Geschrieben von Dienstag, 07 August 2012 21:05

The Hirsch Effekt - Interview zum Album "Holon: Anamnesis" mit Sänger Nils

hirsch effekt band

THE HIRSCH EFFEKT haben nicht nur einen seltsamen Namen: Die drei Chaoten bringen mit ihrer Band eine krude Mischung aus Hardcore, Chaos, Metal, Kammermusik, Screamo, Postwasauchimmer undundund unter die Leute. Ihre Musik fällt durch die abgefahrenen Arrangements, die vielen zusätzlichen und vollkommen genreuntypischen Instrumente und den Mut zum Anders-Sein auf. Ihr neuestes Werk "Holon: Anamnesis" zeigt die Hannoveraner schon wieder einen Schritt weiter. Also höchste Zeit, sich mit den Hirschen zusammen zu setzen und zu hören, was aus solch kranken Gehirnen noch so kommt.


Bitte stell dich und deine Band unseren Lesern vor.

Hallo ich bin der Nils, von einigen wenigen auch Nille oder Papa Schlumpf genannt, und ich spiele Gitarre in der Band und singe und schreie. Außerdem bin ich für die Texte verantwortlich, mache (bis auf sieben Konzerte in diesem Jahr) das Booking und sehe zu, dass die neuen Poster pünktlich in den Druck gehen. Außerdem bin ich das kommunikative Bindeglied zwischen Band und Labels, Produzenten und dem Videomann. Ich bin 1,72 m groß und habe braune Haare. Am liebsten mag ich Eis mit Keksstücken und Zwiebelschmalzstullen. In meiner Freizeit schreibe ich gerne viel zu lange Einleitungen bei Interviews.

Hilft es eigentlich, vollkommen bekloppt zu sein, wenn man bei THE HIRSCH EFFEKT spielen möchte? Oder zumindest Mathestudent?

Nein, aber Mathe LK oder heutzutage Naturwissenschaften als Abiturprofil sind Voraussetzung. Außer bei Ilja und Philipp, da haben wir eine Ausnahme gemacht. Bei denen reichte bekloppt sein aus.

Wie würdet ihr eure Musik euren Großeltern beschreiben?

Die, die noch leben, haben nicht mal Verständnis dafür, dass ich klassische Gitarre (das ja wohl omarichste Instrument der Welt) studiert habe. Denen würde ich das gar nicht beschreiben. Mit meinen anderen Großeltern teilte ich zumindest ein Unverständnis gegenüber den BEATLES. Vielleicht würde ich da ansetzen und sagen „Es ist Rockmusik, aber wir klingen nicht nach BEATLES". Das könnte eventuell ihr Interesse geweckt haben.

Wer sind eure Vorbilder?

Meine Vorbilder sind zum Beispiel Menschen, die den ganzen Tag und sieben Tage die Woche in einer stickigen Imbissbude stehen und trotzdem immer gute Laune haben. Das finde ich bewundernswert. Meine Adoptivratte Mojo – die momentan in Tansania ausgebildet wird, um Minensucher zu werden – ist ebenfalls ein Vorbild. Sie rettet Menschenleben und nimmt als Gegenleistung lediglich Bananen. Wir machen nur ne scheiß Platte und wollen von den Hörern sogar zum Teil Geld. Das muss man sich mal vorstellen.

Ich finde, eure neue Platte ist zwar noch ausgefeilter und ausschweifender, aber gleichzeitig auch etwas geschliffener als der Vorgänger – also zumindest sind einige strittige Stellen (z.B. beim Gesang) wesentlich besser geworden. War das Absicht?

„Ausgefeilter" aber „geschliffener"? Soso... Im Ernst, ich weiß natürlich, was du meinst. Ja, es war Absicht, dass der Gesang auf der alten Platte ungeschliffen klingt. Ich bin nach wie vor in erster Linie Gitarrist, aber ich habe im Vorfeld versucht, die Gesangslinien auf der neuen Platte mehr meiner Stimmlage anzupassen. Denkbar ist auch, dass ich in der Zwischenzeit etwas besser geworden bin, was die Intonation angeht. Wir waren uns darüber hinaus im Vorfeld einig, dass ein ungeschliffener Gesang, wie er auf der ersten Platte zu hören ist, nicht in das Klangkonzept der neuen Platte passt, auf der ja alles – wie du schon sagst – noch etwas ausgefeilter ist. Dementsprechend sorgsam wurde auch die Gesangsproduktion durchgeführt.

