Geschrieben von Freitag, 02 April 2021 18:12

Hämatom im Interview zu "Berlin – Ein akustischer Tanz auf dem Vulkan!"

Hämatom im Interview zu "Berlin – Ein akustischer Tanz auf dem Vulkan!" Photo Credit: Holger Fichtner & Patrick Schneiderwind - 360 Grad Design

HÄMATOM veröffentlichen am 2. April ihr erstes Akustikalbum, das sie im Stil der 1920er Jahre gestaltet haben. Wir haben mit Gitarrist Ost über die Idee, Produktion, Umsetzung und Resonanz dieses außergewöhnlichen Projekts gesprochen.

Erst einmal meinen Glückwunsch zum eurem ersten Akustikalbum, ist ein echt cooles Ding geworden. Wie kam es zu der Idee, ein Akustikalbum im Stil der 1920er Jahre zu machen?

Vielen Dank. Die Idee, ein Akustikalbum zu machen, schleppen wir eigentlich seit mindestens fünf bis sechs Jahren mit uns herum. Nur wussten wir tatsächlich bisher nicht so wirklich, wie wir das umsetzten sollen. Wie HÄMATOM akustisch klingen soll. Es war aber klar, dass so ein balladeskes Akustikalbum im Stil von NIRVANA, BON JOVI oder der ganzen "MTV unplugged"-Series nicht zu uns passen würde. Dafür sind unsere Songs und auch Nords Stimme die falschen.

Dann haben wir uns Mitte Dezember hingesetzt und haben Pläne geschmiedet für dieses Jahr. Eigentlich war es klar, dass da zumindest sehr lange nichts passieren wird und ein normales Album zu releasen keinen Sinn macht ... "also lasst uns mal ein Zwischenprodukt machen. Irgendwas, womit wir die Leute unterhalten können, was nicht zwangsläufig ein paar Wochen später auf Tour präsentiert werden muss".

Und dann kam die Idee dieses Akustikalbums. Irgendwann, als wir uns dann intensiv damit beschäftigt haben, habe ich während einer durchzechten Nacht in einer Bar Dolly Parton gehört. Da ich grundsätzlich ein großer Fan von Babylon Berlin bin und die Parallelen zu der Pandemie vor 100 Jahren deutlich auf der Hand liegen, habe ich gesagt, „Ey Leute, wäre das nicht geil? Wollen wir das nicht in diesem 20er-Jahre-Stil machen?“. Das war dann, glaube ich, der Stein, der das Ganze ins Rollen gebracht hat. Ab diesem Moment hatte jeder eine Vision im Kopf und wusste, in welche Richtung das gehen kann und wie das Album klingen soll.

Habt ihr euch denn auch von Künstlern und Komponisten aus den 20ern musikalisch inspirieren lassen?

Ja, tatsächlich gab’s das beim Songwriting immer wieder, wobei ich da passen muss … Ich bin, was sowas angeht, die komplette Niete. Ich kenne meistens die Songs, kann mir aber die Namen nicht merken. Süd war da immer ganz weit vorne und hat Sachen vorgeschlagen.

Ich weiß, dass wir Frank Sinatra gehört haben, als wir „Die Welt ist High“ geschrieben und geschaut haben, wie da dieser Big-Band-Stil funktioniert. Wir haben uns auf jeden Fall damit auseinandergesetzt.

Es war auch klar, dass wir nicht nur Instrumente verwenden dürfen, die zwischen 1921 und 1924 gebaut wurden. Wir waren da nicht päpstlicher als der Papst. Das, was Nord aussagt, wie die Texte geschrieben sind, das musste passen. Und ob man das jetzt in 1918 oder 1947 einordnen kann, ist egal. Hauptsache, das Grundkonzept stimmt.

Ihr habt euch zusätzlich sowohl Streicher- als auch Bläserensembles für das Album mit ins Boot geholt. Wie war die Zusammenarbeit, hattet ihr schon Erfahrung in der Richtung oder war das etwas völlig Neues?

Nein, also 'ne völlig neue Erfahrung war's nicht. Wir haben mal hin und wieder was gemacht. Das war aber eher vor der Zeit mit HÄMATOM. Bei „Fremd“ auf dem Album „Wut“ hatten wir einen Sitar-Spieler dabei, aber wir haben nicht im Geringsten bläser- oder streicherlastige Songs produziert.

Wenn Streicher dabei waren, dann meistens aus der Konserve – weil zum einen billiger und weil mittlerweile die Sounds einfach großartig sind, zumindest was Streicher angeht. Das sieht bei Bläsern ganz anders aus.

Dann, als wir mit den ersten drei Songs in Münster zum Produzieren ankamen, hat unser Produzent Vincent Sorg sofort gesagt, „Ihr wisst aber schon, wie wir das jetzt machen? So wie ihr euch das vorstellt, brauchen wir Bläser – und zwar richtige Bläser“. Und dann haben wir nur genau 30 Sekunden überlegt: „Okay, das wird teuer, oder?“ Und er, „Ja“. „Alles klar, wir machen's.“ Das war sofort klar. Scheiß drauf, wir nehmen jetzt einfach die Kohle in die Hand und leisten uns das, weil wir Bock darauf haben.

