Opeth - In Cauda Venenum Tipp

Opeth - In Cauda Venenum
    Porgressive Rock/Metal

    Label: Moderbolaget/Nuclear Blast
    VÖ: 26.09.2019
    Bewertung:9/10

    OPETH im Web


Eigentlich hatte Mikael Åkerfeldt nach "Sorceress" ja gar keine Lust darauf, an neuem OPETH-Material zu arbeiten. Doch er tat es – heimlich, still und leise, ganz für sich selbst, um seine Ideen zu verwirklichen und keinerlei Kompromisse eingehen zu müssen. Nicht mal für Gitarrist Fredrik Åkesson, dem er auf dem Studiowerk von 2016 noch metallische Riffs auf den Leib schneiderte. "In Cauda Venenum" ist damit zum ersten Mal seit vielen Jahren Åkerfeldt in Reinkultur.

Entsprechend ambitioniert und konsequent hat der Bandleader das 13. Album der OPETH-Historie umgesetzt. Und mutig war er. Denn "In Cauda Venenum" ist das erste Album, in dem durchgängig auf schwedisch gesungen wird. Åkerfeldt gibt unumwunden zu, dass er zu feige war, nicht auch eine englischsprachige Version zu veröffentlichen. Doch auch auf dieser bleiben die schwedischen Spoken Words-Passagen und Sprachfetzen, die sich durch das gesamte Album ziehen. Und irgendwie merkt man im direkten Vergleich dann doch, dass dieses Werk erst auf schwedisch zu 100 % Sinn ergibt.

"We are OPETH from Sweden. And we still don't play Death Metal anymore."

Gänzlich unbeirrt von Altfans, die immer noch nicht verstanden haben, dass OPETH seit spätestens "Heritage" keinen Death Metal mehr spielen (werden), geht Åkerfeldt seinen verschlungenen Weg mit vielen Kreuzungen und Gabelungen. Er führt vorbei an einem tiefen See voller Progressive Rock der Siebziger-Prägung, über sanft geschwungene Hügel und grüne Wiesen, über die engelsgleiche Gesänge und dezente Orchestrierungen schweben, hinauf zu luftigen Akustikgitarren-Höhen. In tiefe, schwarze Höhlen mit düster wabernden Keyboards, große Kathedralen, an deren Wänden gewaltige Orgeln und sakrale Chöre erschallen, zu schroffen Klippen, an denen sich gewaltige Riff-Wellen brechen. Eine Karte zur Orientierung gibt es nicht.

"In Cauda Venenum" ist ausladend, komplex, sperrig, sphärisch und verschroben. Es ist melodisch, eingängig, zum Weinen schön, dunkel und bedrohlich. Härte wird nicht über schreddernde Riffs und Growls, sondern mit Gefühlen und Stimmungen erzeugt. Manchmal wähnt man sich im Soundtrack zu einem Horrorfilm - etwa in "Banemannen", Åkerfeldts ganz eigener Vorstellung eines verrauchten Dark Jazz-Stückes, oder im brummigen "Charlatan" mit latentem Akte X-Feeling.

Dann wiederum locken die Schweden im getragenen "Minnets Yta" mit Åkerfeldts bislang lieblichstem Gesang, Melancholie und einem elegischen Gitarrensolo, während der höchst abwechslungsreiche Opener "Svekets Prins" von einem PINK FLOYD-artigen Klangkosmos namens "Livets Trädgård" eröffnet wird.

Verschroben, komplex, melodisch: OPETH bleiben einzigartig

Dass ausgerechnet "Hjärtat Vet Vad Handen Gör" mit achteinhalb Minuten Spielzeit die typischste, am schnellsten nachvollziehbare OPETH-Nummer ist, spricht Bände. Komplexer Rhythmus, stoischer Bass, eingängige Melodien, hätte auch auf "Sorceress" gepasst. Nach sechs Minuten kommt ein krasses Break, nach dem der Song ruhig, fast schon intim, endet.

Apropos Ende: "Allting Tar Slut" beginnt sehr düster mit treibendem Bass, schleppendem Rhythmus und unheilvoller Stimmung, bevor sich nach den getragenen Drums, die ganz für sich erklingen, der Umschwung in ein unfassbar packendes Finale mit Gänsehautgarantie vollzieht. Die Harmonien am Ende sind so rein, so wunderbar, dass man ergriffen mit Tränen in den Augen die letzten Sekunden des Albums auf sich wirken lässt, bis da nichts als Stille ist. OPETH wissen, wie man den Hörer aus einer 67-minütigen Reise entlässt – nämlich völlig geplättet mit dem dringenden Wunsch, die Scheibe direkt nochmal zu genießen.

Das beste Album der progressiven Phase?

Das warm, voll und basslastig, aber nicht "fuzzig" wie der Vorgänger klingende "In Cauda Venenum" ist nicht nur durch und durch Åkerfeldts Baby, sondern wurde ganz gezielt vom Rest der Band veredelt: Durch Fredrik Åkessons versierte Riffs und Soli, Martin Mendez' sehr präsentes, markantes Bassspiel, Martin Axenrots filigranes Drumming und Joakim Svalbergs meisterhafte Keyboardteppiche, Effekte, Orgeln, Pianoklänge und Orchestrierungen.

Ob "In Cauda Venenum" das beste Album nach der Kursänderung hin zum progressiven Rock ist? Für mich liefert es sich ein sehr enges Rennen mit "Sorceress". Sicher ist es aber das verspielteste und vielschichtigste Werk seit (mindestens) "Watershed". Da nicht mal 20, 30 Durchläufe ausreichen, um auch nur annähernd die in sämtlichen Winkeln versteckten, teils filigranen Details zu entdecken, muss man ihm nur Zeit geben.

 

"In Cauda Venenum" Trackliste

1. Livets Trädgård 3:28
2. Svekets Prins 6:35
3. Hjärtat Vet Vad Handen Gör 8:29
4. De Närmast Sörjande 7:07
5. Minnets Yta 6:34
6. Charlatan 5:29
7. Ingen Sanning Är Allas 7:20
8. Banemannen 6:43
9. Kontinuerlig Drift 7:23
10. Allting Tar Slut 8:31

OPETH Line-up

Mikael Åkerfeldt | Gesang, Gitarre
Fredrik Åkesson | Gitarre
Martin Mendez | Bass
Martin Axenrot | Schlagzeug
Joakim Svalberg | Keyboard