ticketverkäufe rückläufig sind. Das wird von den Hamburgern erst mit Applaus und beim großartigen "Moving For The Sake Of Motion" sogar mit einigen Stagedivern "belohnt".

Kurzfristig Zeit zum Durchatmen gibt es dann am Anfang des fantastischen "To Whom It May Concern" aus meinem Lieblingsalbum Define The Great Line mit atmosphärischen, instrumentalen Klängen, die von leichtem Keyboardgeplätscher begleitet werden. Doch das ist nur die Ruhe vor dem Sturm denn zum verstörenden, ausbruchsartigen Endteil des Songs rasten sowohl Band als auch Crowd gleichermaßen aus. Besonders Sänger Spencer dreht komplett durch und lebt einfach jede Sekunde dieses Songs, ob sitzend, tänzelnd oder wild gestikulierend. Und als ob das nicht schon großartig genug war, folgt nun mein absoluter Lieblingssong "A Boy Brushed Red Living In Black And White", bei dem gefühlt jeder der Anwesenden Hamburger lauthals mitgröhlt – ein Traum!
Nach dem nicht minder herrlichen "Who Will Guard The Guardians" ist der Zauber nach 50 Minuten leider auch fast schon wieder vorbei, aber einige "One More Song!"-Rufe holen die Jungs schnell wieder auf die Bühne zurück. Nach Spencers nun folgender Aussage "One more song? What about two more songs?!" äußert jemand aus der Menge den Wunsch nach "Psycho Social" von SLIPKNOT, worauf der schmächtige Sänger lachen muss und das Publikum mit ihm. Die Stimmung ist großartig und findet seinen leider viel zu frühen Abschluss mit dem neuen "Illuminator" und zu guter letzt dann mit dem tollen "Writing On The Walls". Besonders bei letzterem fällt auf, wie fantastisch Gitarrist Tim die hohen Vocals hinbekommt, die sonst von Ex-Drummer Aaron kamen. Um 23:15 Uhr entlassen uns die Amerikaner mit einem herzlichen "We love you" in die Nacht, welches wohl alle Anwesenden nur zurückgeben können.

Abschließend muss ich sagen, dass UNDEROATH in ihrer neuen Formation einheitlicher und überzeugender wirken, als zuvor und es live überhaupt nicht aufgefallen ist, dass der für viele so wichtige singende Drummer Aaron Gillespie nicht mehr dabei war. Den Leuten allerdings, die UNDEROATH hauptsächlich wegen "They're Only Chasing Safety" geliebt haben, mag der neue Stil der Band aus Florida eventuell nicht so recht schmecken. Allen anderen, vor allen denen, die auf etwas Komplexität und Atmosphäre stehen, kann ich UNDEROATH 2011 nur wärmstens empfehlen.  

Setlist UNDEROATH:
 
In Regards To Myself
Breathing In A New Mentality
In Division
It's Dangerous Business Walking Out Your Front Door
The Created Void
Paper Lung
A Divine Eradication
Moving For The Sake Of Motion
To Whom It May Concern
A Boy Brushed Red Living In Black And White
Who Will Guard The Guardians
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Illuminator
Writing On The Walls

Fotos © BurnYourEars / Jana Meyer