Leprous - Melodies Of Atonement Tipp

Leprous - Melodies Of Atonement
    Progressive Metal

    Label: InsideOutMusic
    VÖ: 30.08.2024
    Bewertung:8/10

    Leprous Homepage


Ein neues LEPROUS-Album! Das lässt viele Prog-Herzen höher schlagen, so auch meines. Vor allem aufgrund der Ankündigung des Sängers Einar Solberg, die Musik auf dem Album sei mehr auf die Band fokussiert und härter. Für einen Fan insbesondere der früheren LEPROUS-Werke wie mich klingt das vielversprechend – hiermit ist die Perspektive des Verfassers dieses Textes schonmal klar. Aber ich bemühe mich größtmöglicher Objektivität ...

Nun aber zum Album. Mit einem Schmunzeln habe ich das Bandfoto betrachtet, da mich Baard (Kolstad, Schlagzeug) – wie üblich oberkörperfrei – mit Kriegsbemalung und Schminke an Bandfotos von Power- und Viking-Metal-Bands erinnert hat. Ansonsten ein handelsübliches cooles Bandfoto, wobei Baard und Robin (Ognedal, Gitarre) sicherlich auf anderen Fotos aus dem Shooting etwas cooler drein geblickt haben.

Leprous 2024 by Grzegorz GolebiowskiLeprous 2024 by Grzegorz Golebiowski

Das Albumcover hingegen hat mich zunächst etwas irritiert. Während das abgebildete Unterwassertierchen (mangels näherer biologischer Kenntnisse belasse ich es bei dieser Beschreibung) auf dem schwarzen Hintergrund schlicht, aber durchaus eindrucksvoll aussieht und von seiner Form her auch ein Blasinstrument darstellen könnte, hätten sie sich bei der Unterbringung von Bandname und Albumtitel doch mehr Mühe geben können. Es sieht aus wie ein Bild, das online vom Uploader mit seinem Logo oder Namen als Wasserzeichen versehen wurde.

Kommen wir zum Wichtigsten – der Musik!

Das Album wird mit der zweiten Singleauskopplung „Silently Walking Alone“ eröffnet. Das elektronische Intro baut sich nach und nach mit der ganzen Band zum epischen Refrain hin auf. Hier wird gut hörbar, was Einar mit „straight to the point“ meint: Die Songstruktur ist simpel, aber das Arrangement detailliert und ausgefeilt, wodurch es keineswegs langweilig wird, und Baard beglückt die Nerds mit etwas metrischer Modulation, juhu! Gesanglich bleibt Einar hier eher in der Bruststimme, die nicht weniger attraktiv ist als seine herausragende Kopfstimme. Schlicht aber sehr gut!

Weiter geht es mit der ersten Single „Atonement“ mit abermals elektronischem Intro und düsterer Stimmung. Diese wird für meinen Geschmack leider durch die einsetzende Gitarrenstimme zerstört, die eher nach Wartemusik aus einer Quizshow klingt. Hier hätte es die Slide-Gitarre allein getan. Abgesehen hiervon glänzt aber auch dieses Stück mit simpler Songstruktur, innovativem und dynamischem Arrangement und nicht zuletzt großartigem Gesang.

Mit „My Specter“ folgt, wie sich herausstellen soll, einer meiner Favoriten auf dem Album. Das Keyboard-Intro erzeugt eine verträumte und gemeinsam mit dem Gesang intime Stimmung. Außerdem heb Simen Børvens Bassspiel das Stück aufs nächste Level. Der Wechsel zwischen dem intimen Setting und den dynamischen und emotionalen Ausbrüchen der Band und Einars Gesangs zum ersten und später zum finalen Refrain lösen bei mir Gänsehaut aus. Großartig, so macht Musikhören Spaß!

„I Hear The Sirens“ ist eine langsamere, getragene Nummer, die zur Abwechslung eine positivere Gesamtstimmung transportiert. Getragen wird das Stück vor allem von Keyboard und Gesang, steigert sich aber stetig bis zum ausgedehnten Refrain bzw. Outro und hinterlässt ein friedliches, wohliges Gefühl. Die Grenzen der gängigen Songteile wie Strophe, Refrain, Bridge sind hier, wie auch oft in den anderen Stücken, fließend.

Es folgt die dritte Singleauskopplung „Like A Sunken Ship“, die mit einem groovigen Drum-and-Bass-Intro beginnt (es klingt eindeutig nach Kontrabass, im Musikvideo spielt Simen aber wie üblich E-Bass, schade) und mit dem Einsatz von Synthesizer (gespielt von Band-Urgestein Gitarrist Tor Oddmund Suhrke) und Gitarre eine zunehmend dramatische Stimmung aufbaut. Der Witz, Einar habe sein berühmt-berüchtigtes „Ah Ah Aaaaah“ nun um „La La Laaa“ erweitert, wurde online schon gemacht. Ich wollte es hier trotzdem nicht unerwähnt lassen ...