Der Prozess ist halt schon ein aufwändiger. Also die Produktion lief so ab: Wir hatten zehn Tage Studiozeit. Wir mussten in diesen zehn Tagen jeden Tag aufstehen, einen neuen Song schreiben und diesen Song gleichzeitig recorden. Wenn der Song abends abgeschlossen war, wurde er von unserem Produzenten vor-arrangiert mit Synths und Sounds und dann zu einem Arrangeur geschickt, der diese Noten nach unseren Wünschen und Vorstellungen in Partituren umgeschrieben hat ... also Noten daraus gemacht hat, diese auf Stimmen verteilt hat, für Bläser, für Streicher et cetera.

Das war wirklich ein irrsinniger Plan und wir haben Mitte Januar angefangen. Sowas braucht wahrscheinlich eigentlich 'ne gewisse Summe an Jahren, aber irgendwie ist es alles aufgegangen. Es war unfassbar spannend. Vor allem war es unglaublich, zuzuhören, was da für Musiker im Studio angerollt kamen. Die haben das wirklich vom Blatt gespielt. Alles, wo wir dann da sitzen, uns die Finger brechen und dann 'ne Stunde lang an einer Strophe sitzen. Der Song lief einmal durch und war eingespielt. Sowas hab' ich noch nie gehört.

Das waren die Bläser unter anderem von Tom Gaebel oder die, die mit den TOTEN HOSEN auf Tour waren. Bei den Streichern war das auch unfassbar, es waren vier russische Streicher, die in Düsseldorf wohnen und unterrichten. Die kamen dann auch und haben wirklich innerhalb von 'ner Stunde ein ganzes Album eingespielt.

Das Akkordeon haben wir zum Beispiel in Wien aufnehmen lassen, weil Vincent [Sorg], unser Produzent, da so einen total abgefahrenen, abgespaceten Akkordeonspieler kennt. Den hat er angerufen. In Coronazeiten ist es natürlich unmöglich, dass der von Wien erstmal schnell nach Münster fliegt. Also haben wir ein Studio in Wien organisiert und waren dann per Zoom mit ihm im Studio verbunden. Wir haben zugehört, was die machen und dann täglich unsere Tipps nach Wien gegeben. Beim Klavierspieler war es das Gleiche, nur dass der nicht in Wien, sondern in Mexiko lebt.

Also ein sehr internationales Ensemble.

Total! Ja, ein sehr internationales Ensemble. Unglaublich! Ich glaube, jeder von ihnen kann, wenn du ihn früh um vier Uhr aufweckst und er ein halbes Bein amputiert hat und keine Finger mehr dran hat, immer noch besser spielen als die komplette Band HÄMATOM. Das sind einfach unglaubliche Musiker, die anscheinend nichts anderes im Leben machen als zu üben von früh bis spät. Schön für sie, schön für uns!

Hat sich denn das auch auf euer Songwriting ausgewirkt? Oder ging das relativ normal vonstatten?

Nee, also da hatte niemand im Hinterkopf, „Ey wir müssen den Song so und so schreiben, weil Bläser rein müssen“. Wir haben eigentlich klassischerweise mit Klavier und Gitarre geschrieben. Sehr rudimentär am Anfang. Erst dann wurde das ganze aufgeblasen. Dann wurden hier mal Streicher, da mal Bläser dazu genommen, hier noch ein Akkordeon und so weiter. Also das passierte Step-by-Step und nicht auf einmal.

Es ist echt total interessant, dass wir Mitte Januar schon Boxen in China bestellt haben. Wir wussten nur den Titel des Albums und haben Utensilien für die Boxen bestellt, obwohl wir keinen einzigen Song Mitte Januar hatten. Wir bzw. ich bin dann ins Studio und habe mich mit einem anderen Produzenten, mit dem ich auch ab und zu Songs schreibe, getroffen. Dann haben wir einfach angefangen.

Die Idee war eigentlich, nur einen eigenen neuen Song auf das Album zu packen und neun HÄMATOM-Hits – also Songs, die man einfach von uns kennt – in diesem Stile zu verarbeiten. Nach dem ersten Song war eigentlich klar, „Leute, wenn wir das echt schaffen in den nächsten neun Tagen, neun neue Stücke zu schreiben ... dann gibt’s da keine Coverversion und keine Bearbeitungen, sondern nur eigene Sachen". Und dann lief es relativ schnell und zügig.

Wir haben es wirklich geschafft, täglich einen neuen Song zu schreiben. Bei „Du bringst mich um“ sind zum Beispiel keine Bläser, da sind nur Streicher drauf. Also das ergibt sich beim Schreiben eigentlich fast schon von selber.

Ihr habt vor einigen Wochen die Single „Tanz auf dem Vulkan“ veröffentlicht und heute, Ende März, „Au Revoir“. Wie war denn die Resonanz eurer Fans? Das ist ja nun ein völlig anderer Stil als man es eigentlich generell aus dem Metal gewohnt ist?

