Geschrieben von Dienstag, 24 November 2020 21:30

War On Women: Interview mit Sängerin Shawna Potter zu "Wonderful Hell"

Shawna Potter, die Sängerin der Hardcore-Punk-Band WAR ON WOMEN, hat es sich mit ihrem Hund Rosie vor der Webcam gemütlich gemacht. Während wir über Donald Trump, Kamala Harris, feministischen Aktivismus unter Corona-Bedingungen und das neue Album „Wonderful Hell“ plaudern, buhlt der junge Pitbull-Mix immer wieder um Aufmerksamkeit.

Herzlichen Glückwunsch zum neuen US-Präsidenten! Wie geht es dir jetzt?

Es fällt mir schwer, erleichtert zu sein. Ich bin immer noch besorgt, dass es zu rechtsnationaler Gewalt kommen könnte. Also, ich weiß nicht – ich bin vorsichtig optimistisch. Es gibt noch eine Menge zu tun in unserer Gesellschaft, aber immerhin ist es jetzt wieder möglich, etwas zu tun.

Ich habe euer neues Album „Wonderful Hell“ schon vor der US-Wahl gehört und habe mich gefragt: Wie muss sich ein Mitglied einer feministischen Hardcore-Band nach vier Jahren Donald Trump fühlen?

So angepisst wie immer. Das hat nie aufgehört.

Aber es ist schlimmer geworden?

Ja. Oh ja. Andererseits kommen zu unseren Shows keine Trump-Unterstützer. Niemand bei unseren Shows ist irritiert oder muss sich fragen, wofür wir stehen. Live-Shows sind also immer eine gute Erfahrung. Und ich vermisse es sehr, Shows zu spielen.

Nach einigen Durchläufen des Albums habe ich einen Unterschied zu euren früheren Alben festgestellt. Ich habe den Eindruck, dass du zum Teil deinen Humor verloren hast. Vor allem im Titeltrack „Wonderful Hell“ fühle ich eine gewisse Anspannung, vielleicht sogar Verzweiflung.

Ich habe wieder versucht, Humor oder zumindest Sarkasmus in unsere Musik einfließen zu lassen, zumindest an den Stellen, an denen es für mich Sinn ergibt. Aber es gibt ein paar Sachen, die einfach nicht witzig sind. Im Titeltrack fühle ich mich tatsächlich ziemlich macht- und hoffnungslos.

Ich habe mich die letzten vier Jahre verloren gefühlt, ich wusste nicht, ob mein Aktivismus einen Unterschied macht. Das ist schwer. Im Titeltrack wollte ich daher zum Ausdruck bringen: Die Zeit, hilflos zu sein, muss vorbei sein. Zurück an die Arbeit.

War On Women sind Trump-freie Zone.

 

Warum nennst du Donald Trump in deinen Texten nicht beim Namen?

Dass muss ich nicht, und ich will es auch nicht. Ich will nicht auf unsere Songs zurückblicken müssen, wenn ich alt bin, und seinen Namen hören. Ich will einfach nichts mit ihm zu tun haben. Wenn andere Bands das machen wollen – fein. Mich würde das krank machen. Unsere Band ist eine Trump-freie Zone.

Letzte Frage mit Trump-Bezug: Warum geben ihm so viele Frauen ihre Stimme?

Internalisierte Misogynie, also Frauenverachtung, ist sehr mächtig. Wenn du mit einem Teil deiner Identität Teil einer unterdrückten Gruppe bist und ein anderer Teil deiner Identität ein bisschen Macht hat – zum Beispiel als weiße Frau in den USA – dann schlägt man sich auf die Seite, die ein bisschen Macht hat. Das fühlt sich besser an. Also wählen Frauen für Rassismus und gegen Frauenrechte.

Das ist sehr traurig, aber diese internalisierte Frauenverachtung ist wie gesagt sehr stark und lässt Menschen an ihrer eigenen Unterdrückung teilhaben.

Offenbar hat Trump in einigen Gruppen der Wählerinnen sogar mehr Stimmen bekommen als vorher. Ebenso in einigen migrantischen Gruppen.

