Nadine

Nadine


SLEAFORD MODS liefern mit ihrem fünften Album "Eton Alive" mein erstes Albumhighlight 2019 ab. Obwohl wütende Bands aus England mit smarten Texten bei mir grundsätzlich offene Türen eintreten und ich das Schaffen des Elektropunk-Duos von Anfang an verfolge, so richtig konnten mich die Platten nicht abholen und mehr als anerkennendes Kopfnicken war nie drin. "Eton Alive" ist das erste Album, das die Band auf ihrem bandeigenen Label Extreme Eating veröffentlicht und bei mir voll einschlägt. 


TURBOSTAAT gelten nicht umsonst als eine der besten Livebands des Landes. Umso schöner war der Moment, als die Band ihr erstes Livealbum "Nachtbrot" in Kombination mit einem dicken Fotobuch ankündigte. Auf die erste Vorfreude folgten Bedenken: Kann man die Atmosphäre auf einem TURBOSTAAT-Konzert wirklich authentisch einfangen? Und überhaupt, nennt mir doch mal drei richtig starke deutsche Punk-Live-Alben?!


DAVE SMALLEY & THE BANDOLEROS fügen sich dem Unvermeidlichen und veröffentlichen mit "Join The Outsiders" ein erstes gemeinsames Album als Band. Der ehemalige Lehrer Dave Smalley dürfte vielen durch seine Aktivitäten als Sänger und Gitarrist bei Kapellen wie ALL, DOWN BY LAW, DYS und vielen anderen Bands bekannt sein. Den Hörer erwartet also eine knappe Stunde vollgepackt mit melodischem Punkrock, ungezwungen und in jeder Sekunde äußerst erfahren. Musik gespielt von Leuten, die es wirklich können und deshalb auch wollen und nicht müssen.


Das Post-Punk-Trio PARTOUT gönnt sich was und startet seine s/t EP mit einem Intro ... so richtig dringlich war das nicht, stört aber auch nicht wirklich. Als Querverweise werden DIE NERVEN, TURBOSTAAT, LYGO und HUELSE angegeben – eine treffende Auswahl, der selbst die findigste Reviewschreiberin nichts hinzufügen muss. 


Die Post-Hardcore-Neulinge WIRE LOVE gönnen sich auf "Leave The Bones" einen sanften Einstieg. Behutsam, schon fast zaghaft, schleichen sich alle Instrumente nacheinander ins Geschehen. Langsam aber sicher legt sich drückende Schwere auf den Hörer, wie von Geisterhand stellen sich das Gefühl der Entschleunigung und benebelte Schwerelosigkeit ein.


In Dänemark leben die glücklichsten Menschen, sagt man. LIFESICK beziehen sich bei ihrem Album "Swept In Black" eher auf ihren Bandnamen und spucken über zehn Songs verteilt Gift und Galle. Als Hörer fühlt man sich wie ein Stück rohes Fleisch, das von einem aggressiven Hund im Mund tot geschüttelt wird. Aber gut ... Hardcore eben, und irgendwie wollt ihr es doch auch.


Audienz bei PABST

Grunge ist tot, das weiß jeder. PABST aus Berlin spielen auf ihrem über Crazysane Records erschienenen Debütalbum "Chlorine" aber einen Sound, der sehr stark an die guten alten Neunzigerjahre erinnert. Der Bandname kommt mitnichten von religiösen Vorlieben, sondern von einem preiswerten, amerikanischen Bier. "Eigentlich haben wir aber selbst nie wirklich Grunge gehört, höchstens mal NIRVANA", erinnert sich Sänger und Gitarrist Erik. "Doch, AUDIOSLAVE habe ich mal gehört, das ist mir mittlerweile sogar etwas peinlich. Das ist aber auch kein richtiger Grunge und eher so Tom-Morello-Gewichse", wirft Bassist Tilmann ein.


