
Stil (Spielzeit): Alternative / (Blues-) Rock / Indie (48:03)
Label/Vertrieb (VÖ): Malabar / Rough Trade (16.05.08)
Bewertung: 8,5 / 10
Link: www.emi.no/madrugada
www.myspace.com/wearemadrugada
Die im nordnorwegischen Stokmarknes gegründete Band MADRUGADA hat in ihrer mehr als zehnjährigen Geschichte viel erlebt: Einschließlich des neuesten, „Madrugada“ betitelten Werkes sechs ausnahmslos hervorragende Alben, einige Besetzungswechsel am Schlagzeug und vor allem im Heimatland zahlreiche Auszeichnungen, wie zum Beispiel 2005 jeweils Doppel-Platin für das letzte Studioalbum „The Deep End“ und das Live-Album „Live At The Tralfamadore“.
Das einschneidenste Erlebnis war jedoch denkbar tragisch: Am 12. Juli 2007 wurde Gitarrist und Gründungsmitglied Robert Burås tot in seiner Wohnung gefunden. MADRUGADA befand sich damals mitten in der Endphase der traditionell sehr ausgedehnten Aufnahmearbeiten zu diesem neuen Album, welches erstmals den Bandnamen als Titel haben sollte, da sich die Band endgültig gefunden zu haben glaubte. Sehr schnell beschlossen die beiden verbliebenen Bandmitglieder, Sänger Sivert Høyem und Bassist Frode Jacobsen, weiterzumachen.
Es hätte dieses tragischen Hintergrunds nicht bedurft, um „Madrugada“ als ein sehr bewegendes Album zu empfinden. Wieder einmal qualifiziert alleine schon Burås’ Gitarre die Songs für einen coolen Tarantino-Soundtrack. Einfach sagenhaft, wie der so unerwartet verstorbene Gitarrero immer wieder mit wenigen Noten einen abgründigen, mächtigen Blues nach dem anderen herbeizaubert, der genauso gut in unsereiner lauschige Hütte wie in eine mexikanische Wüstennacht oder einen norwegischen Wald passt. Dazu noch einige ohne jeden Kitsch auskommende psychedelische Sequenzen – man merkt, dass da ein Großer geht. Doch den eigentlichen Abschied stellt der letzte Song „Our Time Won’t Live That Long“ dar, auf dem Robert Burås auch erstmals als Sänger zu hören ist. Die anderen der zwischen vier und über sieben Minuten langen Stücke leben nicht zuletzt vom gewohnt eindrucksvollen Gesang Sivert Høyems. Der vollen und zumeist mit einer Art von melancholischer Ruhe Geschichten erzählenden Stimme muss man einfach zuhören. Mit jedem neuen Album und jedem einzelnen Song beweist Høyem, dass er nicht schreien musss um zu zeigen, dass er Rock ’n’ Roll im Blut hat.
Übrigens ist das Album neben Robert Burås auch dem ebenfalls verstorbenen Vater des Sängers gewidmet. "Ein Unglück..." das kennen wohl viele aus eigener leidvoller Erfahrung.
Das sehr morbide Video zu „Look Away Lucifer“ vermittelt die Grundstimmung der Platte ganz hervorragend. Darüber hinaus zeigt der Song stellvertretend, wie stilsicher und kraftvoll MADRUGADA minimalistische, häufig zunächst rein akustische Ideen einerseits und zeitweise üppigen Klang andererseits miteinander verbinden, mal mit und mal ohne Gastmusiker (Orgel, Slide Guitar, Streicher und so weiter). Nur Erland Dahlen, seit drei Jahren der Tour-Drummer und auch auf dem letzten Studioalbum zu hören, ist immer mit dabei.
Als Beispiel für den aufgemotzten Sound mancher Stücke sei hier vor allem „Whats’s On Your Mind?“ genannt, das mit Cembalo und Streicherkomposition aufwartet.
„The Hour Of The Wolf“ hingegen prescht straight voran und dürfte vor allem auch live für Tempo sorgen. Damit steht es jedoch auf dieser Platte allein, denn alle anderen Stücke sind im langsamen bis mittelschnellen Bereich angesiedelt.
Insgesamt klingt „Madrugada“ etwas weniger bluesig, immer noch erdverbunden, aber auch erhaben und surreal, was durch die im Nachhinein überraschend / erschreckend prophetischen Texte noch verstärkt wird. Mir fehlen allerdings trotz fairer 48 Minuten Spielzeit ein oder zwei weitere schnelle Songs.
Man könnte sagen: Ein Album für TINDERSTICKS-Fans, die sich etwas weniger Schnulzenhaftigkeit und mehr Rock wünschen, ohne auch nur auf eine Winzigkeit Atmosphäre verzichten zu wollen. Oder anders gesagt: NICK CAVE dürfte ein Fan dieses Albums sein, spätestens wenn er sich ein Whisky-Tequilla-Benzin-Gemisch intravenös verabreicht.
Vor allem aber ist „Madrugada“ ein gewohnt starkes MADRUGADA-Meisterwerk, das erneut durch Stil statt durch Lautstärke besticht und insgesamt eins der nachhaltig besten Alben des Jahres ist.
Und die Zukunft? Die bringt wohl zunächst die Veröffentlichung von bisher zurückgehaltenen Songs und – da bin ich ganz sicher – irgendwann auch neues Material, so schwer das angesichts des gewaltigen Verlustes sein mag.