Rammstein - Rammstein

Rammstein - Rammstein
    Industrial Metal

    Label: Universal
    VÖ: 17.05.2018
    Bewertung:6/10

    RAMMSTEIN im Web


RAMMSTEIN-Fans haben es nicht leicht: "Mein Land", B-Seiten und das auf der letzten Tour vorgestellte "Ramm4" - das ist die magere Ausbeute an (verzichtbaren) Songs seit "Liebe ist für alle da". Mit dem kunstvollen Video zu "Deutschland" meldete sich das Sextett eindrucksvoll zurück und präsentiert auf "Rammstein" nun in 46 Minuten elf neue Songs. Warum das siebte Studiowerk dennoch eine Enttäuschung darstellt, erfahrt ihr hier.

"Deutschland" und "Radio": Zwei Mal RAMMSTEIN, wie sie klingen müssen

"Deutschland" ist und bleibt der Höhepunkt des Albums. Wenn Lindemann das ambivalente Verhältnis zu seiner Heimat in Worte fasst, mit Zeilen wie "Übermächtig, überflüssig / Übermenschen, überdrüssig / Wer hoch steigt, der wird tief fallen / Deutschland, Deutschland über allen" sein unnachahmliches Spiel mit Worten treibt und im Refrain schließlich martialisch-provokant den "Deutschland!"-Schlachtruf brüllt, ist das RAMMSTEIN in Reinkultur. Auch musikalisch glänzt der Opener mit brachialen Riffs, einer eingängigen, zuckenden Keyboard-Linie, markantem Chorus und bombastischem Sound.

Im poppigen Ohrwurm "Radio" glänzen RAMMSTEIN weiter mit lyrischer Doppeldeutigkeit. Vordergründig geht es um die gekonnt getextete Schilderung einer typischen DDR-Szenerie, dem heimlichen Radio-Hören in der Nacht, begleitet vom "leise in die Hände singen". Nicht zu hintergründig ist die Nummer eine deutliche Kritik an Zensur und staatlichen Repressalien und ein Aufruf zur Presse- und Meinungsfreiheit. Die stumpfen Stakkato-Riffs in den Strophen kontrastiert Flake im Refrain mit herrlich nostalgischen KRAFTWERK-Melodien.

Texte und Musik driften zu oft auseinander

Damit ist ein Großteil des stärksten Materials bezeichnenderweise schon bekannt. Unter den restlichen neun Songs finden sich nur noch wenige ähnlich überzeugende Nummern, viel Durchschnitt und erschreckend häufig schwache Momente. Das liegt an einem seltsamen Gefühl von Routine und Lustlosigkeit sowie einer eigenartigen Diskrepanz zwischen Lyrik und Musik, die häufig nicht zusammen passen.

Exemplarisch zeigt das "Hallomann": Trotz großartigem Text, der für latentes Unwohlsein sorgt, und gelungen krankem Keyboardsolo ist die gruselige Geschichte des Kindesentführers musikalisch viel zu nett und kraftlos umgesetzt. Von der Gänsehaut-Intensität anderer vertonter Tabuthemen wie "Wiener Blut" oder "Mein Teil" ist "Hallomann" meilenweit entfernt. Mit einem anderen Text hingegen könnte der letzte Song des Albums genau die (Halb-)Ballade darstellen, die das dankbar kurz ausgefallene, nichtssagende "Diamant" krampfhaft versucht, zu sein.

Genau anders verhält es sich mit "Tattoo": Musikalisch ein eingängiger Brecher mit epischem Refrain, der nicht nur wegen seiner an "Links 2 3 4" erinnernden Struktur wunderbar auf "Mutter" Platz finden könnte - und dann geht es um ein so schnödes Thema, das für die musikalische Wucht völlig unpassend erscheint. Immerhin überrascht Lindemann mit typischen, auf Albumdistanz aber zu selten gehörten Sinnverdrehern wie "Wer schön sein muss, der will auch leiden".

Die Berliner können es doch noch ...

Dass es das Sextett doch nicht verlernt hat, dunkle Geschichten musikalisch passend umzusetzen und zu überraschen, zeigt "Puppe". Wenn Lindeman nach den düsteren Strophen urplötzlich, nur von wuchtigen Drums begleitet, völlig hysterisch "Und dann reiß ich der Puppe den Kopf ab / Dann reiß ich der Puppe den Kopf ab / Ja, ich beiß der Puppe den Hals ab / Es geht mir nicht gut" geifert, macht sich eine wohlige Gänsehaut breit. Die dichte Gitarrenwand erinnert an "Klavier" und verleiht der makabren Story um die kleine Schwester im Nebenzimmer einer Prosituierten eine Intensität, die man auf dem siebten RAMMSTEIN-Album viel zu selten erlebt.