Das ist schwer zu begreifen. Aber es gibt auch sehr viele Menschen, die nicht wählen können und die wir aus dieser Diskussion ausklammern. Die Wahlergebnisse spiegeln nicht die tatsächliche Demografie der USA wider. Man kann nicht sagen, dass die Hälfte der Menschen Trump gewählt hat. Nein: Weniger als die Hälfte der Menschen, die gewählt haben, haben ihn gewählt.

Du sprichst von den Menschen, die nicht wählen dürfen?

Die, die nicht wählen dürfen. Die, die von der Wahl ausgeschlossen werden. Die, die nicht wählen, weil unser System sie nicht repräsentiert. Es gibt so viele Nichtwähler, weil die USA das Wählen so schwer machen. Einige Hürden sind klein und unschuldig, andere Hürden wiederum sind bösartig und mit Absicht errichtet. Wenn das nicht so wäre, hätten wir Trump vielleicht von vornherein nicht als Präsidenten bekommen.

Shawna Potter und ihr Hund vor der WebcamShawna mit Hündin Rosie

Und jetzt habt ihr neben Präsident Joe Biden noch Kamala Harris als Vizepräsidentin. Glückwunsch zu eurem guten Timing: Mit „Her?“ habt ihr einen Song über Frauen wie sie gemacht, nicht wahr? Du listest darin diverse Argumente auf, die vermeintlich gegen Frauen in Führungspositionen sprechen.

Ja! Es gibt in dem Song sogar eine Zeile, bei der ich an Kamala Harris gedacht habe, als ich sie schrieb: „but her joy“. Hintergrund ist eine Geschichte über sie: Es gab Aufnahmen von ihr, wie sie tanzt und Spaß hat. Dafür haben Leute sie kritisiert.

Also ja, der Song ist über alle Frauen in Führungspositionen, vor allem in der Politik, die viel Sexismus erleben müssen. Sexismus, der aussagt: Alles was ihr macht, ist falsch. Ihr könnt nichts richtig machen, ihr seid nie genug.

Ich kann mich nicht recht entscheiden, welcher mein Lieblingssong auf „Wonderful Hell“ ist – vielleicht „Demon“. Das Lied zeigt eine neue Facette in eurem Sound, es ist ziemlich düster und geht in Richtung Post-Hardcore. Wie kam es zu diesem Song und worum geht es darin?

Passenderweise geht es um internalisierte Misogynie. „Demon“ ist ein Song, den ich für ein altes Bandprojekt geschrieben habe. Das war eine Band, in der ich mit unserem Gitarristen Brooks Harlan gespielt habe, bevor wir WAR ON WOMEN gegründet haben. Die damalige Version bestand nur aus Gitarre und Schlagzeug, ergänzt um ein paar Samples.

Ich mochte den Song schon immer. Deshalb habe ich ihn Brooks gegeben, um ihn zu überarbeiten – jetzt klingt er so, wie er immer klingen sollte.

Was ist dein Lieblings-Song auf „Wonderful Hell“?

Gute Frage … Ich mag „Aqua Tofana“ wirklich sehr. Ich weiß, wieviel Spaß es machen wird, diesen Song live zu spielen! Das kann ich kaum erwarten.

Das kann ich mir auch aus der Perspektive des Publikums sehr gut vorstellen – ihr spielt „Aqua Tofana“ und alle singen „kill him, kill him“ …

Ja, nicht wahr? Das wird großartig, ich hab so Lust da drauf!

Bist du bei WAR ON WOMEN – abgesehen von den Texten – ins Songwriting involviert? Wie teilt ihr euch die Arbeit in der Band?

Auf jedem Album gibt es ein oder zwei Songs, zu denen ich das Hauptriff oder die Grundidee beigesteuert habe. Aber ich bin sehr glücklich damit, mich bei WAR ON WOMEN auf den Gesang zu konzentrieren. Ich spiele nicht schnell genug Gitarre für diese Band! Also ist „Demon“ von mir, der ist langsam, oder auf dem letzten Album war es „Silence Is The Gift“.

