Long Distance Calling vs. Leech - 090208 (Split-EP) Tipp

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Stil (Spielzeit): Instrumentaler Postrock, Psychedelic, Ambience, Metal usw. (33:50)
Label / Vertrieb (VÖ): Viva Hate / Cargo
Bewertung: 8,5 / 10

Links: myspace.com/longdistancecalling, www.leech.ch, www.myspace.com/leechofficial

Bei „090208" haben wir es mit einer Split-EP der beiden Instrumentalrock-Bands LONG DISTANCE CALLING und LEECH zu tun. Die beiden Bands lernten sich in der Schweiz anlässlich eines gemeinsamen Konzerts kennen und schätzen und bringen nun diese nach dem Tag des Auftritts benannte Scheibe raus.

Schon das Layout thematisiert die räumliche Entfernung von gut 700 km zwischen den beiden Bandzentralen: LONG DISTANCE CALLING sind hauptsächlich im westfälischen Raum beheimatet, wohingegen LEECH aus der Schweiz kommen. Und auch beim Alter der Bands (und in geringerem Ausmaß im Alter der Mitglieder) gibt es eine Diskrepanz, da erstere Band seit 2006 besteht und letztere mit dem Gründungsjahr 1995 zu den etablierteren Kräften des Genres gehört.

LONG DISTANCE CALLING haben bisher eine sinnig „dmnstrtn" getaufte Demo und das Full-Length-Debüt „Satellite Bay" veröffentlicht. Aus dem Entstehungsprozess von Demo und LP stammen die bisher unveröffentlichten zwei Songs, die die fünf Jungs in überarbeiteter Version zu dieser Split-EP beisteuern.
Den Opener gibt „Metulsky Curse Revisited", welches nach sanftem Einstieg, bestehend aus umschmeichelnden Gitarren und gekonnt dezentem Elektro-Gepiepse, ausgefeilt Fahrt aufnimmt bis sogar ein Metal-Riffing seinen sinnigen Platz findet. Natürlich holt der Song danach noch mal tief Luft bis er zum Ende hin alles umbläst. Das ist der genretypische Aufbau, wie man ihn von MOGWAI, PELIKAN und so weiter kennt, aber was LONG DISTANCE CALLING tun, ist beachtlich: Sie bringen Düsternis und Mosh-Appeal ebenso rüber wie Lichtblicke und Konzentration. Eine Übung in zielgerichteter Meditation sozusagen - und sehr, sehr erfolgreich, da es jederzeit frisch klingt.
Ebenso wichtig scheint mir der Eigensinn der Band zu sein, den der zweite Song, „Black Bird Vs. Red Bug" vielleicht sogar noch besser belegt. Diese fast jazzigen Drums zu Beginn! Dieser einsteigende Basslauf! Dann die kurze Entspannung, Steigerung, letztlich das fette Riff vor dem trockenen Schlagzeug - herrlich! Das waren nur die ersten zwei Minuten...die echte Steigerung kommt natürlich noch...versprochen! Hört es euch an, dann versteht ihr, was ich meine. Sollte man laut genießen. Ich empfehle gute Kopfhörer oder - soweit greifbar - tolerante Nachbarn.
Bis hier sollte klar geworden sein, dass LONG DISTANCE CALLING episch, melodisch und dynamisch zur Sache gehen und an den richtigen Stellen auch mal für mächtig Krach sorgen.
Auf Distortion-Passagen wird im berechtigten Vertrauen auf die kompositorischen und spieltechnischen Fähigkeiten komplett verzichtet. Warum sollten sie auch ziellos rauschen wenn sie ziel- und stilsicher klingen? Also bekommt man einen für das Genre ungewöhnlich klaren Sound um die Ohren geknallt, bei dem die übereinander gestapelten Tonspuren immer nachvollziehbar bleiben, weshalb ich mir um die Umsetzbarkeit auf der Bühne keine Sorgen mache.

Oh! Nach zwei Songs und gut 13 Minuten entspannen wir unsere Ohren bei einer kurzen Intermission mit spukigen Klängen wie bei manchen TANGERINE DREAM -Experimenten (Betagte oder an relevanter Musikhistorie oder schlichtweg guter Musik interessierte erinnern sich vielleicht).

Weiter geht's! Wenn LONG DISTANCE CALLING eine Band ist, die erst allmählich begreift, was sie künstlerisch und in Sachen Zuspruch erreichen kann, dann sind LEECH eher eine Band, die nach mehrjähriger Pause zu bereits erreichten Höhen zurückkehren will. Mit zwei XXL-Visitenkarten machen sie diesen Anspruch sehr deutlich:
„Oktober"entführt einen von Beginn an in musikalische Weiten, die für viele Bands unvorstellbar sind, und windet sich facettenreich durch eine imposante, vielfarbige Berglandschaft aus Intensitätsgraden. So breit wie es angelegt und so ausgefeilt wie es umgesetzt ist, erinnert es an klassische Komponisten, nur dass unverkennbar eine Rockband den Taktstock schwingt.
„Inspiral" geht innerhalb seiner 13 Minuten sogar noch weiter. Obwohl insgesamt eine Spur ruhiger, da um sanfte Gitarren und eine das Ohr nicht verlassen wollende Synthie-Melodie gestrickt, reckt und streckt es sich zu zwei Steigerungen, die den Begriff „Postrock" winzig und zur Beschreibung dieser Musik überhaupt nicht ausreichend erscheinen lassen.

Fazit:
LEECH sind wahre Klangperfektionisten und im doppelten Sinne „noch" reifer als die starken LONG DISTANCE CALLING, welche allerdings live bestimmt für mehr Bewegung sorgen.
„090208" ist eine sehr gute Split-EP, deren beide darauf vertretenen Bands abgefahrene Träume und Wumms vereinen wie kaum andere. Hörenswert für sehr verschiedene Leute! Postrock, Psychedelic, Ambience, Metal...alles ist auf selten gehörtem Niveau verflochten!

 

Anmerkung: Diese Split-EP erschien bereits Ende 2008. Ich bitte die Verspätung dieser Rezension zu entschuldigen.