Geschrieben von Freitag, 27 Oktober 2006 00:12

Stone Sour & Flyleaf - Hamburg / Markthalle


25.10.2006 – Es ist 20:30 Uhr, und die Markthalle zu Hamburg droht aus den Nähten zu platzen. Auf der Straße werde ich auf Rest-Karten angesprochen, denn der Laden ist komplett ausverkauft. Das heißt in diesem Falle: Ca. 1100 Leute stehend, 500 sitzend, Sauna-Temperaturen von Anfang an und Hammer-Stimmung. Das kann was werden.

Punkt 20:45 Uhr und FLYLEAF legen los. Die stärksten Songs des selbstbetitelten Debüts kommen klar, frisch und wuchtig aus den Boxen gedrückt. Zwei Gitarristen, von denen der eine wie ein Derwisch auf der Bühne herumspringt, ein Bassist, der sich beim Abgehen mit seinem Bass mehrfach beinahe selbst ausknockt und ein Drummer, der zusammen mit Frontfrau Lacey Mosley einfach einen verdammt guten Job abliefert – die Texaner lassen’s sofort von null auf hundert hochkochen.
Es dauert ein wenig, bis der Funke überspringt und die Leute mitgehen, doch die anfängliche Skepsis auf manchen Gesichtern legt sich schnell. So schnell, dass die stimmlich fitte und nur körperlich zerbrechlich wirkende Lacey die dicht gedrängte Meute zu ihren Füßen auffordert, beim Pogen auf die Mädels aufzupassen – und in der Tat, im weiteren Verlauf des Abends sollte es zweimal ganze Reihen vorne umreißen.
Die aktuelle Single „I’m So Sick“ wird lauthals mitgesungen, „Fully Alive“ und „Perfect“ kommen ebenfalls phantastisch an, und mir selbst stellen sich bei der Halbballade „All Around Me“ für gefühlte zwei Minuten sämtliche Körperhaare auf. FLYLEAF klingen live genau so emotional wie auf ihrem Debüt, agieren ungemein agil mit regelrecht sportiver Spielfreude und haben die Interaktion mit den Fans ebenfalls drauf. So werden zwischendurch reichlich Wasserflaschen in die ersten Reihen weitergereicht, und ungefähr die halbe Markthalle singt Geburtstagskind Pat Seals ein Ständchen, für das sich der Bassist mit einem ziemlich waghalsigen Sprung von einer Drei-Meter-Box "bedankt". Nach einer dreiviertel Stunde ist finito und warmer Applaus füllt die Halle. Extrem überzeugende Band, klasse Gig.

Doch die Leute würden sich nicht nahezu in der Markthalle stapeln, wenn der Hauptact nicht noch ein Pfund draufpacken könnte. Und in der Tat, als STONE SOUR nach einer halben Stunde Umbaupause (mit einem unterhaltsamen Schlumpfstimmen-Mikro-Roadie) endlich zu „The Final Countdown“ die Bühne betreten, brandet ohrenbetäubendes Klatschen auf, mit dem vom Opener „30/30-150“ an jeder Song von Corey Taylor und seinen Jungs gewürdigt wird.
Der SLIPKNOT-Sänger kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus und ist zu Anfang ziemlich sprachlos aufgrund der unglaublichen Resonanz der Fans. – Es scheint in der Tat, als seien sämtliche STONE SOUR-Jünger aus dem Norden Deutschlands angereist, um komplett am Rad zu drehen. Ich sehe mir das bereits verwundert an, doch selbst der erfolgsverwöhnte Corey kriegt angesichts dieses Zuspruchs kaum mehr als ein fast andächtiges „Jesus Christ…“ oder ein ungläubig-trockenes „Fuck …“ über die Lippen. Bestens gelaunt unterhält er souverän sein Publikum zwischen den Songs, animiert immer wieder zum Mitsingen und Mitklatschen, und schafft eine so herzliche, freundschaftliche Atmosphäre zwischen Bühne und Auditorium, wie ich sie auf einem Konzert selten erleben durfte.

Musikalisch geben STONE SOUR der Masse alles, was sie zu bieten haben, und das Debüt wird neben dem aktuellen Silberling "Come What(ever) May" natürlich nicht vergessen. Dabei unter anderem „Take A Number“, „Reborn“, „Your God“, „Orchids“, und als die Musiker kurz verschwinden und daraufhin Corey alleine mit Gitarre vorne auf der Bühne steht, erklingt das süßlich-traurige „Bother“ aus seiner und hunderter Kehlen aus dem Publikum. Das sitzt, denn daraufhin tönen spontan „Corey! Corey!“-Sprechchöre, die der Sänger mit einem gerührten „Shit…“ kommentiert. Zur anschließenden Ballade „Through Glass“ vom aktuellen Album gesellt sich langsam wieder die Band hinzu, bis zum Ende des Songs wieder alle auf der Bühne stehen und in die Saiten greifen bzw. auf die Kessel hauen. Der Sound kommt ausgewogen und klar, und auch wenn Corey sich für seine angeschlagene Stimme entschuldigt,  gibt es bis auf ganz seltene Patzer im Timing eine absolut professionelle Show zu bewundern.

So jagt ein großartiger Moment den anderen, und ehe man sich’s versieht, ist eine Stunde vorbei und die Bühnenscheinwerfer gehen aus. Doch so einfach läuft das nicht mit diesem Publikum und dieser Band, die natürlich wiederkommt und zum Abschluss mit „Hell & Consequences“ und „Get Inside“ nochmal richtig Gas gibt. Mir klingeln jetzt noch die Ohren vom gemeinsam abgefeierten Chorus „Get inside, get inside motherfucker!“, bei dem ein letztes Mal die Pommesgabeln in die Luft gerissen werden, bevor Band und Publikum klitschnass geschwitzt und glücklich grinsend den Rückzug antreten.

Ein großartiger Abend mit zwei tollen Live-Bands ist zu Ende, von denen STONE SOUR mich vor allem durch ihren ungemein sympathischen Frontmann und FLYLEAF durch ihre ungezügelte Energie beeindruckt haben. Beide Bands sollte man gesehen haben, denn beide lassen Standards weit hinter sich.

Fotos (c) BurnYourEars