Opeth - Sorceress Tipp

Opeth - Sorceress
    Progressive/Retro Rock/Metal

    Label: Nuclear Blast
    VÖ: 30.09.2016
    Bewertung:10/10

    OPETH im Web


Zwölftes Studioalbum, elf Songs mit 56 ½ Minuten Spielzeit in der Standard Edition, kein Death Metal, keine Growls, dafür die volle Retro- und Progressive Rock-Schiene, auf der die Schweden zum dritten Mal seit "Heritage" fahren. OPETH sind zurück!

Das farbenfrohe Cover, das in LP-Größe am meisten Spaß machen dürfte, und ein Albumtitel, der sehr stark mit der enthaltenen Musik verbunden ist: Bandleader Mikael Åkerfeldt überlässt auf "Sorceress" nichts dem Zufall. Das innerhalb von nur zwölf Tagen erneut in den Rockfield Studios in Wales aufgenommene Album zeugt tief von Åkerfeldts Liebe zu Jazz und obskuren Progressive-Sounds. Die Songs sind düsterer und härter als auf "Pale Communion", die Produktion warm, erdig, kraftvoll. Sie lässt jedem Bandmitglied seinen Raum und verbindet fünf einzigartige Musiker zu einem kreativen Kollektiv, das derzeit seinesgleichen sucht.

Egal, ob die variablen und dynamischen Vocals, die noch schöner sind als auf dem Vorgänger, das fantastische Gitarrenspiel von Mikael Åkerfeldt und Fredrik Åkesson mit Heavy-Riffs, leisen Licks und fantastischen Soli, der stets deutlich hörbare, oft melodieführende Bass von Martin Mendez, Martin Axenrots unfassbares Schlagzeugspiel oder die intensiven, atmosphärischen Keyboard-, Orgel- und Pianoklänge von Tastenhexer Joakim Svalberg: Das schwedische Quintett erschafft - oft an der Grenze zum "lockeren" Jam - eine ganzheitlich dichte Atmosphäre im Nebel des Progressive und Retro Rocks der Sechziger bis Achtziger.

Die Songs auf "Sorceress" wirken homogener und abwechslungsreicher, teils auch schwieriger als auf den beiden Vorgängern "Heritage" und "Pale Communion". Man muss sich in das zwölfte Album der Band hineinarbeiten, es unterm Kopfhörer entdecken, um sich ein farbenfrohes Kaleidoskop mit immer neuen Facetten zu erschließen. Das melancholische, akustische und mit einer weiblichen Spoken Words-Passage versehene Intro "Persephone" bildet eine Einheit mit dem kurzen Outro "Persephone (Slight Return)". Der Titeltrack entwickelt sich nach seinem abgefahrenen Fusion-Beginn zu einer treibenden, deftig riffenden Nummer mit Wiedererkennungswert durch feine Melodien. Das verschrobene "The Wilde Flowers" vereint rhythmische Komplexität mit einem hypnotischen Refrain und einem quitschenden Gitarrensolo, bevor ein krasses Break (4:12) den Song mit beschaulichen Gitarrenklängen inklusive einer erneuten Eruption zu einem überraschenden Ende führt.

Leichter zugänglich ist "Will O The Whisp", eine Akustikballade mit wunderbaren Melodien, auf die der komplexe Siebenminüter "Chrysalis" folgt. Harscher Beginn, ruhiges Ende, dazwischen viele Twists, ein krasses Gitarren-Keyboard-Duell und wunderbar gefühlvolle Gitarrenpassagen machen aus dem Stück ein intensives, progressive Rock-/Metal-Opus par excellence. "Sorceress 2" nimmt das Thema des Titeltracks in variierter Form wieder auf, läuft aber den Erwartungen des Hörers mit engelsgleichen Vocals (fast schon ein Choral) vor einem sanften Akustikgitarren-Hintergrund mit Gänsehaut-Garantie entgegen. Das Fast-Instrumental "The Seventh Sojourn" besticht mit arabischer Melodieführung und verwandelt sich 1 ½ Minuten vor seinem Ende in ein fragiles Piano-Stück mit mehrstimmigen, leisen Gesängen.

"Strange Brew", mit 8:44 Minuten der längste Song des Albums, überrascht mit einem geisterhaften Beginn, bevor völlig abgepfiffenes, jazziges Geprogge die Oberhand gewinnt. Die schauerlichen Melodien erinnern an DREAM THEATER, Åkerfeldt nutzt die gesamte Breite seines stimmlichen Umfangs. Im warmem, durch Orgelsounds bestechenden "A Fleeting Glance" erleben wir feinsten Retro-Prog-Rock, bevor mit "Era" mein absoluter Albumfavorit folgt: Nach einem leisen Piano-Einstieg steigt die komplette Band mit vollem Arsenal ein, Åkerfeldt schmachtet zu einem Riff-Stakkato vor einnehmender Hammond-Orgel und baut ordentlich Spannung auf. Nach einem überraschenden Break geht es erneut treibend weiter, und endlich, endlich werden wir von einem unglaublich intensiven Chorus erlöst, der in einem formidablen Gitarrensolo mit Wiederholung des Refrains mündet. Was Drummer Martin Axenrot, ach was, die gesamte Band in diesem Song abzieht, ist nicht von dieser Welt!

"Sorceress" ist progressiver, düsterer und stellenweise komplexer als die beiden Vorgänger. Es ist das, was man als Fan der mit "Heritage" eingeschagenen Richtung erwartet hat und steckt gleichzeitig voller Überraschungen. Es ist ein abwechlungsreiches Album, das es schafft, höchst variable Songs wie aus einem Guss klingen zu lassen. Es ist ohne Zweifel eines der musikalischen Highlights 2016. Es klingt durch und durch so, wie ein progressives Meisterwerk klingen muss.

Übrigens: Auf der Limited Edition von "Sorceress" findet ihr auf einer zweiten CD fünf Bonustracks. Besonders reizvoll sind die drei Liveaufnahmen der "Pale Communion"-Nummern, die anscheinend vom Auftritt am 19.09.2015 im bulgarischen Plovdiv stammen, bei dem OPETH zusammen mit dem Plovdiv Philharmonic Orchestra auftraten.