Um nicht abzuschweifen: Es folgen 8-Saiter-Chugs, Growls und ein Tonartwechsel mit weiterhin absolut spektakulären Gesangseinlagen, die meine Armbehaarung erneut das Weite suchen lassen. Erinnerungen an Klänge des "Coal"-Albums werden wach, ich bin glücklich.

Die zweite Hälfte von "Melodies Of Atonement" beginnt mit „Limbo“. Zum Titel passend beginnt das Stück mit einem gespenstischen Keyboardsound und wird nach und nach mit einem groovigen Shuffle in Bass und Gitarre ergänzt, was ein Upbeat-Gefühl gibt, der Gespenstigkeit jedoch auch aufgrund der zugrundeliegenden Harmoniefolge keinen Abbruch tut. Der härtere Refrain ist ein Hit zum Mitsingen und löst harmonisch zu Dur auf, was ihm ein unerwartet positives Gefühl gibt. Mit einem sehr intensiven Aufbau in der Bridge und einem finalen Refrain ist der Spannungsbogen perfekt.

Erneut mit Kontrabass, Schlagzeug und diesmal mit Klavier (erinnert etwas an das Debüt-Album „Tall Poppy Syndrome“) beginnt „Faceless“ sehr jazzig. Trotz erneut einfacherer Songstruktur beschreiten die Musiker im Spannungsaufbau und der Instrumentierung neue Wege und landen zunächst in einem relativ harten B-Teil, der sich trotz des Kontrasts zum Beginn keineswegs fehl am Platz anfühlt. Ein schönes Slide-Gitarrensolo leitet anschließend in ein (für meinen Geschmack etwas zu lang) ausgedehntes gesangsdominiertes Outro, das sich immer weiter bis hin zum Klimax mit Einsatz eines Chores steigert, während Einar in seinen Ad Libs alle Register seiner Stimme zieht – im wahrsten Sinne des Wortes.

„Starlight“ ist kein Cover des bekannten MUSE-Stücks, sondern ein weiteres Beispiel hervorragenden Songwritings und Spannens eines großen Spannungs- und Stimmungsbogens. Von reduzierten, intimen Klängen bis hin zu sphärischen Parts, einem sehr stimmungsvollen Refrain, geschmackvollen Gitarrensoli, kleinen rhythmischen und harmonischen Spielereien ist hier alles dabei.

Mit „Self-Satisfied Lullaby“ folgt mein persönlicher Tiefpunkt auf dem Album. Dominiert von Synthesizer, sphärischem Gesang und punktuellem Einsatz von Percussion nimmt das Stück weder jemals wirklich Fahrt auf, noch erzeugt es (zumindest bei mir) eine besondere Stimmung oder Emotionen. Da reißt es das gitarrengetriebene Outro leider auch nicht mehr raus.

Ein wirklich würdiges Finale stellt „Unfree My Soul“ dar. Wunderschöne Gitarrenarpeggien, die fast nach einer Harfe klingen, simples aber effektives Schlagzeug- und Bassspiel und sehr charakteristische Gesangsmelodien erzeugen eine aufbauende und wohltuende Stimmung. Nachdem in der Bridge kurzzeitig Spannung aufgebaut wird, ist spätestens beim epischen Wiederaufbau und im letzten Refrain wieder Zeit für Gänsehaut und die positive Stimmung trumpft auf. Als das Lied ausklingt, verbleibt das Gefühl, man säße bei Sonnenaufgang an einem friedlichen Ort mit Blick über die Landschaft.

Fazit

LEPROUS haben mit "Melodies Of Atonement" ein wirklich starkes Album geliefert, für meinen Geschmack das beste mindestens seit dem 2017er „Malina“, und ich freue mich wie seit Langem nicht mehr auf ein baldiges Konzert der Norweger. Sie schaffen es auf diesem Album in der Tat, aus weniger mehr zu machen.

Es braucht hier keine komplexen Songstrukturen, stattdessen werden lange Spannungsbögen und intensive Stimmungen aufgebaut, aber ohne dass es sich zieht. Jedes einzelne Bandmitglied glänzt und das ausgefeilte und detailverliebte Arrangement und Sounddesign zusammen mit der transparenten und dynamischen Produktion bereiten große Freude. Ich werde die Scheibe noch viele Male aufmerksam hören, da es viel zu entdecken gibt.

Yannik

Meine Genres: Progressive Metal, Thrash Metal, (Technical/Melodic) Death Metal, Power Metal, Nu Metal, Hip Hop

Meine Bands:
Nevermore, Metallica, Children of Bodom, Dream Theater, Haken, Limp Bizkit, Linkin Park, System of a Down, Havok, Nile, Necrophagist, Theocracy, Symphony X