Anne Clark & Martyn Bates - Just After Sunset

Review

Draußen liegt Schnee, es ist kälter als in meinem Eisfach – was gibt es da Schöneres, als mit einer ruhigen, fast klassischen CD im Player vor sich hinzuträumen? Der Soundtrack kommt in diesem Fall von der 80er Ikone Anne Clark, die vielmehr durch Elektro- und Synthiepop bekannt wurde als durch organische Musik.

„Just After Sunset" (netMusicZone Records) heißt das neue Werk, das kürzlich mit zwei Live-Videos angereichert wiederveröffentlicht wurde (Erstproduktion 1998). Elektronische Klänge gibt es keine, und Anne Clark singt auch nicht, sie rezitiert. Zu den Kompositionen ihres langjährigen Mitmusikers Martyn Bates spricht sie ausgewählte Gedichte des Lyrikers Rainer Maria Rilke (1875-1926), zurückhaltend begleitet von Klavier, Gitarre, Flöte, Cello oder Violine. Bates singt bei den meisten Gedichten im Hintergrund, „The Apple Orchard" kommt sogar ganz ohne Clark aus. Die ursprünglich deutschen Texte sind teilweise umarrangiert und ins Englische übersetzt worden und handeln von Natur und Leben.

Mit den im Booklet abgedruckten Worten „A time for contemplation. Sehnsucht. Music! The voice of Angel. Words to relearn the world by." widmet Anne Clark die Musik ihrem Vater. Nachdenklichkeit und Sehnsucht findet sich in den Gedichten Rilkes wieder und beschreibt zudem recht gut die Atmosphäre des Albums. Durch den stark britischen Akzent Clarks und die akustische Gitarrenbegleitung erinnert die Musik an einigen Stellen ein wenig an die ruhigeren Seiten der Metal-Band Anathema. Ansonsten hat „Just After Sunset" rein gar nichts mit härteren Klängen zu tun, eher noch mit klassischer Meditationsmusik, will man unbedingt eine Schublade öffnen.

Anders als das in Deutschland bekanntere und vier Jahre später (2001/2002) entstandene „Rilke Projekt" (Rilkes Gedichte mit Musik unterlegt, gesprochen von deutschen Schauspielern und Musikern) wurde „Just After Sunset" bereits 1997 geschrieben. Im Unterschied zu den deutschen Produktionen vermischt es keine unterschiedlichen Musikstile und bleibt einer Linie treu. Ein Faden von Melancholie zieht sich durch das homogene Album, die Stimmung ist gedämpft und doch positiv. Bates ist es geglückt, Rilkes ausgesprochen feinsinnige Lyrik musikalisch entsprechend stimmungsvoll zu untermalen. Sehr sinnlich, sehr nachdenklich, sehr poetisch – sehr gelungen.