Geschrieben von Donnerstag, 03 Juni 2021 10:30

15 Monate Vorfreude – Der Weg der Livebranche durch die Coronapandemie

Wacken 2019 Wacken 2019 Bild: Cengiz Aglamaz

Nun ist es offiziell, das Wacken Open Air wird erneut vertagt und damit schwindet die Hoffnung auf so etwas wie einen Festivalsommer 2021 erheblich. Einige wenige Veranstalter:innen planen und feilen weiterhin an möglichen Konzepten und auch ICS (die Veranstalter hinter dem Wacken) gibt sich noch nicht komplett geschlagen.

Mein letztes Konzert ist schon ein Weilchen her und seit dem letzten Frühjahr hat sich doch ein wenig geändert. Statt meiner zwei bis drei Konzerte die Woche, greife ich vermehrt zur Gitarre und zum Gamepad. Statt Katzenvideos werden Impf- und Corona-Dashboards studiert und Hochrechnungen hinterfragt. Konzerttickets verstauben und so manche Tour wurde häufiger verschoben als der Release von Cyberpunk 2077.

Dabei waren wir im letzten Jahr noch so optimistisch – erst sollte die Pandemie über den Sommer verschwinden und "spätestens ab August können wir wieder in den Moshpit!". Die Lage entspannte sich tatsächlich im Sommer, um dann mit großer Wucht jegliche Hoffnung im Keim zu ersticken.

Kreative finden Wege, kreativ zu sein

Ansonsten war 2020 ein Jahr des Machens und Ausprobierens, ich dürfte so ziemlich jedes Wohnzimmer eines jeden Musikers gesehen haben, im Zuge zahlreicher Streams. Viele Musiker haben es sich auf Twitch gemütlich gemacht und quatschen, zocken oder musizieren dort. Wir hatten ein spannendes virtuelles Wacken und ein technisch sehr beeindruckendes Lauterwerden Event. Viele kleine Clubstreams, Konzerte auf dem Wasser und in Höhlen. Kreative finden immer Wege, um kreativ zu sein.

Doch die fehlenden Toureinnahmen kann auch kein Twitch Stream oder die nächste Spotify Single ersetzen. Künstler verkaufen nach und nach alte Erinnerungstücke an Fans oder starten neue Projekte, um sich beschäftigt zu halten. So werden Altersrücklagen aufgezehrt oder das eigene Haus verkauft, um irgendwie die Familie zu ernähren und lange genug durchzuhalten. In letzter Konsequenz wird Grundsicherung beantragt und das Leben auf ein Minimum reduziert oder die Branche gewechselt. Doch hier stehen wir vor dem nächsten Problem – wenn es wieder losgeht, fehlt das Rückgrat der Veranstaltungsbranche. Wir sind alle heiß auf den nächsten Moshpit im Matsch, doch es ist niemand da, um für Licht, Lärm und Bier zu sorgen. Kissin Dynamite 2019 in Hamburg

Existenzkampf in der Livebranche

Künstler und Crews kämpfen weiterhin um ihre Existenz. Fast 2 Millionen Arbeitsplätze hängen an der Livebranche und ein nicht unerheblicher Teil arbeitet selbstständig. Sei es als Künstler:in, Techniker:in, Aufbauhelfer:in, Ordner:in, Caterer oder Merchandiser. Innerhalb weniger Tage ist zu Beginn der Pandemie die Lebensgrundlage weggefallen, während versprochene Hilfspakete am Bedarf vorbeigeplant wurden und Existenznöte aufkamen.

Initiativen haben sich gebildet, um im kleinen Rahmen zu helfen, sei es direkt durch Bands oder über gemeinnützige Vereine. Aber auch ein gemeinnütziger Verein unterliegt strengen Vorgaben, wenn es darum geht, finanziell zu helfen. Mit jedem abgesagten Event schwindet auch wieder erneut die Hoffnung für Künstler, Crews und Fans.

Zwischen Hoffnung und Konzertabsagen

Ein Jahr Pause und es sollte alles besser werden: Impfstoff wurde bestellt, Teststäbchen wanderten in jedes erdenkliche Nasenloch und einer Rückkehr zu Livekonzerten stand nichts mehr im Wege. Tourneen wurden nun auf Anfang 2021 verschoben, aber auch bis zum 12. März passierte nichts. Stattdessen feierten wir den einjährigen Stillstand der Livebranche. Immerhin flossen die ersten Novemberhilfen. Die ersten Veranstalter:innen zweifelten an einer baldigen Rückkehr zum Tagesgeschäft, so wurden Rock Am Ring und das Hurricane abgesagt, während andere Festivals noch abwarteten.

