Geschrieben von Dienstag, 07 März 2017 18:02

Scratches – Eine brennende Leidenschaft / Interview mit Sarah-Maria Bürgin

Scratches – Eine brennende Leidenschaft / Interview mit Sarah-Maria Bürgin Jo Jankowskij

Die Basler Dark Indies SCRATCHES veröffentlichten vor einem Monat über Czar Of Revelations ihr zweites Album „Before Beyond“. Sängerin Sarah-Maria Bürgin stellte sich ausführlich den Fragen der BurnYourEars-Redaktion.

Du kommst aus der Theaterschauspielerei. Das Ensemble „formation poe:son“, dem du auch angehörst, finde ich neben deiner Musik höchst spannend. Wie gelangtest du zur Musik?

Wahrscheinlich, weil ich in der Schule immer gezwungen war, mit den Mädchen Sopran zu singen. Nie durfte ich Alt singen, ich fand singen eine Qual. Und an der Schauspielschule hat mich die klassische Gesangslehrerin vom Gesangsunterricht dispensieren lassen, weil ich beim Einsingen nicht in die Höhen kam, wie die „Königin der Nacht". Wohlgemerkt: Ich hatte da schon eine Band und habe Songs geschrieben, ich war beleidigt. Ich war dann gezwungen, eine Gesangstherapie zu machen. Naja, immerhin hat mich dann der Chanson-Lehrer bei sich im Unterricht aufgenommen. Ich hab mir innerlich geschworen, dass ich irgendwann wieder singen werde, und zwar als meine eigene Königin der Nacht.

Du bist auf der ganzen Welt aufgewachsen. Was war dein aufregendstes Erlebnis?

Wenn es brennt, dann brennt es eben und dann bildet sich eine Menschenkette, die sich Eimer reicht. Und die an der Feuerquelle schlagen mit Ästen und allem, was ihnen in die Finger kommt, auf die Flammen ein. In Bhutan hatten wir ein altes Waschhaus, das war direkt an unser kleines Wohnhaus angebaut und dahinter waren die Ställe der Hühner und Hasen und das „Freilaufgehege“ unseres Bären, und da im Waschhaus stand eine Holzwanne drin. Einmal in der Woche war Badetag, dann musste meine Mutter vorher einheizen. Und eines Tages bei einem Brettspiel, hörten wir ein seltsames Geräusch, ein loderndes, bedrohlich ... unbeschreibbares Irgendwas ... und dann: Unser Waschhaus stand in Flammen.

Wow, haben die Flammen gelodert. Und es klingt bescheuert, aber es war ein extrem imposanter Anblick, diese Flammen, die bedingungslos fressen, was sie zu fressen kriegen. Meine Mutter hat mich dann losgeschickt, ich soll auf die Farm rennen und Hilfe holen. Ich bin losgerannt in meinen „Zoggelis“, die ich dann wegschleudern musste, weil ich mit denen nicht rennen konnte. Ich rannte barfuß weiter, als wäre der Teufel hinter mir her und schrie: "Big Fire! Big Fire! Big Fire!" Von der Farm her kamen sie aber schon den Hügel hoch, weil sie den Rauch bei uns oben gesehen haben und bildeten diese lange Menschenkette, die ich beschrieben habe. Unglaublich, wie die Hand in Hand gegen das Feuer gekämpft haben. Die Hühner konnten befreit werden und unser Bär blieb auch verschont, die Hasen sind alle abgebrannt.

Tut das morgendliche Gurgeln mit Reißnägeln eigentlich weh? Oder wie bekommt man so eine Stimme?

Such dir jemanden, der dich zwingt, hoch zu singen, singe dann auf dem hohen C „Alle Vögel sind schon da ...“ und nimm dann klassischen Gesangsunterricht.

In den höheren Lagen erinnert mich deine Stimme an den Israeli Asaf Avidan. Ihn hielten viele beim ersten Hören für eine Frau. Hielt man dich schon einmal für einen Mann, also stimmlich?

Ja, schon oft, früher wollte ich ja auch ein Junge sein. Also anscheinend ist da ein Wunsch in Erfüllung gegangen.

Eure Musik kann man schlecht in eine Schublade stecken. Versuch es doch trotzdem, bitte. Welchem Genre würdet ihr euch zuordnen?

Hmm, finde ich eben selber schwierig und mache es auch ungern. "Alternativ" sag ich gerne. Inhaltlich vielleicht Soul? Vom Kopf her vielleicht Indie, von den Lyrics her Songwriting und außerhalb der bekannten Genres sage ich gerne: Rauhe melancholische Songs.