Wie es zur EP "Be Kind" der Post-Hardcore-Band THE TIDAL SLEEP kam, ist nun wirklich Definitionssache. Man könnte sagen, dass sie einfach nur die Reste ihres 2017er-Albums "Be Water" verwertet haben oder den Songs eine solche Dringlichkeit zusprechen, dass sie sie der Öffentlichkeit auf keinen Fall vorenthalten möchten und Dimi Conidas zum Nachmixen gebeten wurde. Fest steht, dass es sich bei den vier Songs um alte Songs handelt und die EP die 100. Veröffentlichung auf dem von mir sehr geschätzten Label This Charming Man ist. 


Bands wie WAR WITH THE NEWTS liebe ich, macht euch also gefasst auf eine Lobhudelei zu deren Debüt "Muerte мій Amour", die subjektiver wohl kaum sein könnte. Manchmal muss das aber sein. Zum Beispiel dann, wenn die Band dich schon beim ersten Durchlauf während der Autofahrt zwingt, dass du jeden Song etwas lauter stellst. Wenn sich anerkennendes Kopfnicken in begeistertes Mitwippen steigert und alles in voller Lautstärke und mit ekstatischem Gezappel hinterm Lenkrad endet. Erfrischend unprätentiös und fernab jeglicher Trends scheinen WAR WITH THE NEWTS hemmungslos loszurocken. Ein anschließender Blick auf Bandfotos im Netz zeigt zum Glück auch keine durchgestylten Möchtegern-Coolios, sondern ein fröhliches und real runtergerocktes Hängertrio. Musikalisch erwartet uns eine bunte Schorle aus Grunge, Punk, Hardcore und Noise.


Die Postpunkband LAFOTE aus Hamburg wagt mit ihrem Album "Fin" einen ersten Aufschlag. Wir waren ziemlich angetan, denn wer Songs über Spaghettieis schreibt und mit dem Pferd über den Rathausplatz reitet, der kann kein schlechter Mensch sein. Gitarrist und Sänger Jakob Groothoff (links im Bild oben) war bereit, sich unseren Fragen zu stellen. Über Lifestyle-Eskapismus, Musik und die einfache Tatsache, dass gute Laune eben einfach schlechte Laune macht.


NEAT MENTALS pfeifen auf lästige Begrüßungsrituale und legen umgehend los auf ihrem ersten Album "Humanoid". Das Quartett leistet sich eine charmante Zeitreise mit Stopps irgendwo zwischen den Achtzigerjahren und Anfang der Neunziger, als Punkrock noch unvermeidlich mit Skateboard fahren (in den mir bekannten Fällen leider eher mit "so tun als ob" und dann mächtig auf die Schnauzen legen) und Garagensound verbunden war.


IVAN IVANOVICH AND THE KREML KRAUTS aus Trier – der ältesten Stadt Deutschlands – sind kein Newcomer und "Wodoworot" ist auch nicht das erste, sondern bereits das dritte Album. Seit 2007 sorgt die acht Mann starke Band mit Polka-Punk für gute Laune, durchgeschwitzte Shirts und platt getanzte Füße.


HANGMAN'S CHAIR lassen sich mit "Banlieue Triste" Zeit, richtig Zeit. Ihr fünftes Album veröffentlichten die Franzosen bereits im Frühjahr selbst, nun schießen sie angetrieben von einem großen Label nochmals in der passenden Jahreszeit nach und bekommen hoffentlich mehr Aufmerksamkeit.


"Applause Of A Distant Crowd" von VOLA ist sicherlich ein Album, das es bei Fans von Progressive Metal in der Jahresbestenliste ganz locker auf das Treppchen schaffen wird. War der Vorgänger "Inmazes" schon beachtlich, haben sich die vier Dänen mit ihrem zweiten Album selbst übertroffen und erhaschen hoffentlich zukünftigt die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.


