Pain Of Salvation - In The Passing Light Of Day Tipp

Pain Of Salvation - In The Passing Light Of Day

Das neue Album „In The Passing Light Of Day“ von PAIN OF SALVATION ist sehr geprägt von der Zeit, die Frontmann Daniel Gildenlöw Anfang 2014 mehrere Monate lang im Krankenhaus verbringen musste. Er war an einer lebensbedrohlichen Streptokokkeninfektion, einer Infektion mit fleischfressenden Bakterien, erkrankt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er die Erkrankung überleben würde, lag bei weniger als fünf Prozent. Eine Zeit der Ungewissheit, Angst und Hoffnung.

Der Opener „On A Tuesday“ poltert heftig mit gewaltigen Gitarrenriffs los, die sich ihren Weg durch den gegen den Strich gebürsteten Rhythmus bahnen. „I was born in this building, it was the first Tuesday I'd ever seen.“ Gildenlöw stellt an einem Montag fest, dass er am nächsten Tag am Ort seiner Geburt seinen 2119. Dienstag erleben werde und dieser womöglich sein letzter sein könnte. Eine tragische Ironie des Lebens, „I feast on irony my friend“, dessen unausweichlichem Schicksal er sich hingeben möchte, mit geschlossenen Händen, nicht zum Gebet, sondern in Fäusten. Auf ruhigere Abschnitte, in denen die zerbrechlichen Flüster- und Grummelgesänge, auch einmal zu zarten Piano- oder Streicherklängen, zu hören sind, folgen wieder knallharte Einschübe.

„Tongue Of God" geht diesen eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Die Band lässt ihren ureigenen Metal-Sound der 90er aufleben, der aber aggressiver, roher und ungeschliffener anmutet. Gildenlöw saß während der Entstehungsphase der Platte hinter dem Schlagzeug und komponierte aus einer eher rhythmisch geprägten Perspektive. Ein einladendes Piano wird von brachialen Riffs zerschlagen. „I cry in the shower and smile in the bed“: Zwischen die leisen, schwebenden Passagen und lauten, sägenden Parts gesellt sich ein monströser Gesangsrefrain.

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Ragnar Zolberg – der geniale Gegenpart zu Gildenlöw

„Meaningless" beginnt klagend, geht in einen stockenden Takt über, bis richtig fette Gitarren wieder die Führung übernehmen. Ein ziemlich sexy Song, dessen knisternde Erotik dem neuen, zweiten Gitarristen Ragnar Zolberg mit seinen hohen und eindringlichen Backing Vocals zu verdanken ist. Das ungewohnt klingende, vor dem Album als Single veröffentlichte Stück, ist ein Cover von „Rockers Don't Bathe" von SIGN, der alten Band des Isländers. Das androgyne neue Bandmitglied, das auch ins Songwriting mit eingebunden wurde, bildet in einer unbekümmerten Jugendlichkeit einen spannenden Kontrapunkt zum sich Fantasien hingebenden einsamen Wolf Gildenlöw.

Das folkige „Silent Gold“ schließt in minimalistischer Instrumentierung nur mit Piano und Stimme an das Vorgängeralbum „Falling Home“ an. „Baby, wrap me in your silent gold“, die ruhige Ballade ist ein ergreifender Hoffnungsspender, in der der traumhafte Gesang des Schweden vollends zur Geltung kommt. Ich liebe diese kräftige und gleichzeitig brüchige, aber stets gefühlvolle Stimme, die in ihrer Unvergleichlichkeit sofort auf PAIN OF SALVATION schließen lässt.

„Full Throttle Tribe“: Gildenlöw, der sich bereits als Jugendlicher keiner Rolle zugehörig fühlte, fand seine Identität in der Band, die er bereits im Alter von elf Jahren gründete. „This will be my tribe, my family.“ Als kurz vor seiner Erkrankung einige Bandmitlieder ihren Weggang ankündigten, glich diese Situation in seinen Augen einem Auseinanderbrechen seiner Familie, seines “Tribes”. Garstige Gitarrensynkopen schneiden in wabernde Keyboardklänge, verschiedene Metren werden raffiniert übereinander gelegt. Keyboardtupfer betonen die Enttäuschung über „30 lost years“, die am Ende in dem von einem heavy Beat zertrümmerten Scherbenhaufen neben seinem Krankenbett liegen.

