Kreator - Phantom Antichrist Tipp

kreator-phantom antichrist


Stil/Spielzeit: meisterhafter, eingängiger Thrash mit klassischen Metal-Anleihen (45:25)
Label/Vertrieb (VÖ): Nuclear Blast (01.06.2012)
Bewertung: 10/10

kreator-terrorzone.de

Kaum einem anderen Thrash Metal-Album wurde in letzter Zeit so entgegengefiebert wie der neuen KREATOR-Scheibe. Nuclear Blasts Mailorder Edition und zig verschiedene LP-Versionen sind bereits seit langem ausverkauft, der vorab als Single ausgekoppelte Titeltrack ließ die Wartezeit auf "Phantom Antichrist" schier endlos erscheinen. Nach der Veröffentlichung ist es nun amtlich: Kaum eine Thrash-Platte, die in nächster Zeit Jahr erscheint, wird auch nur den Hauch einer Chance gegen dieses Meisterwerk haben!

Nie zuvor (nein, auch nicht auf dem Vorgänger "Hordes Of Chaos") waren KREATOR so abwechslungsreich und eingängig. Die melodische Ausrichtung und Einflüsse des klassischen Metals könnten einigen Fans zu experimentell sein. Allerdings, und da muss man Mille uneingeschränkt Recht geben: KREATOR können kaum noch härter und schneller werden, also wollte die Band, um sich nicht selbst in eine Sackgasse zu manövrieren, die Arrangements verfeinern und an Melodien feilen. Genau das haben KREATOR getan, und zwar so, dass mir auf Anhieb keine andere Thrash-Combo einfällt, die auch nur annähernd perfekt Melodie und Härte miteinander verbindet. Und keine Angst: Holzen können die Ruhrpottler immer noch wahnsinnig gut, wie nicht nur der geniale Titeltrack, sondern auch das rasende "Death To The World" (kantig, roh, aber auch mit einer hoch eingängigen Passage versehen), das straighte "Victory Will Come" und das zackige "Civilization Collapse" mit eindrucksvollen Gitarren, geiferndem Mille und Ventor in Topform zeigen.

Noch beeindruckender als die abwechslungsreichen Thrasher in typischem KREATOR-Stil sind die Songs, in denen Mille mit seiner Mannschaft Grenzen auslotet. So enthält "From Flood Into Fire" mit hochmelodischem Gitarreneinstieg, famosem Riffing im Midtempo, Killerchorus, dem Wechsel zu rasender Thrash-Power, unverzerrten Gitarren und Milles Klargesang nach einem Break sowie akribisch ausgerabeiteten Soli die Essenz von KREATOR in 5 ½ Minuten. Das ist definitiv kein reiner Thrash im engeren Sinne, aber meisterhaft umgesetzt und einfach ungheimlich geil! "United In Hate" beginnt gar mit einem Akustik-Intro, bevor das Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten wird und der Song in einem hymnischen Refrain gipfelt. "The Few, The Proud, The Broken" ist wieder halb im Midtempo, halb in Überschallgeschwindigkeit angesiedelt und überrascht eine Minute vor Schluss mit einem zurückhaltenden Mille und Akustikgitarren.

Auch "Your Heaven, My Hell" ist abwechslungsreicher als alles, was manche Thrash-Truppen auf einem Album fabrizieren: Nach melodisch-hartem Einstieg brummelt Mille über einem von MAIDEN beeinflussten Fundament aus kunstvollen Gitarren, leichten Percussions und pumpendem Bass, bevor das Tempo erhöht wird, Mille angepisst faucht und die Gitarren riffen, was das Zeug hält. Klassisch metallisch geht es zum Schluss auch auf "Until Our Paths Cross Again" zu. Die schleppenden, erhabenen Strophen erinnern atmosphärisch ein klein wenig an AMON AMARTH, bevor mit dem epischen Chorus der hymnische Aspekt dieses Meilensteins in der Geschichte aller KREATOR-Nummern unterstrichen wird.

"Phantom Antichrist" ist für meine Verhältnisse bahnbrechend. Es klingt so ausgefeilt, vielseitig und eingängig wie kein anderes KREATOR-Album, vergisst trotz aller Melodien aber nicht die Wurzeln der Band. Trotz der vorhandenen Härte sind die Ruhrpottler meilenweit vom rohen Geholze ihrer Anfangstage entfernt. Oder besser gesagt: Sie haben sich in ungeahntem Maße weiter entwickelt, ohne ihren ureigenen Stil zu vergessen. Mille und insbesondere Sami liefern die wohl beste Gitarrenarbeit ihrer schon seit mehr als zehn Jahren bestehenden Zusammenarbeit ab, die Riffs, Leads und Soli sind ganz, ganz großes Kino. Selbst nach zig Durchläufen bemerkt man immer neue Details. Mille selbst hat aus seinem zweifellos limitierten Stil ein Höchstmaß an Abwechslung herausgeholt und liefert mal eben die beste Gesangsleistung seiner Karriere ab. Und ja, man kann hier tatsächlich (zumindest stellenweise) von "Gesang" sprechen, so dass auch diejenigen, denen Milles Vocals immer zu eindimensional und krächzend vorkamen, ein Ohr riskieren sollten. Das Tüpfelchen auf dem i ist die kraftvolle, äußerst wuchtige Produktion von Jens Bogren.

Egal, ob Thrasher oder nicht: "Phantom Antichrist" MUSS man gehört haben, wenn man auf Melodie und Härte steht. Und mit den zehn ausnahmslos herausragenden Songs auf dem eigentlichen Album nicht genug, bietet die Special Edition mit zwei Digipacks im Schuber noch eine Bonus-DVD mit Making Of und unter dem Titel "Harvesting The Grapes Of Horror" eine knappe Stunde Livematerial aus Wacken 2011 und 2008. Value for money ist bei einer solchen Ansammlung an Qualität schon eine beleidigende Untertreibung!