Manchmal haben andere eine Themenidee, die ich vielleicht aufgreife oder Brooks hat ein Riff, zu dem er mir schon eine Gesangsmelodie liefert. Es läuft sehr organisch, wir sind fünf Leute mit verschiedenen Einflüssen, die wir alle miteinander teilen. Wobei Brooks wahnsinnig schnell Riffs schreibt, daher sind die meisten von ihm – er hat einfach so viele.

Du hast dich an einer Cover-Version von Van Halens „Ain't Talking 'bout Love“ beteiligt. „Ain't Talking 'bout Love“ gilt natürlich auch für deine Texte …

(lacht) Ja – talking 'bout hate!

… wie ist deine Beziehung zu Van Halen?

Ich liebe Van Halen und klassischen 80er-Hard-Rock, unabhängig davon, wie problematisch diese Songs sind. Das war also einfach ein witziges Projekt mit unseren Freunden von „Two Minutes To Latenight“, einer Art Online-Metal-Talkshow. Das hat Riesenspaß gemacht, auch wenn der Song ein bisschen tief für meine Stimmlage ist.

Ok, genug über Spaß geredet. Ich fürchte, wir müssen über Covid-19 sprechen. Hat die Pandemie Einfluss auf „Wonderful Hell“ gehabt?

Abgesehen vom Gesang waren wir mit den Aufnahmen so weit fertig, als die ersten Nachrichten und Gerüchte um Covid-19 aufkamen. Man war noch nicht so sicher, was auf uns zukommt. Für die Gesangsaufnahmen waren wir aber auf der sicheren Seite, weil ich ja alleine in der Gesangskabine war. Wir haben das Album dann also im Lockdown und so sicher wie möglich fertiggestellt.

Der einzige Song, dessen Lyrics noch nicht fertig waren, war „Seeds“. Das ist also der einzige Song, in dem man vielleicht ein bisschen Unsicherheit raushören kann, was da gerade mit uns passiert.

Neben WAR ON WOMEN bietest du auch Workshops und Trainings zu Safer Spaces und zum Umgang mit Belästigung an. Kannst du damit derzeit unter Corona-Bedingungen weitermachen?

Stimmt, ich bringe Leuten bei, wie sie besser auf sexuelle Belästigungen reagieren können, zum Beispiel im Nachtleben, in Bars oder Clubs. Das mache ich jetzt virtuell, was besser ist als nichts. Eigentlich ist es auch eine gute Zeit dafür, weil sich Menschen Gedanken darüber machen, wie wir in Zukunft zusammen leben möchten. Mit meinen Trainings sind die Leute vorbereitet, wenn es wieder losgeht mit dem Nachtleben.

Hast du den Eindruck, dass diese Themen derzeit weniger beachtet werden?

Ja. Nicht jeder kann sich damit auseinandersetzen derzeit. Dafür habe ich auch Verständnis. Aber viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollen etwas Neues lernen, um sich nicht hilflos und unproduktiv zu fühlen. Dafür sind solche Trainings eben auch gut.

Welchen Einfluss hat Covid-19 auf Frauen und andere marginalisierte Gruppen in den USA?

Eine Pandemie wird Frauen, People of Color und andere marginalisierte Gruppen anders und mehr betreffen. Man ist zu Hause eingesperrt, die Spannung wächst, das Geld geht aus, es gibt keine nennenswerte Unterstützung durch ein Sozialsystem. Das alles führt zu mehr häuslicher Gewalt.

Wenn es wegen Covid nicht sicher ist, mit Fremden zu interagieren, ist es auch schwerer, sich Hilfe zu suchen. So haben Menschen die Wahl zwischen einer möglichen Ansteckung mit dem Virus, also einem unkalkulierbaren Risiko, und dem Arschloch, das sie schon kennen und somit einem Risiko, das sie schon kennen. Also ja – es ist eine riesige Belastung für Frauen: Geld verdienen, Homeschooling und mehr Arbeit im Haushalt, als der Partner erledigt.