Alleine schon mit dem Coverartwork von "33" hat GRZEGORZ sofort mein Interesse geweckt. Es zeigt Grzegorz Olszowka als kleinen Knirps, im Schlafanzug mit der Fernbedienung auf dem Teppich sitzend und ganz offensichtlich komplett in den Bann gezogen von den bewegten, bunten Bildern im TV. Das ist schon einige Jahre her und die Musik auf seinem Album verkörpert eher den Stress und die Reizüberflutung, der Kinder heutzutage über TV, Internet und Social Media ausgesetzt sind. Olszowka ist einer, zu dem man ‚Tausendassa‘, ‚kreativer Kopf‘ oder ‚Hans Dampf in allen Gassen‘ sagt – demensprechend vielseitig und offen präsentiert er sich mit einem starken Mix aus Industrial, Alternative und Synthpop.


Ich bin hinüber. Du bist hinüber. Er, sie, es ist hinüber. Entweder heute oder morgen, aber irgendwann auf jeden Fall. Kevin, Matze, Michi und Nico sind die Band HINÜBER aus Köln und spielen Punkrock, ähnlich, wie sie es in ihren Vorgängerbands KOETER, NEIN NEIN NEIN und COPILOT getan haben. Mit ihrer selbstbetitelten EP gönnen sie uns gerade mal 10 Minuten Spielzeit. Das war dann aber auch schon der einzige Patzer, den sich HINÜBER leisten.


LAFOTE fangen mit "Fin" von hinten an, hinten ist schließlich auch irgendwie vorne. Die Hamburger beglücken uns mit überspitztem Miese-Laune-Rock, fast immer ironisch tanzbar und mit einer lebenbejahenden ersten Zeile wie "Ich habe keine Kraft mehr", begleitet von einem scheinbar kopfschüttelnden Schlagzeugtakt. Wieder ein grantiges und von Noise angehauchtes Trio, wieder aus Deutschland – logisch, dass einige sofort an die üblichen Referenzbands denken. Dabei erinnern LAFOTE viel mehr an DIE STERNE oder TOCOTRONIC, als an DIE NERVEN. Alles auf "Fin" wirkt äußerst dringlich, stark angespannt und kurz vorm Platzen.


Fragt man hundert Leute, was sie sich unter einer Band namens NUAGE & DAS BASSORCHESTER und derem Album "Es Lohnt" vorstellen, wird man skurrile Fehldeutungen hören. Gibt man dann aber das Label This Charming Man und Songaufnahmen durch Pogo McCartney von MESSER als weitere Hinweise dazu, grenzt sich das Spektrum schon etwas ein. Zu hören gibt es von der Band aus Bergkamen eine ansprechende Mischung aus Post-Punk, Noise und Wave mit herrlich übellaunigen Texten.


ANTI-FLAG bringen mit "American Reckoning", wahrscheinlich inspiriert von ihrer Benefiz-EP "Live & Acoustic In Vienna", nun ein komplettes Akustikalbum raus. Da kann einiges schief gehen und die Skepsis war dementsprechend groß. Überraschenderweise funktioniert die Idee aber erstaunlich gut und neben den gelungenen Neu-Interpretationen ihrer eigenen Songs von den Alben "American Spring" und "American Fall" finden sich auch Cover von CHEAP TRICK, BUFFALO SPRINGFIELD und JOHN LENNON auf dem halbstündigen Album. 


ATREYU wagen sich mit "In Our Wake" definitiv auf die nächste Stufe. Weg von den kleinen Bühnen, stramme Marschrichtung ins Stadion. Dabei umschiffen die Amerikaner (wieder) gekonnt die üblichen Stolperfallen. Trotz aller Eingängigkeit klingen die 12 Songs nicht plump oder anbiedernd, kleine Überzuckerungen hier und da fallen nicht weiter ins Gewicht. Das liegt zu einem an den wirklich sehr guten Kompositionen und zum anderen an der angenehm kratzigen Stimme von Alex Varkatzas. Besonders mitreißend ist aber das enorme Selbstbewusstsein der Band. "In Our Wake" ist kein Versuch, sondern der nächste logische Schritt.

Seite 2 von 28