Wintersun - Time I Tipp

wintersun - time i

Stil (Spielzeit): bombastischer Melodic Death Metal (40:07)
Label/Vertrieb (VÖ): Nuclear Blast (19.10.12)
Bewertung: 9,5/10

wintersun.fi

Acht Jahre sind eine verdammt lange Zeit – besonders dann, wenn man zwei Jahre nach Veröffentlichung des Debüts bereits ein zweites Album ankündigt. So geschehen bei WINTERSUN, der (nicht mehr ganz so) neuen Band des ehemaligen ENSIFERUM-Sängers und -Gitarristen Jari Mäenpää, die 2004 mit ihrem selbstbetitelten Debüt mehr als nur einen Achtungserfolg landen konnten. Bereits 2006 wurde ein Nachfolger angekündigt, letztendlich hat es ganze acht Jahre gedauert, bis mit "Time I" der langerwartete Nachfolger in den Verkaufsregalen steht.

Und dann besitzen WINTERSUN, die im Gegensatz zum Debüt nicht mehr nur aus Mäenpää und Drummer Kai Hahto bestehen, sondern um Gitarrist Teemu Mäntysaari und Bassist Jukka Koskinen verstärkt wurden, auch noch die Frechheit, "Time" zweigeteilt zu veröffentlichen, so dass der erste Part mit gerade einmal 40 Minuten Spielzeit auskommen muss. Der zweite Teil soll nächstes Jahr folgen, und das ist wohl eine realistische Einschätzung – selbst wenn es bei Mäenpää mal etwas länger dauern kann.

Freuen wir uns deshalb erst einmal über "Time I", das in allen Belangen größer und mächtiger ist als "Wintersun". Das beginnt bei der prachtvollen Gestaltung des großformatigen Digibooks, reicht über das kitschige, aber wunderschöne Cover und geht bis hin zur Breitwand-Produktion, für die Mäenpää selbst verantwortlich zeichnet. Dazwischen finden sich fünf Songs, wobei diese Bezeichnung für die monumentalen Epen, die den Hörer erwarten, unfassbar untertrieben ist. Denn auch die von zwei Instrumentals umrahmten, überlangen Tracks sind groß, gigantisch groß.

Das vierminütige Instrumental "When Time Fades Away" ("Intro" wäre hier der falsche Ausruck, weil ebenfalls hoffnungslos untertrieben) bietet pure Filmsoundtrack-Atmosphäre, ist mit fernöstlichen Charakteristika gewürzt, imposant, ausdrucksstark und die perfekte Einleitung in ein Album, das mehr in die Breite geht, als es irgendjemand geahnt hätte. In 13½ Minuten und in vier Stücke unterteilt markiert "Sons Of Winter And Stars" den metallischen Start in "Time I". Von dem straighten, episch angehauchten Melodic Death Metal des Debüts ist nicht mehr viel übrig, WINTERSUN haben die Verhältnisse umgekehrt:

Zwar leiten eine Blastbeat-Passage, rasende Riffs und eine Mischung aus Keifen und Growls in das Epos ein, gleichberechtigt erklingen jedoch orchestrale Elemente und epische Chöre, die aus "Sons Of Winter And Stars" ein erhabenes Stück Musikgeschichte machen. Klare Gesänge (Mäernpää klingt wie eine leidenschaftliche Mischung aus Devin Townsend und Kai Hansen bei guter Stimme), Akustikgitarren, geradlinige Passagen, vertrackte Elemente, symphonischer Bombast: Die Fülle an Details lässt sich auch nach zehn Durchgängen nur erahnen. Gleichzeitig erschafft Mäenpää unheimlich eingängige Gänsehaut-Momente, die im Midtempo-Achtminüter "Land Of Snow And Sorrow" auf die Spitze getrieben werden. Die einleitende melodische Gitarrenlinie, die geschickt variiert wird, zieht sich durch den gesamten Song, während Folk-Elemente eingewoben werden und Mäenpääs leidenschaftliche Vocals den Hörer empfangen. Dazu gesellen sich überlagerte, vielschichtige Gesänge – erhaben, groß, einfach wundervoll.

Nach diesem strahlend hellen Midtempo-Ohrwurm mit einem Höchstmaß an Melodiosität liegt es an "Time", viel zu früh aus dem Album zu entlassen. Eingeleitet wird der Titeltrack von dem instrumentalen "Darkness And Frost", das die Melodie des letzten Albumtracks mit spaciger Atmosphäre bereits vorweg nimmt. Das knapp zwölfminütige "Time" beeindruckt dann einmal mehr mit mehr Pathos und Erhabenheit, als es manch selbstbetitelte Epic Metal-Kapelle in ihrer ganzen Karriere schafft, und zieht den Hörer nicht nur mit famosen Gitarrensoli, einer abwechslungsreichen Struktur und den erneut fabelhaften Vocals von Mäenpää auf seine Seite, sondern fährt zudem einen majestätischen Chorus auf, der durch Variationen und Wiederholungen alles Vorherige in den Schatten stellt. Eine solche Intensität ist auch bei den besten Vertretern der symphonischen Metal-Spielart ein sehr seltenes Gut.

Nach dem ruhigen Ausklang kann man gar nicht anders, als sich "Time I" direkt wieder von vorne anzuhören und die atemberaubend schöne und komplexe Klangwelt aus ruhigen und sanften Momenten, Raserei, Bombast und Melodie wieder und wieder neu zu entdecken.

Mäenpää und seiner Mannschaft ist mit dem ersten Teil des "Time"-Konzepts ein Meisterwerk gelungen. Mit einer ungeahnten epischen Breite und Filmsoundtrack-Atmosphäre spricht es nicht etwa Puristen, sondern Freunde symphonischer Klänge an, die konzentriert jedes einzelne Detail dieses musikalischen Paralleluniversums für sich entdecken möchten. Das wird Anhänger des geradlinigen Debüts vor den Kopf stoßen, stellt zugleich aber die konsequenteste Weiterentwicklung des für Bombast und Opulenz prädestinierte Grundgerüst von "Wintersun" dar. Nichts kann die Wartezeit auf "Time II" besser überbrücken als dieses Meisterwerk in einer Endlosschleife.