Dafür gibt es unterschiedliche Gründe, es benötigt natürlich eine gewisse Vorlaufzeit, um ein Festival zu planen. Je nach Größe der Rücklagen muss hier abgewägt werden, ob es Sinn macht, Mitarbeiter aus der Kurzarbeit zu holen und Dienstleister zu beauftragen, um ein Festival zu planen, welches gar nicht oder nur sehr unwahrscheinlich stattfindet.

Andere Veranstalter werden von der Landesregierung in ihrer Planung unterstützt und können weiterhin an ihrem Festival planen und verzichten deshalb auf eine Absage, denn mögliche Perspektiven gab es einige, doch viele wurden gekonnt ignoriert oder unreflektiert zurückgewiesen.

Testkonzerte und wissenschaftlich begleitete Studien fanden keine weitere Beachtung, obwohl Konzepte funktionierten. Restart-19 mit Tim Bendzko wurde wenig beachtet in kommenden Hygieneverordnungen und „Give Live A Chance“ im Stadion wurde von Beginn an von allen Seiten kritisiert und schließlich wieder abgesagt.

Erste erfolgreiche Events im Ausland

Wer, wenn nicht die Veranstalter, sind in der Lage, kontrollierte und durchkonzeptionierte Events zu planen und durchzuführen?

Genau deswegen schweiften sämtliche Blicke Ende April nach Barcelona. Ein Testkonzert mit 5.000 getesteten Besuchern, ohne Abstand und wissenschaftlich begleitet – das Ergebnis? Die Inzidenzen blieben weitestgehend unverändert und insgesamt sechs der Besucher infizierten sich in den nächsten 14 Tagen mit Covid-19, wovon sich jedoch vier nachweislich woanders ansteckten.

Kürzlich durften erneut 5.000 Besucher in Paris in den Genuss eines Livekonzerts kommen, dicht an dicht und ohne Abstand. Ebenfalls getestet und mit Maskenpflicht. Auch diese Studie soll zeigen, dass Konzertsäle unter bestimmten Bedingungen keine Übertragungsorte für Viren sind.

Vom 18. - 20. Juni findet das Download Festival in England mit 10.000 Besuchern, umfangreichem Line-Up und Testkonzept statt und Festivals im Spätsommer sind auf der Insel mehr oder weniger von offizieller Seite bestätigt.

Wir warten weiter auf Konzerte ...

Rollstuhlsurfer beim Wacken FestivalWährenddessen genießen wir im Strandkorb, auf Picknickdecken oder im Autokino unser Konzert. Das ist durchaus komfortabel, doch aufgrund der geringen Kapazitäten wenig ertragreich und dient in erster Linie der Beschäftigung vor und hinter der Bühne.

Ändern wird sich das so schnell wahrscheinlich nicht, dafür fehlt der Spirit bei den Entscheidern in diesem Land und Kultur genießt auch nicht den Stellenwert, der für solche Schritte nötig wäre. So bleibt nur der neidische Blick ins Ausland.

ORPHANED LAND haben kürzlich ein richtiges Konzert vor Publikum gespielt und die Engländer haben den dortigen Veranstlter:innen die Tickets förmlich aus der Hand gerissen. Währenddessen verwalten hiesige Veranstalter:innen das bestehende Elend und kümmern sich fleißig um Ersatztermine, während immer mehr Künstler:innen mit den Hufen scharren und Tourneen ankündigen wollen.

... und alles wird gut

Vielleicht stehen wir im Herbst endlich wieder dicht gedrängt im Club vor der Bühne, freuen uns auf den ersten blauen Fleck im Moshpit und unsere Schweißgebadeten Helden auf der Bühne. Uns macht es schließlich auch mehr Spaß, über veranstaltete Konzerte als über verschobene Konzerte zu berichten. Beim aktuellen Impftempo könnten in zehn Wochen alle erstgeimpft sein und wenn wir die Ansteckungsdynamik brechen, steht einer möglichen Rückkehr in die Clubs eigentlich nichts mehr im Wege.

Die nächsten Jahre versprechen auf jeden Fall einen vollen Konzertkalender, verschobene Tourneen werden nachgeholt und neue Tourneen werden angekündigt.