Bleed The Sky - Murder The Dance


Review


Stil (Spielzeit): Metalcore (63:46)
Label/Vertrieb (VÖ): Massacre/Soulfood (13.06.08)
Bewertung: Durchwachsen (6/10)
Link: http://www.myspace.com/bleedthesky

Seit jeher scheiden sich die Geister der Kunsthistoriker, Musiktheoretiker und nicht zuletzt der Künstler selbst an der kaum zu bewältigenden Aufgabe der Einordnung und Kategorisierung von Musik aller Epochen. Die erste Oper, die erste Symphonie, etwas neuzeitlicher betrachtet der erste echte Rocksong, die erste Heavy Metal Band, stets befanden sich im Fokus der Aufmerksamkeit die spezifischen Details, die unverwechselbaren Eigenheiten des Werkes an sich und in Bezug auf Älteres, Etabliertes. Der Prozess einer solchen Einordnung jedoch ist generell nur dann als abgeschlossen zu betrachten, sobald sich stilbildende Elemente insofern als überhöht und in gewisser Weise ausgereizt darstellen, als dass auf ihrer Grundlage neues Terrain entsteht, eine neue Stilistik und (Ton-)Sprache, welche ihrerseits Fundament einer genau so einmaligen Gattung bildet. Immernoch wach? Dann wenden wir diesen ganzen Kram doch einfach auf die Belange unserer heiß geliebten Heavy-Metal-Welt an: Das Genre ist tot, es lebe das Genre. Metalcore ist tot, es lebe Metalcore. 

Jede Wette: Sperrte man heutzutage zehn Bands, die noch vor einer im niedrigen einstelligen Bereich angesiedelten Zahl von Lenzen ganz ohne jedwede Diskussion oder Beschwerde im Metalcore-Suppentopf weit obenauf geschwommen wären gemeinsam in einen Raum, könnte man sich bereits Minuten später an einem spaßigen Schauspiel laben: „Nein, also, wir spielen ja keinen Metalcore. Neeein. Wir doch nicht. Haben wir vielleicht mal, gut, kann sein, ja, aber mittlerweile ist das, was wir machen ja kein Metalcore mehr. Nein! Niemals! Hört ihr das denn nicht? Das ist doch eindeutig MMCDTHEPSHM! „modern melodic cyber death thrash hardcore extreme progressive speed hardcore metal“! Mit Gitarrensoli, Bibeltexten, cleanen Vocals, elektronischen Einflüssen – und ganz ohne Schokolade!“ Ja klar, und mit Sahne. Logisch. Nee, kein Metalcore. Macht ja keiner mehr. Ist ja Käse. Pfui, Metalcore. 

Alles Quatsch. Genrebezeichnungen welcher Art auch immer sind seit jeher zwischen Musikwissenschaftlern wie Metalkneipenbesuchern aller Herren Länder ähnlich umstritten, schwammig und dehnbar wie rot-schwarze Wahlkampfversprechen in Zeiten leerer Rentenkassen. Punktum. Jede Musik hat verdient, für sich und frei von unnötigen Konventionen auf Herz und Nieren geprüft zu werden – völlig Hupe, ob der Gitarrist die Haare etwas zu lang oder zu kurz trägt, ob Eyeliner und Kajal auf der Equipmentliste zu finden sind, ob sämtliche Bandmitglieder nur an hohen Fest- und Feiertagen aus dem kollektiven Vollrausch erwachen oder sich wahlweise die Ömme mit Dreifach-X-Tattoos zukleistern, dass optisch die Assoziation zu einem Risiko-Spielbrett geweckt wird. 

BLEED THE SKY jedenfalls pflastern mit „Murder The Dance“ einen rotztrockenen Hassbrocken, welcher sich konsequent zwischen den Stühlen jedweder Kategorisierung bewegt. Sicher – cleane Vocals und heftige Shouts alternieren beinahe durchgehend zu ähnlichen Anteilen, auch Doublebass-Attacken gibt’s in der praktischen Familienpackung, doch wurden die Hardcore-Elemente, welche noch auf „Paradigm In Entropy“ deutlich mehr Raum einnahmen, spürbar reduziert. Allerdings scheint während des Studioaufenthaltes der Kalifornier ein mittlerweile auch schon nicht mehr ganz taufrischer Silberling mit dem sagenumwobenen Titel „St. Anger“ (alias „Die Blechtrommel“) auf Dauerrotation gestanden zu haben, anders ist die überaus gewöhnungsbedürftige Produktion von „Murder The Dance“ kaum zu erklären. Präzise geht anders, Teile des Schlagzeugs, insbesondere Snaredrum und Hi-Hat erinnern auffällig an den übellaunigen Chefkoch der zentralen Bundesbahnkantine Castrop-Rauxel, welcher in Anwendung seines stählernen Nudelholzes intensiv die Besteckschublade traktiert. Mag das raue Klanggewand in Verbindung mit den nicht immer astreinen Vocals, welche anderswo deutlich akkurater dargeboten werden, beispielsweise im klassischen Thrash durchaus einen gewissen Charme transportieren, so wird in Gefilden modern angehauchten Prügelstoffs wie hier definitiv gegenteiliges erreicht. 

Kompositorisch weiterhin kann „Murder The Dance“ auch bei bestem Willen nicht als sonderlich innovativ gelten. Zwar wissen die Mannen um Frontkrakeeler Noah Robinson ohne Zweifel, welche musikalischen Transportmittel sich bieten, um deftig moshbare Tritte in diverse Allerwerteste zu verteilen, doch lässt sich gerade zu Beginn des Albums der Eindruck einer gewissen Konformität der sehr schematischen Songstrukturen und damit leider zwangsläufig einsetzender Langeweile nicht überdecken. Gerade Stimmlich wäre etwas mehr Variantenreichtum schön gewesen. Klar – Tracks wie Knife Fight In A Phone Booth donnern mit echten Killerriffs durch die Prärie. Dennoch stellt sich eine erste Steigerung bezüglich Intensität und Abwechslung erst nach einiger Spieldauer mit der fast rein akustischen Psychedelic-Nummer Occam's Razor ein. Die anschließende Überleitung zu Bastion (Anspieltipp), einem Killer mit Potential zur Live-Hymne, entschädigt für vieles, wie sich ohnehin mit den meisten der anschließenden Tracks das Gesamtniveau zum Ende der Langrille hin kontinuierlich zu steigern weiß. 

Insgesamt bleibt nach einigem Hören der zwiespältige Eindruck eines Silberlings, welcher mit etwas mehr Liebe zum Detail, viel mehr Sorgfalt in puncto Produktion und der einen oder anderen Variation in Instrumentierung und Vocal-Arrangement ein echtes Jahreshighlight hätte werden können. Eine Einordnung irgendwo zwischen „geht besser“ und „guter Durchschnitt“ sollte für BLEED THE SKY in der Endabrechnung eher zu wenig sein, um sich von der breiten Masse ähnlicher Bands in wirklich nennenswerter Form abzusetzen.

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