Turbostaat - Vormann Leiss

Turbostaat - Vormann Leiss
    Melancholischer Deutsch-Punk

    Label: Same Same But Different / Warner
    VÖ: 17.08.2007
    Bewertung:9/10

    http://www.turbostaat.de


Fast fünf Jahre ist es her, als ich TURBOSTAAT das erste Mal im Vorprogramm der BEATSTEAKS gesehen und mir daraufhin sofort das Debutalbum „Flamingo“ zugelegt habe. Schon damals zogen mich die Flensburger mit ihrer melancholisch angehauchten Mischung aus lärmendem Deutsch-Punk, leisen Zwischentönen, intelligenten Gitarrenharmonien und (scheinbar) abstrusen Songtexten in Ihren Bann. Wenig später folgte ebenfalls auf dem Hamburger Mini-Label Schiffen das zweite Album „Schwan“ welches mich endgültig zum Fan und Supporter der Band machte. 

Fand ich „Flamingo“ noch irgendwie exotisch, entpuppte sich „Schwan“ nämlich als süchtig machendes Meisterwerk, welches in der deutschen Musikszene abseits von Kram wie TOMTE, KETTCAR, MUFF POTTER und wie sie alle heißen still und heimlich zur Speerspitze des Undergrounds gehörte. Das ist vier Jahre her, doch außer den befreundeten BEATSTEAKS, einer übersichtlichen Fan-Community und Mailordern wie Green Hell, schien kaum jemand Notiz von den stürmischen Flensburgern genommen zu haben. Noch Ende letzten Jahres spielten TURBOSTAAT in abgefuckten Kneipen hässlicher Kleinstädte.

Was dann passiert ist, kann ich nicht so richtig erklären. Plötzlich, und das wird auch sicher mit den vielen starken Live-Auftritten zu tun haben, schien jeder auf das dritte Album zu warten und als dann auch noch bekannt wurde, dass TURBOSTAAT bei Same Same but Different, einem Unterlabel des Majors Warner unterschrieben haben, scharrte die Musikszene mit den Hufen. Magazine wie Uncle Sally’s oder Stardust packten die Nordlichter noch vor Veröffentlichung der neuen Scheibe auf ihre Titelseiten. Jetzt auf einmal konnte es gar nicht schnell genug gehen, der Virus hatte sich innerhalb von wenigen Wochen über ganz Deutschland verbreitet. Da frage ich mich, wo Ihr all die Jahre gewesen seid? Na ja, ich habe mich immer gewundert, warum niemand früher auf den Zug aufgesprungen ist und jetzt will halt jeder mitfahren. Da macht man doch gerne Platz, schließlich gehört die Welt jedem.

Jetzt bevölkern TURBOSTAAT sogar die Charts, stehen bei amazon.de irgendwo zwischen Sabrina Setlur und Tocotronic. Mich freut’s, denn bei so unkonventioneller Musik braucht sich um Ausverkauf nun bestimmt niemand Sorgen zu machen. Wer die sympathischen Jungs mal getroffen oder Interviews von Ihnen gelesen hat, weiß, dass sie sich niemals anpassen werden und weiterhin ihr Ding durchziehen. Nur dass nach der Ruhe jetzt der Sturm kommt.

Kommen wir zu „Vormann Leiss“: Nach vier Jahren Wartezeit habe ich mich natürlich tierisch auf die Platte gefreut und ich wurde nicht enttäuscht, auch wenn sie im Vergleich zu „Schwan“ ganz leicht abfällt, weil Sänger Jan oft  in eine Art Sprechgesang verfällt und so die hymnischen Momente etwas seltener geworden sind. Aus purer Verzweiflung ist ein kontrollierter Rundumschlag geworden, man beschäftigt sich mit den Sorgen des Lebens, will verstanden werden, auch wenn die Texte wie immer dreideutig sind. Die wunderschönen Gitarrenharmonien hätten dabei gerne etwas mehr Raum bekommen können, aber dann wäre es wahrscheinlich auch kein Punk mehr gewesen.

Ansonsten gibt es halt Turbostaat wie man sie kennt – auf alle Songs braucht man an dieser Stelle nicht einzugehen, denn die befinden sich fast durchgehend auf dem selben hohen Niveau, wobei ich die Single „Harm Rochel“ doch meistens eher meide, weil sie musikalisch etwas abfällt. Der Rest der Platte gibt mir einfach mehr.

Mir persönlich gefallen momentan „Bei Fugbaums“ und der Titeltrack (toller Abschluss mit einer Prise Hoffnung) am besten, das können morgen aber auch „Am Ende einer Reise“ oder „Ja, Roducheln“ sein. Zum Abschluss bleibt mir nur sagen, dass TURBOSTAAT die ganze Aufmerksamkeit verdient haben und zu den wenigen eigenständigen Bands aus unserem Lande gehören, die konsequent ihren eigenen Weg gehen. TURBOSTAAT muss jeder für sich selbst entdecken (funktioniert auch live bestens). Wer es noch nicht getan hat, sollte spätestens jetzt damit beginnen.