Geschrieben von Mittwoch, 12 April 2017 18:25

Ill Nino und Ektomorf – Rückblick auf ein großartiges Konzert im Bi Nuu, Berlin

1.4.2017 – Was für ein Abend! Um halb 1 stolpern wir durchgeschwitzt und glücklich aus dem Bi Nuu am U-Bahnhof Schlesisches Tor in Berlin und sind uns sicher, dass wir gerade eines der besten Konzerte des Jahres erlebt haben. Was für eine Stimmung, was für eine Energie. Aber fangen wir von vorne an.

Die US-Nu-Metal-Band ILL NINO feiert das 15-jährige Bestehen ihres ersten Albums „Revolution Revolución“. Seither sind sechs weitere LPs erschienen, aber keine davon konnte an den Erfolg und die Wirkung des Erstlingswerkes anknüpfen. Jahrelang waren Ill Nino völlig aus meiner Wahrnehmung verschwunden. Bis zu dem Tag, an dem sie auf dem Wacken Open Air 2015 eine der besten Shows des gesamten Festivals abgeliefert haben. Dementsprechend groß war die Freude, als die Tour-Ankündigung folgte. Da es anfangs keinen Termin in Hamburg gab, entschied unsere kleine Konzert- und Festivaltruppe kurzerhand, nach Berlin zu fahren. Nach Hotel- und Ticketbuchung wurde dann doch der 15.04. für Hamburg bestätigt. Aber sei es drum. Ein Städtetrip ist ja auch immer eine schöne Sache.

Um 19:00 Uhr werden die Türen des Bi Nuu geöffnet. Was von außen eher abgerockt und schäbig aussieht, entpuppt sich im Inneren als Vorzeigekonzert-Location mit mehreren Bars und ansprechender Einrichtung. Neben EKTOMORF und Haupt-Act ILL NINO stehen noch drei weitere Bands auf dem Programm.

MADLIFE – Industrial Hard Rock als Appetizer

Den Anfang machen pünktlich um 20:00 Uhr MADLIFE, eine Industrial-Hard-Rock-Band aus Los Angeles. Visuell stechen die vier Herren insbesondere durch ihren Hang zu experimentellen Frisuren hervor. Sänger Angry Phill trägt eine Kombination aus Undercut und Vokuhila, Gitarrist Isaiah Stuart hat sich fesche blonde Strähnen in die Stachelfrisur färben lassen, Basser DieTrich Thrall (ernsthaft jetzt?) lässt die schwarze Emo-Mähne kess über die geschminkten Augen fallen und Drummer Kyle Cunningham erinnert optisch stark an THE RASMUS Frontmann Lauri Ylönen.

Musikalisch wirken MADLIFE hingegen eher blass. Was sie spielen, ist nicht mal schlecht und gerade Drums und Gitarre liefern ab und an starke Akzente, aber so richtig aufregend oder einfallsreich ist die Show nicht. Hinzu kommt, dass die Stimme von Angry Phill alles andere als angry ist, auch wenn er in einem Song dazu auffordert, seinen „angry song“ mit ihm zu singen. Die Einflüsse RAMMSTEIN, ROB ZOMBIE und KORN, die die Band auf ihrer Facebook-Seite selbst angibt, vermag ich nicht rauszuhören. Trotzdem ist das Publikum schon jetzt bester Laune und bejubelt die Kombo wohlwollend.

INCITE vergeigen den ersten Eindruck ... und thrashen umso gewaltiger

Als Zweites schlurfen INCITE zum Line-Check und der Ausdruck darf hier gerne wörtlich genommen werden. Denn von der Energie, die die Thrash-Metaller in wenigen Minuten abfeuern werden, ist an dieser Stelle noch nichts zu erkennen. Scheinbar müde und mies gelaunt werden die Instrumente gestimmt und die Mikrofone getestet, es folgen fünf Minuten Stille und dann betreten INCITE zum zweiten Mal die Stage und sind wie ausgewechselt! Vom ersten Moment an preschen die Vier los.

Erstaunlicherweise rastet trotz deutlich härterer Gangart insbesondere der weibliche Teil des Publikums völlig aus und in der Mitte des Raumes bildet sich bereits nach wenigen Minuten ein amtlicher Moshpit. Das Berliner Publikum macht keine Gefangenen. Alle Zeichen stehen schon jetzt auf Eskalation.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht Fronter Richie Cavalera. Der berühmte Nachname ist kein Zufall, denn bei dem jungen Mann, der unaufhörlich über die Bühne springt und rennt, handelt es sich tatsächlich um den Stiefsohn von Max Cavalera (u.a. SEPULTURA, SOULFLY). Die Band spielt eine moderne Version des Thrash Metal, wobei auch gelegentlich Einflüsse aus Hardcore und Punk verarbeitet werden. Neben dem charismatischen Sänger fällt vor allen Dingen Gitarrist Dis ins Auge, der in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit seine Finger über das Instrument gleiten lässt.

Unsere kleine Konzertgruppe ist bezüglich der Performance jedoch durchaus zwiegespalten. Während ein Teil anerkennend nickt (wir sind Hamburger – wir brauchen mehr, um zu moshen), verzieht ein anderer das Gesicht und wünscht sich hinfort.

Zu viel des Guten bei XTORTYA

Lustigerweise kehrt sich das Stimmungsbild bei der dritten Band XTORTYA exakt um. Die Band mit der längsten Anreise des Tages – sie kommen aus Australien – beschreibt ihren Stil selbst mit folgenden Worten: „Rock, Hip-Hop, Metal, Electronic ... everything“, und genau so wirkt es auch. Für meinen Geschmack werden hier zu viele musikalische Gangarten zu wahllos miteinander kombiniert. Hip-Hop und Metal passt für mich, Electronik und Metal ebenfalls, aber spätestens wenn Gitarrist Darren zum Gesang ansetzt, der stark an schnulzige Boybands aus den 90er Jahren erinnert, bin ich raus. Leider macht er das ziemlich häufig und ziemlich schief.

