Nachtmystium - The World We Left Behind

Nachtmystium - The World We Left Behind
NACHTMYSTIUM sind die derzeit vielleicht wichtigste Band im US-Black Metal. Und das vor allem deshalb, weil die Gruppe um Blake Judd das Genre so sehr gebeugt hat, dass die Bezeichnung Black Metal auf ihre Musik gar nicht mehr zutrifft. Die letzten drei Alben waren Meilensteine harter Musik und haben mit dem Mix aus 70er-Prog, 80er-Wave und 90er-Schwärze Neues geschaffen. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen an „The World We Left Behind“, das letzte Album der Band vor der angekündigten Auflösung (die Bandkopf Blake Judd kurz nach Erscheinen dieses Reviews wieder zurückgenommen hat).

Vielleicht liegt darin die Enttäuschung begründet, die mich beim ersten Hören beschleicht. Statt mit einem Paukenschlag beginnt „The World We Left Behind“ mit dem schwer einzuordnenden Instrumental „Intrusion“. Die Black Metal-Wurzeln sind klar im Riffing erkennbar, aber der AC/DC-Beat des Schlagzeugs irritiert, obwohl ich natürlich damit gerechnet habe, dass auch dieses Album anders als die anderen wird. Es dauert bis zum vierten Song, „Into The Endless Abyss“, bis ich mich zu Hause fühle: Blasts, flirrende Gitarren und Synthies erinnern deutlich an das pechschwarze Vorgängeralbum „Silencing Machine“. Bis dahin weiß ich nicht viel mit dem neuen Sound anzufangen. Die seltsam entspannte Grundstimmung der ersten Stücke berührt mich nicht in dem Maße, wie ich es von der Band gewohnt bin.

Irgendwann jedoch, ich bin beim dritten oder vierten Versuch, führt mich ein abseitiger Gedanke näher an das Album heran: „Fireheart“, das zweite Stück, erinnert mich plötzlich an die späten SLIME – genauer gesagt an „Schweineherbst“. Einige Teile des Puzzles schieben sich zusammen, das Bild wird klarer. Ich höre Punk in den Melodien, Post-Punk, teils auch Post-Hardcore in den Beats und im Riffing. Die Musik beginnt, Sinn zu ergeben. Schwere Geburt. Doch jetzt kann ich beispielsweise von „Voyager“ nicht genug bekommen: Das lange, aber einfache Stück basiert auf offen gespielten Akkorden und einem locker über die Trommeln wirbelnden Beat. Die letzten knapp zwei Minuten sind grandios episches, rockiges Gitarrensolo.

NACHTMYSTIUM haben zwei Gänge zurückgeschaltet und eine unvorhersehbare Abfahrt genommen. Es gibt neben „Into The Endless Abyss“ zwar noch mehr Black Metal-Ausbrüche. Zum Beispiel „Tear You Down“, das sich rasant steigert und flimmernd an den Nerven zerrt. Aber prägend sind die einfachen Riffs und Strukturen, die leichten Beats und prompt nachvollziehbaren Melodien. Wäre Blake Judds heiser keifender Gesang nicht als Trademark erhalten geblieben und würden nicht hin und wieder Synthesizer die kalt-industrielle Stimmung vergangener Tage heraufbeschwören, NACHTMYSTIUM wären kaum wiederzuerkennen. Extremstes Beispiel: Das unfassbar eingängige „On The Other Side“, das auch noch ein Hard Rock-Solo bereithält.

Letztlich hat sich der erste Eindruck umgekehrt. „The World We Left Behind“ packt mich in den konsequent einfachen Momenten, den Punk-Momenten, den Rock-Momenten. Mir wäre es lieber gewesen, wenn NACHTMYSTIUM sich vollends darauf konzentriert und die Reste an Black Metal über Bord geworfen hätten – zumal gerade die rasenden, finsteren Stücke nicht an die gewohnte Qualität heranreichen. Auch die PINK FLOYD-Zitate hat die Band schon wesentlich subtiler hinbekommen als im abschließenden „Epitaph For A Dying Star“. Doch ein konsistentes Genre-Album – welchen Genres auch immer – hat man wohl wirklich nicht erwarten können. Blake Judd vollbringt letztlich wieder einmal das Kunststück, sich gleichzeitig neu zu erfinden und sich selbst treu zu bleiben. So ist NACHTMYSTIUMs letztes Lebenszeichen ein starkes Album geworden, das es sich zu erschließen lohnt, auch wenn’s lange dauert. Das erhoffte Meisterwerk ist „The World We Left Behind“ aber nicht.