Das schleppende "Weit weg" erinnert ein wenig an eine Mischung aus "Spring" und "Nebel". Hier zeigt sich Flakes Handschrift am deutlichsten: Seine Synthies sind es, die den simplen, sehr eingängigen Ohrwurm tragen. Die unscheinbar wirkende Spanner-Story mit latent dunkler Note versprüht mehr Charme als der "Rosenrot"-Gothicrocker "Wo bist du" und ist definitiv hörenswert.

… oder etwa nicht?

Die wenig überraschend mit Chorälen ausgestattete Kirchenkritik "Zeig dich" beeindruckt mit einem großartig epischen Refrain, bleibt ansonsten aber erschreckend unscheinbar. Dass Lindemann mehr oder weniger gekonnt Worte mit dem gleichen Buchstaben aneinander reiht (diesmal ist "v" dran) kennen wir von "Zerstören". Mit "Halleluja" haben RAMMSTEIN ein ähnliches Thema allerdings schon zu "Mutter"-Zeiten deutlich direkter und knackiger vertont.

Ganz krude wird es in "Ausländer". Die RAMMSTEIN meets Ballermann-Nummer ist wie ein Unfall - ganz furchtbar, aber man kann einfach nicht weg hören. Zu einem tanzbaren SCOOTER-Techno-Beat gibt sich Lindemann als schmieriger Sextourist, der den Damen weltgewandt Schmachtereien wie "Mi amor, mon chéri / Ciao, ragazza, take a chance on me" ins Ohr säuselt. Dank der aufdringlichen Melodie fräst sich der stampfend-schmierige Rock-Schlager schneller in den Gehörgang, als einem lieb ist, und sorgt entweder für puren Fremdscham oder breites Dauergrinsen. Du kommen mit, ich dir machen gut!

"Sex" will eine schmissige Hommage an die schönste Sache der Welt sein - und scheitert mit Karacho. Musikalisch mit treibenden, an "Haifisch" erinnernden Drums okay umgesetzt, fabuliert Lindemann von "drallem Fleisch", "schaut ins Geschlecht" und schockt mit platten "Viva Colonia"-Tetbausteinen wie "Wir leben nur ein mal / Wir lieben das Leben / Wir lieben die Liebe". Puh. Wer zu RAMMSTEIN ficken will, tut das besser zu "Rein raus" oder "Bück dich".

"Was ich liebe" schließlich gefällt anfangs mit stoischem Rhythmus und hymnischem Refrain, entpuppt sich dann aber schnell als simpler, monotoner Langweiler, den man getrost überspringen kann.

"Rammstein" kann die hohen Erwartungen nicht erfüllen

Ins Unermessliche steigende Erwartungen zu erfüllen ist quasi ein Ding der Unmöglichkeit - und doch haben es RAMMSTEIN mit "Deutschland" geschafft. Dass dies eine der seltenen Ausnahmen auf "Rammstein" ist, war nicht nur nicht abzusehen, sondern erschien ganz und gar unmöglich.

Dem vielleicht letzten Album der Berliner fehlt es nicht an Abwechslung, einem fetten Sound oder dem typischen Spiel mit Gegensätzen ("So nah / weit, weit weg von mir", "Was ich liebe, das wird verderben / Was ich liebe, das muss sterben"). Es fehlt nicht an Orchester-Bombast, virtuosen Keyboard-Effekten, bratenden Gitarren, Schneiders drückendem Schlagzeugspiel oder Oliver Riedels markanten Basslinien. Nicht an eingängigen Melodien, dem Blick in die eigene musikalische Vergangenheit oder gar Humor.

Es fehlt an Überraschungen. An der passenden musikalischen Umsetzung gelungener Texte - oder den passenden Lyrics zu musikalischen Höhepunkten. An überzeugenden Texten, die sich erschreckend häufig auf vorhersehbare Reime oder flache, sattsam bekannte Phrasen wie "Die späten Vögel singen" beschränken. An den besonderen Momenten, in denen man sich zugleich verstört und begeistert fragt: Hat der da etwa gerade? Der kann doch nicht...?!

"Rammstein" ist auch nach 20, 30 Durchläufen das schwächste aller RAMMSTEIN-Alben. Zumindest für den Moment - ob das so bleibt oder die Songs noch wachsen, wird die Zeit zeigen. Für eine Pause von knapp zehn Jahren ist das Ergebnis im RAMMSTEIN-Kosmos aber einfach zu wenig.

"Rammstein" Trackliste:

Deutschland 5:23
Radio 4:37
Zeig dich 4:15
Ausländer 3:51
Sex 3:56
Puppe 4:33
Was ich liebe 4:29
Diamant 2:34
Weit weg 4:20
Tattoo 4:11
Hallomann 4:11

RAMMSTEIN sind:

Till Lindemann - Vocals
Richard Kruspe - Guitar
Paul Landers - Guitar
Christian "Flake" Lorenz - Keyboard
Oliver Riedel - Bass
Christoph "Doom" Schneider - Drums