Scratches Before Beyond Album CoverWie eure Musik gleicht das Cover-Artwork einem Kunstwerk – mit hellen Tupfern, aber meist in dunklen Tönen gehalten. Was stellt es dar? Von wem ist es?

Das Artwork hat Manuel Bürkli uns gemacht. Ja, sehr schöne Arbeit! Finden wir auch. Das Skelett auf der Rückseite des Albums (Foto: Nicholas Winter) war mir inhaltlich sehr wichtig, als Statement zur heutigen Zeit: Geistig und (leider) auch real ist so einiges ziemlich abgemagert. Nothing left but bones ... Das dunkle Frontcover soll das Konkrete der Rückseite eher wieder offen lassen: Before Beyond, wir wissen nicht, was wir sehen, wir sehen das (je nach dem, was wir sehen wollen), das oder das oder auch das, da ist was zu sehen, wir wissen, da gibt es was zu sehen, aber wir sehen es noch nicht – jetzt noch nicht.

In dem fantastischen Video zu „The Crow & The Sheep“ tragen einige Akteure Namensschilder mit Bändchen. Was hat es damit auf sich? Warum trägt die junge Frau zum Schluss keines? Was wird sie am Ende des Tunnels tun?

Die Namensschildchen sind für die Mitglieder des „Selbst-Findungs-Workshops“, die im ersten Teil des Videos gezeigt werden. Die junge Frau am Schluss war nicht in der Selbstfindungsgruppe“, sie war die ganze Nacht auf einer Party. Sie löst sich am Ende des Tunnels in sich selber auf.

In dem bewegenden Video „Beautiful“ erinnerst du dich schmerzlich an die Vergangenheit. Ist dies autobiografisch oder eher als eine Reminiszenz an den Mythos von Orpheus und Eurydike zu deuten, gemäß „Wie Orpheus spiele ich auf der Seite des Lebens den Tod“?

Weder noch. Wenn ich den Song singe, lade ich ihn autobiografisch auf. Ja, entstanden ist der Song aber nicht autobiografisch. Den Song hat Sandro Corbat geschrieben.

Ich höre in eurer Musik Einflüsse von Nick Cave, Tom Waits, ein bisschen Portishead raus. Was sind denn eure bzw. deine musikalischen Vorbilder?

Marco und Jonas kommen aus dem Jazz, da kann ich keine Vorbilder nennen. Mich persönlich hat tatsächlich Nick Cave auf meinem Lebensweg begleitet. Aber da gibt es auch Tindersticks, Lou Reed, Gil Scott Heron oder Janis Joplin. Nicht zu unterschätzen wahrscheinlich, dass mein Vater den ganzen Hippie-Sound der 60s und 70s auf Kassetten überallhin mitgenommen hat, wo wir gelebt haben, und immer voll aufgedreht hat, wenn er Musik gehört hat. Sandro ist in vielen Musikrichtungen zu Hause, auch durch seine Arbeit als Theaterkomponist setzt er sich mit sehr vielen unterschiedlichen Stilrichtungen auseinander.

Ihr scheint euch bei dem Independent-Label Czar Of Revelations sehr aufgehoben zu fühlen. Wie ist euer Eindruck?

Wenn ich beim Bild des „Brennens“ bleibe, das ich als mein eindrücklichstes Erlebnis beschrieben habe bei der zweiten Frage, dann würde ich sagen: Bei Fredy brennt und lodert, züngelt, zischt und glüht es, er brennt für das, was er tut. Fredy kann Feuer fangen, was nicht alle können. Er hat verschiedene Bands und Stilrichtungen auf seinem Label und selber entzündet er ja auch vielfältige Stilrichtungen, da gibt es einmal Zatokrev und dann gibt es sein Soloprojekt The Leaving, da kommt man nicht auf die Idee, dass das der gleiche Mensch ist. Fredy hat einfach eine immense Feuerseele und nicht nur eine einzige, das ist es: Fredy könnte man auch die große Glut nennen, was Musik, seine Arbeit und seine Vision angeht. Wir bedanken uns dafür!


Dass Czar Of Crickets ein „heißer“ Tipp ist, kann ich nur bestätigen. Vielleicht kann das Label des Schweizers Frederyk Rotter bei dem einen oder anderen eine gleiche Begeisterung für SCRATCHES und weitere sehr interessante Bands entfachen.

www.scratches.ch

www.czarofcrickets.com