 

Die Reaktionen waren überraschend positiv. Wir haben wirklich mit dem Schlimmsten gerechnet. Wir dachten, „Okay, da weiß ich, mindestens 30 Prozent werden es ablehnen und uns dafür verfluchen“. Es war überhaupt nicht so! Es waren vielleicht schätzungsweise fünf bis zehn Prozent, die gesagt haben, „das ist nicht meins“.

Normalerweise bin ich ein bisschen dickhäutiger. Vielleicht bin ich auch deswegen so dünnhäutig, weil ich so begeistert von diesem Album bin, was ich wahrscheinlich noch nie zuvor von einem HÄMATOM-Album war. Ich finde es wirklich mutig und jetzt in der Krise genau das Richtige, dass wir uns da so ein bisschen austoben und drauf scheißen.

Am Ende ist es doch alles Musik, wenn es gut ist, ist es gut.

Wenn ich dann irgendwie dieses „Nee Leute, ich mag euch nur, wenn ihr hart seid“ sehe, dann trifft mich das so sehr, weil ich mir denke, „Warum lässt du nicht einfach ein bisschen mehr zu in deinem Leben? Ich glaube du hättest einfach mehr Spaß."

Grundsätzlich sind aber die Reaktionen wirklich durchaus positiv. Komischerweise gerade bei vielen aus der Musikerszene. Wir haben den ersten Song veröffentlicht und plötzlich stand das Handy nicht mehr still. Leute, mit denen du seit Jahren nichts mehr zu tun hattest, schreiben plötzlich, „Gute Idee, geil!“ Das hat mich gefreut, weil da vielleicht auch noch das Verständnis für "Die Jungs probieren sich mal aus“ da ist. Ich meine, wenn nicht jetzt, wann dann?

Ganz genau, wenn man schon mal Sachen ausprobieren kann, dann während einer globalen Pandemie.

So sieht‘s aus! Wenn man eh zu Hause sitzen muss. Grundsätzlich bin ich da sehr happy. Ich bin auch sehr der Realist, was sowas angeht. Wenn du ein Akustikalbum machst, dann musst du immer damit rechnen, dass mindestens ein Drittel der Leute das ablehnen. Das ist so die Faustregel.

Könntet ihr euch vorstellen – wenn es wieder möglich ist – mit dem Akustikalbum und vielleicht einem kleinen Ensemble auf Tour zu gehen oder wäre das völlig undenkbar für HÄMATOM?

Das ist sehr wohl denkbar. Wir planen da sogar konkret was. Wir werden im Sommer, wenn alles klappt, ein paar „Tänze auf dem Vulkan“ machen. Also Open Airs, Strandkorbkonzerte und bestuhlte Sachen, bei denen wir komplett mit Ensemble – und ich hoffe wirklich mit dem gleichen Ensemble, mit dem wir die „Berlin Online Release Show“ aufnehmen werden – auftreten. Das wäre schon klasse. Da sind dann 15 Musiker auf der Bühne: Bläser, ein paar Backgroundsänger:innen, ein Klavier- und Akkordeonspieler, ich hätte noch einen zweiten Gitarristen dabei, der mich unterstützt und ein paar Gäste. Wenn wir es schaffen, das auf die Bühne zu bringen, würde mich das sehr freuen.

Du hast das Online Event eben schon mal angesprochen Worauf dürfen sich eure Fans denn freuen?

Ich sag mal an dieser Stelle: „So eine Show werden die Leute von HÄMATOM noch nie gesehen haben!“ Für mich ist es immer eine Auszeichnung, bzw. ein unheimlich schönes Gefühl, dass es andere abschrecken könnte. Die wollen halt 17 Jahre lang das gleiche sehen. Das werden sie aber nicht bekommen. Sie werden ganz was anderes hören und eine, wie ich finde, sehr schöne Location zu Gesicht bekommen.

Wir transportieren uns so gut es geht ins Berlin der 1920er Jahre.

Wir haben jede Menge Gäste dabei, 'ne Big Band und vor allem Spaß. So viel Spaß wie man bei einem Online Konzert nur haben kann. Und es wird einmalig bleiben. Es wird danach verschwinden und irgendwo in unseren Archiven zumindest für eine lange Zeit archiviert. Das heißt, wer auf gute Musik steht, auf Abwechslung und etwas Neues, der sollte sich das auf jeden Fall reinziehen!

Das klingt doch sehr gut. Vielen Dank für das Gespräch, die letzten Worte an die BurnYourEars-Leser gehören dir.

Ich wünsche allen wirklich, was ich in der letzten Zeit sehr viel sage: Seid ein bisschen offener, hört euch das einfach mal an, lasst das zu, kommt mit auf diese Berlinreise, denn ich bin überzeugt, es lohnt sich! "Gebt dem Album eine Chance", klingt immer so ein bisschen erbärmlich ... aber nicht nur diesem, sondern generell mal anderer Musik. Nicht immer so verbohrt sein, nicht immer glauben, „Metal is the only truth!“ Ja, es ist geil, es ist der geile Scheiß, aber einfach ein bisschen open-minded sein, nicht nur bei Musik.