Anathema - Hindsight


Stil (Spielzeit): semi-akustischer Artrock (52:38)
Label/Vertrieb (VÖ): K-Scope / SPV (29.08.08)
Bewertung: wunderschön, aber auch etwas brav (7 / 10)

Die britische Band ANATHEMA hat einen langen Weg hinter sich. War die Truppe um die drei Cavanagh-Brüder in den Neunzigern mit (Doom) Metal groß geworden, so wandte sie sich danach immer mehr einer sehr eigenen Spielart des sanften und atmosphärischen Alternative Rocks und Artrocks zu. Wer genau hinhört, kann zwar schon beim alten Material eine gewissse Melancholie erkennen, aber trotzdem werden nicht alle alten Fans diesem Weg gefolgt sein, während andererseits sicherlich neue hinzugekommen sind.

Mit „Hindsight“ gehen ANATHEMA noch einen Schritt weiter. Zum Verkürzen der Wartezeit bis zum nächsten regulären Studioalbum haben sie neun Songs aus der mittleren und neueren Schaffensperiode sowie das bisher unveröffentlichte „Unchained (Tales Of The Unexpected)“ in halbakustischen Versionen arrangiert (maßgeblich durch Gitarrist Danny Cavanagh), eingespielt und auch selbst produziert (hauptsächlich durch Keyboarder Les Smith). Cellist Dave Wesling, bereits auf der Live-DVD „A Moment In Time“ zu sehen und zu hören, ist wieder mit von der Partie.

Wenn man sich nun anschaut, welche Lieder es auf dieses Album geschafft haben, so kann man lange nach Überraschungen suchen: Man wird keine finden. Im Großen und Ganzen wurden Stücke ausgewählt, die typisch für die neuen, von Bands wie PORCUPINE TREE inspirierten ANATHEMA sind. Melancholisch und herzzerreißend sind die neuen Versionen allemal – aber waren das nicht auch schon die alten?
Die Frühphase der Band ist praktisch nicht existent, dabei wäre es doch besonders interessant gewesen, wie eine seit zwanzig Jahren bestehende Band nach musikalischer Neuausrichtung und diversen Besetzungswechseln ihre eigenen Wurzeln neu interpretiert. So findet man gelungene, teilweise gar wunderschöne Überarbeitungen von Songs wie „Fragile Dreams“ (welches ich wirklich liebe) oder „Are You There?“. Und das grandiose „Natural Disaster“ hat man auch schon auf der „A Moment In Time“-DVD sehr ähnlich gehört. Wo sind die Überraschungen, das Unbequeme oder gar Humor? Zwar war die fünfköpfige Truppe niemals so wirklich hart, aber manch ein nackenstrapazierendes Stück hätte man durchaus im Fundus. Hat man denn dazu gar keine Beziehung mehr, nicht mal eine konstruktiv-kritische bzw. kreative? Sogar ich, für den ANATHEMA erst durch ihre heftige Veränderung interessant geworden sind, fände das schade. Warum nicht mal ein Stück vom betagten „Serenades“ in neue Gewänder kleiden?
Na gut, mit einigen mediterran anmutenden Gitarren hat man zumindest hier und da eine neue Klangfarbe integriert.
Sänger Vincent Cavanagh bleibt auch auf diesem Album ein Mysterium. Nach wie vor verhaut er einige Töne ganz übel und ist doch insgesamt ein hervorragender Sänger und Frontmann, der künstlerischen Anspruch sehr bodenständig verkörpert.

Genug an Kleinigkeiten gemeckert. Jede einzelne Neuinterpretation ist emotional intensiv, detailliert ausgearbeitet, bisweilen feinsinnig und absolut repräsentierend für eine Band, die zu sich gefunden hat und in sich ruht. Band und Streicherarrangement verschmelzen perfekt. Ob ANATHEMA sogar zu ruhig, sprich langweilig geworden sind, wird wohl erst das bereits angekündigte reguläre Album „Horizons“ zeigen. Dann wird auch offensichtlich, ob der unbedingte Wille, die volle künstlerische Kontrolle zu haben, aus Sicht der Fans Früchte trägt.


Tracklist:

01. Fragile Dreams
02. Leave No Trace
03. Inner Silence
04. One Last Goodbye
05. Are You There?
06. Angelica
07. A Natural Disaster
08. Temporary Peace
09. Flying
10. Unchained (Tales Of The Unexpected)