Die Band wirkt irgendwie zusammengecastet und unauthentisch. Auch der mit Hip-Hop-Cap bemützte Sänger Ian kann mich mit seinen Rap-Parts nicht überzeugen. Absolut belanglos und repetitiv. Wie gesagt, es gab in unserer Gruppe und im Publikum aber durchaus zwei Meinungen. Gerade die Mischung aus Rap, Balladenparts und elektronischen Klängen kam teilweise sehr gut an. Und auch wenn XTORTYA das Publikum im Ganzen nicht so zu überzeugen vermochten, wie die beiden Vorgänger, konnten sie an diesem Abend sicherlich einige neue Fans gewinnen.

Lasset den Pit kreisen: EKTOMORF reißen ab

Kurz bevor EKTOMORF ihr Set beginnen, verdünnisieren wir uns ein wenig aus dem Epizentrum des Wahnsinns, auch genannt: vorne Mitte. Wenn bereits bei den weitgehend unbekannten Vorbands wild getanzt und gesprungen wurde, dann wird es gleich wohl kein Halten mehr geben.

Unsere Vermutung soll sich bewahrheiten. Mit dem ersten Schlag von EKTOMORF-Drummer Robert Jaksa bricht der Pit los. Begeistert springen hunderte Metalfans in die Höhe. Ich bin schwerstens beeindruckt von der Energie, die hier freigesetzt wird.

Zugegeben, die Groove Metaller machen es dem Berliner Publikum auch sehr leicht. Wer die Ungarn schon einmal live gesehen hat, weiß, dass djentige Frickelpassagen und Tempiwechsel im Hause EKTOMORF nicht auf der Speisekarte stehen. Das Erfolgsrezept der Camouflage-Liebhaber lautet eher „stumpf ist Trumpf“. Und das schmeckt ganz hervorragend.

Sänger Zoltán Farkas heizt die Menge zusätzlich mit einem immer wiederkehrenden „jump, jump, jump!“ an. Spätestens jetzt freue ich mich sehr, nach Berlin gefahren zu sein, denn dieses Erlebnis wird dem Hamburger Publikum am 15. April leider entgehen.

EKTOMORF treiben den Saal weiter an. Bei „Holocaust“ und „Aggressor“ erreicht die Stimmung ihren bisherigen Höhepunkt. Die Menge singt, springt, pogt und mosht, was das Zeug hält. Selten habe ich ein so energetisches Publikum gesehen. Vielleicht ist doch etwas dran, an der norddeutschen Zurückhaltung, die einem immer unterstellt wird. Mit „Evil by Nature (jump, jump, jump)“ beenden EKTOMORF unter lautem Beifall ihren Auftritt.

Obwohl es mittlerweile weit nach 23 Uhr ist, sind im Raum keinerlei Ermüdungserscheinungen zu bemerken. Ganz im Gegenteil, der Saal fiebert dem Haupt-Act des Abends entgegen. Heute werden ILL NINO ihr gesamtes erstes Album „Revolution Revolución“ live performen, womit für viele Fans wahrscheinlich ein kleiner Jugendtraum in Erfüllung geht.

„Revolution Revolución!“ – ILL NINO treiben es auf die Spitze

Bereits beim Betreten der Stage werden Ill Nino „Revolution Revolución“ CoverILL NINO so stark bejubelt, als wären sie schon fertig mit ihrem Set. Der erste Song “God Save Us“ entlädt sich wie eine Explosion. Mit einem Schlag ist man wieder 15 Jahre jünger und denkt an das erste Mal zurück, als man dieses geniale Album in den CD-Player geschoben hat und dann mit offenem Mund, in völliger Ehrfurcht vor der Anlage saß und nicht glauben konnte, was man da hörte.

Und auch ILL NINO selbst scheinen seit 2002 keinen Tag gealtert zu sein. Mit Ausnahme einer Veränderung könnte man meinen, die Zeit sei stehen geblieben. Und diese Veränderung ist auch noch von Vorteil, denn seit 2013 hat sich ein Perkussionist der Gruppe angeschlossen und sorgt für noch mehr Dynamik in den Songs.

Mit einer unglaublichen Spielfreude jagen die Musiker durch ihr Set und animieren die begeisterte Crowd zum Mitsingen und Springen. Vom ersten bis zum letzten Ton können die Nu Metaller die Qualität und Intensität halten. Auch Christian Machado hat stimmlich glücklicherweise nichts verlernt. Ich bin das gesamte Set hindurch völlig begeistert und bekomme das Dauergrinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht. Und es ging mir nicht alleine so, denn beim titelgebenden Song „Revolution/Revolucíon“ floss bei einem Mitglied unserer Reisegruppe sogar ein kleines Tränchen der Begeisterung.

Nach dem gefühlvollen letzten Stück „With You“ ist um 00:30 Uhr Schluss. ILL NINO verweilen noch ein paar Minuten auf der Bühne, klatschen mit den Fans ab, bedanken sich und verschenken Plektren und Drumsticks. Im Anschluss gibt es noch die Möglichkeit, alle Vorbands an den Merchständen zu treffen und sich Autogramme zu holen. Der Hauptact zeigt sich aber leider nicht mehr.

Schade, denn gerne hätte ich ihnen für diesen grandiosen Abend gedankt, der mit unter 30 Euro für das Ticket auch noch mehr als fair kalkuliert war.