Wo seht ihr selbst die größten Unterschiede zwischen eurem Debüt und dem jetzigen Werk "Holon: Anamnesis"?

Die alte Platte ist der Versuch, neun entstandene Songs zu einem Ganzen zusammen zu fassen. Die neue Platte besteht aus vorher geschrieben Texten, die zu neun Themen zusammengefasst wurden und zu denen wir dann die Songs geschrieben haben. Wir wussten zum Beispiel recht früh, dass der erste Song, den wir für das neue Album geschrieben haben, an siebter Stelle stehen muss, der zweite auf Grund seiner Thematik an sechster. Zum Schluss fehlte noch die Musik zum Text von Thema Nummer Acht und so weiter.

Ihr seid nur zu dritt, habt aber Unmengen von Gästen und Instrumenten auf der Platte. Schreibt ihr deren Stimmen auch alle oder helfen die einzelnen Leute auf ihrem jeweiligen Instrument mit, ihre Parts zu gestalten?

Nein, die Gastmusiker sind lediglich Dienstleister, wenn du so willst. Sie haben keinen Einfluss auf Tonmaterial oder Interpretation. Sie hörten auch in diesem Fall kein Playback und wussten nichts von dem Gesamtkontext. Sie bekommen von uns ihre ausnotierte Stimme und einen Klick. Manchmal beschweren sie sich, dass es schwer spielbar ist oder dass man eine Posaune nicht b notiert, obwohl es irgendwie ein B-Instrument ist. Da lernt man dann was dazu.

Was ist der "Hirsch Effekt" eigentlich?

Früher war das die Durchlässigkeit der Schleimhaut des Dünndarms für großkorpuläre Partikel, deren Übergang in die Nierenkörperchen und ihre anschließende Ausscheidung durch den Harn. Benannt nach Rahel Hirsch. Heute sind es Ilja, Philipp und Nils.

In wie weit findet sich das Thema der Platte eigentlich im Artwork?

Für das Artwork ist wieder mal Alejandro Chavetta verantwortlich. Er kannte die Themen zu den Songs und hat das Artwork anhand dessen gestaltet. Ich kann für mich die Themen darin wieder erkennen. Die wunderschöne Frau auf dem Cover, die sich selbst den Mund verriegelt hat, die Hand, die vergeblich versucht danach zu greifen und schon ganz faltig und alt geworden ist; der Mann, der in Seenot gerät; das Kind, dessen Wunde sich nicht verbergen lässt; der Typ, der an die Erinnerungsmaschine angeschlossen ist und so weiter. Man muss natürlich etwas interpretieren, aber ich glaube, dass Alejandro trotz der Sprachbarierre (er lebt in San Francisco) ziemlich gut verstanden hat, worum es auf dem Album geht.

The Hirsch-Effekt Amnesis LP Cover webWas kann bei euch eigentlich noch kommen? Ihr verbindet ja schon Unmengen verschiedenster Dinge miteinander. Welche unentdeckten Bereiche reizen euch denn noch?

Wir planen für nächstes Jahr ein Projekt mit Ursina Tossi. Sie ist Choreografin und Tänzerin aus Hamburg. Außerdem möchten wir für das kommende Album die Arbeitsweise mit Alejandro umdrehen. Er möchte zuerst neun Motive entwerfen, an Hand derer wie die Songs schreiben wollen.

Was kommt im Rest des Jahres noch auf euch zu?

Momentan stehen 31 Konzerte auf meiner Liste. Wir müssen die neuen Songs mit den alten zu einem guten Set zusammenfassen. Philipp möchte noch seinen Master machen, Ilja und ich müssen versuchen, als freiberufliche Musiker in Hannover endgültig Fuß zu fassen und uns um Privatschüler und ggf. alternative Lohnarbeit bemühen.

Famous last Words?

Wir freuen uns auf die neuen Songs, auf die Tour im September und auf den Tourfilm mit Michael Vogelmann. Wir freuen uns auf zwei Tage Pause und auf die anschließende vier Tage Minitour. Mir ist bewusst, dass das neue Album von THE HIRSCH EFFEKT mit allerhöchster Wahrscheinlich der Zenit meines künstlerischen Schaffens ist und ich bin froh, dabei zu sein!

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