11 (und mehr) Gründe für PAIN OF SALVATION

In „Reasons“ wird der fordernde stakkatoartige Sprechgesang „These are the - reasons. These are - the reasons. These are the rea - sons. The - rea - sons“ mithilfe wuchtiger verzerrter Licks sofort in die Hirnrinde eingeprägt. Das sehnsüchtige „Are you true“ drückt ständig gegen das Herz. Hier trifft versierte Polymetrik auf bittersüße Melodik. Kurzes Shouting: „Five – because I fill you up with disgust“, djentiges Riffgewitter, wildes Drumming, hingebungsvoller Gesang. Ein-zig-artig!

„Angels Of Broken Things" startet zuerst sehr still – mit Akustikgezupfe und Didgeridoo. Das Stück baut mit gleichmäßigem, warmem Bass langsam eine Dynamik auf, die ihren Höhepunkt in einem langen, fulminanten, befreienden Gitarrensolo findet, das die Seelenruhe beschreibt, die den Patienten am Tag der Operation heimsuchte, als die Narkose ihn von all seinen Problemen entband: „Fallen angels spread your wings, take me from this world of broken things.“

Diejenigen, die bisher „Road Salt“ vermissten, werden mit „The Taming Of A Beast" bedient, das eine simplere Struktur aufweist und einen straighten Drive vorlegt. „Sometimes I feel the beast is the best in me“ befriedigt, im Angesicht des Todes, das innere Verlangen nach ungezügelter Freiheit.

Sehr introvertiert, mit wehmütiger Akustikgitarre, hauchendem Akkordion und fragiler Stimme reflektiert, trauert der Track “If This Is The End" anfangs, versöhnt sich mit dem Tod. Gildenlöw liegt in dem Krankenhaus, wo er geboren wurde und jetzt auf den Tod wartet. Plötzlich ein Aufbäumen, eingeläutet durch markerschütternde, peitschende Drums: „I want to stay!“ Gefolgt von aufbrausenden, zerdrückenden Riffs und heftigem Beckengewitter. Er wird immer wieder in die heilbringende Erlösung zurückgezogen. Ein unerbitterlicher Kampf mit dem Sensenmann beginnt: „I ask for something cutting to my bone!“ Völlig außer Kontrolle und wutentbrannt möchte er intensiv spüren, lieben, leben. Er schreit sich die Seele nicht aus dem Leib, sondern in ihn zurück. „God“! Das ist der berührendste Moment des Albums, der einem die Tränen in die Augen treibt – ein Musik gewordener „pain of salvation“.

An Klassik gemahnende Streicher und Flöten leiten den Titelsong „The Passing Light Of Day“ ein, die von einer quietschenden Akustischen abgelöst werden, die alleine die Stimme Gildenlöws begleitet. Der Fünfzehn-Minüter gewinnt an Intensität, steigert sich in das aufwühlende Riff vom vorherigen Song und schraubt sich mit Theremin in ungeahnte Höhen, bis er zusammenfällt und zur glückseligen Ruhe des Anfangs zurückkehrt. „My lover, my best friend“, eine ehrliche und romantische Liebeserklärung an seine langjährige Lebensgefährtin.

Der Protagonist schnauft. Er lebt. Und beschert uns ein erstes Album-Highlight des neuen Jahres, ein großartiges und sehr ergreifendes Meisterwerk progressiver Musik.

Besetzung:

Daniel Gildenlöw - Vocals, Guitars, Lute, Accordion, Zither
Ragnar Zolberg - Guitars, Vocals, Samplers, Accordion, Zither
Daniel D2 Karlsson - Grand Piano, Keyboards, Backing Vocals
Gustaf Hielm - Bass, Backing Vocals
Léo Margarit - Drums, Percussion, Backing Vocals

Tracklist:

01. On A Tuesday     
02. Tongue Of God     
03. Meaningless     
04. Silent Gold     
05. Full Throttle Tribe     
06. Reasons     
07. Angels Of Broken Things     
08. The Taming Of ABeast     
09. If This Is The End
10. The Passing Light Of Day