Zusätzlich gibt es kein ausreichendes Gesundheitssystem. Leute müssen sich entscheiden, ob sie ihren Job verlieren wollen oder sich behandeln lassen. Also denkt man, "es ist ja nur ein kleiner Husten", geht zur Arbeit – und da steckt man dann andere an. Das bekommen wir in den USA beigebracht: Wenn du krank bist, geh verdammt nochmal trotzdem zur Arbeit. Ich bin auch schon zur Arbeit gegangen, obwohl ich mich halbtot gefühlt habe mit einer Grippe. Weil ich wusste, dass ich sonst meinen Job verlieren könnte.

Die USA sind echt abgefuckt … Wir haben keine Empathie in diesem Land.

 

Wir können das leider nicht vertiefen, aber das habe ich noch nie verstanden – warum viele US-Amerikaner sich so sehr gegen ein umfassendes Gesundheitssystem wehren.

Das liegt am amerikanischen Individualismus: Ich kann alles alleine schaffen. Ich habe dies und das verdient, es ist meins. Das führt zu so vielen Problemen, nicht zuletzt der jetzt herrschenden Einstellung: Fick dich, ich trage keine Maske, weil ich es nicht muss. Ja, du musst nicht, aber würdest du es bitte trotzdem tun? Die USA sind echt abgefuckt … wir haben keine Empathie in diesem Land.

Erzähl mit von dem Podcast, den du startest!

Ich finde es verrückt, wie viele Millionen Podcasts es gibt. Ich hätte daher niemals gedacht, dass ich auch einen mache – die Welt braucht keinen weiteren Podcast. Aber ich glaube, ich brauchte das.

Wofür?

Wie promotest du ein Album, wenn du nicht touren kannst? Wie stellst du eine Verbindung zu den Leuten her, wie kommst du in Kontakt? Der Podcast ist ein Weg für mich, diese Verbindung herzustellen und über meine Songs zu sprechen.

Jede Folge des Podcasts wird einen Song behandeln. Ich interviewe die Bandmitglieder und Aktivisten oder Experten zu dem jeweiligen Thema. Ich setze die Songs damit in einen Kontext. Der Podcast hat mir außerdem einen Grund geliefert, mit anderen Menschen und nicht zuletzt mit meiner Band per Skype zu sprechen. Das hätte ich sonst wohl nicht gemacht, weil ich eher für mich bleibe und nicht viel Interaktion brauche.

Wann geht es los?

Ich hoffe, dass die erste Folge Anfang Dezember erscheint.

Wirst du dich auf „Wonderful Hell“ beschränken oder auch ältere Songs thematisieren?

Es wird erstmal um „Wonderful Hell“ gehen. Je nachdem, wie gut es läuft, werde ich sehen, wie es weitergeht.

Wenn ich mir was wünschen darf: Ich hätte gerne eine Episode über den Song „Youtube Comments“, dessen Text aus gehässigen Kommentaren zu euren Songs besteht.

Oh ja, gute Idee! Ich könnte Kontakt zu den Leuten aufnehmen, die die Kommentare geschrieben haben und mit ihnen im Podcast sprechen! Das wäre großartig! Damit ich das machen kann, brauche ich aber deine Hilfe. Sag allen, dass ich eine Patreon-Seite für den Podcast habe. Wenn die Leute es mir damit ermöglichen, die Kosten auszugleichen, kann ich umso mehr Folgen produzieren.

Das werde ich tun!

Hier geht’s zu Shawna Potters Patreon-Seite

Perfekt, danke!

Meinst du, dass ihr 2021 touren könnt?

Vielleicht gegen Ende des Jahres. Ein Impfstoff könnte die Dinge natürlich beschleunigen. Allerdings kommt mir die Suche nach einem Impfstoff sehr hektisch vor. Ich bin natürlich keine Impfgegnerin, aber die erste Charge möchte ich auch nicht haben.

Wären Streaming-Konzerte eine Option?

Das interessiert mich nicht wirklich. Zum einen lebt unsere Gitarristin Jennifer in Florida, das macht es kompliziert. Aber vor allem scheinen Streaming-Konzerte eine Menge Aufwand zu sein, für den man wenig zurückbekommt.