Geschrieben von Mittwoch, 08 Februar 2012 12:43

(K)Ein Filmtipp: David Finchers "Verblendung"

verblendung-fincherNur durch Zufall bin ich vor einigen Jahren auf einen Roman namens "Verblendung" von Stieg Larsson gestoßen. Die Lektüre des Thrillers hat mich so begeistert, dass ich auch "Verdammnis" und "Vergebung" in kürzester Zeit gelesen habe. Wer die "Millennium-Trilogie" noch nicht gelesen hat, sollte das schnellstmöglich nachholen. Die schwedischen Verfilmungen (vorrangig der Director's Cut) schafften es bei allen Abweichungen und Auslassungen, die düstere Atmosphäre und Spannung der Thriller auf Bild zu bannen, und setzten das ungleiche Paar Mikael Blomkvist und Lisbeth Salander (brillant gespielt von Nomi Rapace) auf kongeniale Art in Szene. Mit großer Skepsis habe ich mir nun die Hollywood-Verfilmung des ersten Larsson-Bestsellers angesehen, von niemand geringerem gedreht als David Fincher ("Sieben", "Zodiac", "Der seltsame Fall des Benjamin Button"). Und bin mir immer noch unsicher, was ich davon halten soll.


Aus meinem Germanistik-Studium weiß ich, dass man sich von der Buchvorlage lösen muss, um eine filmische Interpretation für sich betrachten zu können. Das ist vielleicht der Anspruch, den man an sich selbst haben sollte, realistisch ist er meiner Meinung nach allerdings nicht. Wer die literarische Vorlage kennt, wird diese immer mit dem filmischen Ergebnis vergleichen. Bei "Verblendung" stehen Kenner der Romane und der schwedischen Verfilmung nun aber vor einem noch größeren Problem: Finchers Version muss sich nicht nur Vergleiche mit der Romanvorlage, sondern auch der schwedischen TV-Produktion gefallen lassen.

Vergleichen sollte man nicht, man tut es aber trotzdem unweigerlich. Deshalb ist der Anspruch, alle Versionen unabhängig voneinander und für sich alleine zu beurteilen, zwar löblich, aber nicht realistisch. Unter diesem Gesichtspunkt habe ich Finchers "Verblendung" gesehen, und natürlich bringe ich die Hollywood-Verfilmung mit der schwedischen Verfilmung in Verbindung. Die ist für mich ganz einfach die bessere, vor allem in der noch detaillierteren, erweiterten Fassung.

Noomi Rapace gibt als Lisbeth Salander eine ansehnlichere, hübschere Figur ab. Das kann man natürlich vortrefflich kritisieren, und in Finchers Version kommt Rooney Mara der Figur im Buch rein äußerlich vielleicht näher. Trotzde bringe ich mit Lisbeth immer Noomi Rapace in Verbindung, die wandlungsfähig ist und auf mich viel mehr den Eindruck der Rebellin, vom Leben immerzu enttäuschten, aber trotzdem starken Frau macht. Ihre Darstellung ist für mich überzeugender, ihre Art einfach passender.

Die Vergewaltigungsszene ist in beiden Filmen toll gespielt, die Rolle als Rächerin nimmt man Rapaces Lisbeth jedoch eher ab. Vor allem gegen Ende des Films (nach der Folterszene, Stichwort brennendes Auto) sieht man förmlich die stahlharte Genugtuung in Lisbeths Augen, ihren Willen, nicht zur Hilfe zu eilen – ihre Rache an einem "Verbrecherschwein", wie sie sich ausdrücken würde. Das macht sie trotz ihres hübschen Äußeren, das man durch all die Tattoos und Piercings immer erkennen kann, meiner Ansicht nach noch gefährlicher. Sie ist gleichzeitig verwundbar und unheimlich selbstbewusst.

In der schwedischen Verfilmung kommt generell mehr Spannung auf, vor allem am Ende schlägt einem das Herz bis zum Hals. Das Tempo ist gehetzter, vieles liegt lange im Dunkeln, man vermutet, dass irgendwas nicht stimmt, die Auflösung ist gelungener als in Finchers Remake. Und trotz des Hochglanz-Looks, der wunderschönen Landschaftsaufnahmen im verschneiten Schweden und des sehr gelungenen Soundtracks, an dem Trent Reznor (NINE INCH NAILS) beteiligt war, kommt mir die schwedische "Verblendung" düsterer und abgründiger vor. Trotzdem ist sie zugleich emotionaler und menschlicher: Wie sehr sich Lisbeth um ihren Vormund kümmert, wird in der schwedischen Produktion viel deutlicher. Wie sehr sie von Mikael letztendlich enttäuscht wird, leider nicht – einer der wenigen Punkte, in denen Finchers Film meiner Meinung nach zutreffender ist.millennium trilogie

Irgendwie ist ja alles bloß Ansichtssache. Vielleicht bin ich voreingenommen, weil ich Buch und TV-Verfilmung bereits kenne und letztere im gegensatz zu Finchers Version nicht bloß ein-, sondern mehrmals gesehen habe. Aber ich würde jedem Kenner der Bücher zuerst einmal die schwedischen Filme in den erweiterten Versionen empfehlen. Selbst denen, die die Romanvorlage nicht kennen, würde ich dazu raten. Die TV-Produktion beinhaltet meiner Meinung nach mehr Inhalt, mehr Substanz, sie ist konsistenter, in sich schlüssiger und einfach spannender, selbst wenn Fincher versucht, möglichst detailliert auf die Romanvorlage einzugehen und sich an sie zu halten. Dass so etwas nicht immer klappt, auch wenn die Roman-Fans enttäuscht sein könnten, zeigt die schwankende Qualität der Harry Potter-Verfilmungen.

Also: Besorgt euch bei Interesse an dem Stoff lieber die schwedischen Versionen, am besten im Director's Cut. Wer "Verblendung" gesehen hat, möchte auch die anderen beiden Teile sehen, die deutlich straffer miteinander verwoben sind, aber auf viele Dinge aus "Verblendung" und natürlich die Beziehung Blomkvist-Salander zurückgreifen.

Bei der Veröffentlichung auf DVD/BD hat sich die Produktionsfirma allerdings einige grobe Schnitzer erlaubt: Während die Box mit den Kinoversionen noch eine Bonus-DVD enthält, fehlt diese bei der Director's Cut-Box, die zudem nur über die deutsche Tonspur verfügt. Die Kinoversionen enthielten auch noch den schwedischen Ton. Selbst, wenn man die Filme nie in der Originalsprache hören möchte: Vor allem auf den BDs, die laut vieler Kritiken eh kein vernünftiges HD-Bild bieten, wäre genügend Platz dafür gewesen. Investiert also einfach 20 Euro in den Director's Cut auf DVD, und genießt die schwedischen Originale aller drei Filme. Danach könnt ihr euch dann ein eigenes Bild über Finchers Remake machen.