YEAR OF THE GOAT: Zwischen Okkult-Rock, 70er-Mystik und klanglicher Trance
Doch zurück in die Gegenwart, in der Fans der Okkult-Rocker satte sechs Jahre nach dem letzten Output endlich wieder neues Futter geliefert bekommen. Tief im mystischen Spirit der späten 60er und 70er verwurzelt, ziehen YEAR OF THE GOAT in neun frischen Tracks mit drei bis sieben Minuten Spielzeit gnadenlos in ihren unerklärlichen Bann. Vollgepackt mit eingängigen Hooks, abwechslungsreichen Tempowechseln, doomiger Düsternis, latent psychedelischen wie folkigen Anleihen und unbekümmerter Leidenschaft zünden die Schweden ein hypnotisierendes Rock-Feuerwerk – wunderbar bodenständig produziert und prädestiniert für einen Hördurchlauf nach dem anderen, weil man sich einfach nicht satt hören kann an "Trivia Goddess".
Das vierte Album von YEAR OF THE GOAT klingt so unfassbar vielseitig, dass man sich auf einer nie endenden Entdeckungsreise wähnt. Auch nach 20 bis 30 Durchgängen stolpert man über neue Details und Gänsehautmomente, während sich immer mehr Fixpunkte herauskristallisieren und im Ohr bleiben. Es ist geradezu sensationell, mit welch spielerischer Leichtigkeit und stilistischer Vielfalt die Schweden lyrische Themen wie Okkultismus, Licht und Schatten, Rebellion gegen die Kirche oder Hexenanbetung musikalisch umsetzen.
Songs wie Beschwörungen – "Trivia Goddess" zieht unbarmherzig in einen düsteren Sog
Mit "The Power Of Eve" beginnt "Trivia Goddess" eher gemächlich mit leicht psychedelischem Siebziger-Flair und latenter Progressivität vor einer trockenen, leicht überbordend wirkenden Hard-Rock-Kulisse. Der ausschweifende Refrain und die hypnotischen Gitarrenläufe samt akzentuiertem Bassspiel und eindringlichen Vocals fesseln sofort.
Der Titelsong, der die widerwärtige Hexenjagd in Schweden mit 280 unschuldigen Opfern innerhalb von acht Jahren thematisiert, ist ein recht straighter, drängender Rocksong mit dämonischer Atmosphäre und arabesk angehauchtem Gitarrensolo. Die Anrufung von Hekate, der Mutter aller Hexen ("Trivia Goddess"), sorgt für Gänsehaut und würde sich insbesondere am Ende hervorragend auf einem Soundtrack zu einem Film wie "Midsommar" machen.
Eines der Markenzeichen von YEAR OF THE GOAT sind unvorhergesehene Twists, bei denen man mit vor Überraschung weit geöffnetem Mund einfach nur staunend langsam den Kopf schütteln kann und mantraartig wiederholt: Das haben die jetzt nicht, oder…? Doch, sie haben. Und sie tun es wieder.
Das letzte Drittel des fantastischen, leicht verspielten Midtempo-Ohrwurms "Kiss Of A Serpent" etwa entpuppt sich urplötzlich als Vollblut-Hommage an SISTERS OF MERCY, rausgehauen mit einer so ungenierten Selbstverständlichkeit, als ob YEAR OF THE GOAT diesen Sound erfunden hätten. Das kompakte "The Queen Of Zemargad" geht noch einen Schritt weiter in Richtung Gothic Rock: Die Strophen mit schmierig-billigen Grusel-Orgelsounds erinnern an THE 69 EYES, die nölenden Vocals an Ville Valo von HIM, der Refrain erneut an Andrew Eldritchs Kapelle, die nimmermüde auf Tour ist – ohne in den letzten 30 Jahren neue Musik veröffentlicht zu haben.
"Mét Agwe" hingegen geht mit seinem schleppenden Rhythmus ganz, ganz tief vor den Metal-Urvätern BLACK SABBATH in die Knie. Als ob die doomige Glanztat in den ersten Minuten nicht schon intensiv genug wäre, um stetig zurückzuspulen und die dichte Atmosphäre wieder und wieder in sich aufzusaugen, verwandelt sich der Achtminüter ab der zweiten Hälfte in einen völlig losgelösten Rock-Jam mit packenden "Uh-uh-uh"-Disco-Vibes und gnadenlos leidenschaftlichen Gitarrensoli. Alter Schwede! Auch das mächtige "Kingdom Of Damnation" watet tief in doomigen Gewässern und beeindruckt mit einer wahnsinnig intensiven Kraft.
Locker und entspannt vereint die Rocknummer "Alucarda" zahlreiche Twin-Gitarrenleads und gefühlvolle Soli in schönster THIN-LIZZY-Tradition, während eine Passage ("If you die in your dreams tonight…") gefährlich an das totgespielte "(I Just) Died In Your Arms" (CUTTING CREW) erinnert – bloß, dass es bei YEAR OF THE GOAT einfach großartig klingt und perfekt zu dem hymnischen, von satten Akustikgitarren und Hammond untermalten Ohrwurm passt. Auch das unscheinbar wirkende, leicht melancholische "Crescent Moon" schielt mit seinem prägnanten Bassspiel sowie hörenswerten Gitarrenläufen und -soli in Richtung Phil Lynott.
Das epische "Witch Of The Woods" zieht den Hörer zum Abschluss dann noch einmal vollständig in seinen Bann – von den schrammelnden Gitarren zum Einstieg über die eindringlichen Riffs und das gesangliche Wechselspiel bis hin zum wahnsinnigen Ende mit düsterer Gänsehautstimmung und hypnotischen Melodien.
Stimmen, die unter die Haut gehen
Ein paar Zeilen zu den stimmlichen und musikalischen Fähigkeiten des Kollektivs müssen an dieser Stelle sein, nachdem die unfassbaren Songwriting-Künste hoffentlich ansatzweise verdeutlicht wurden.
Sänger Thomas Eriksson ist eine stimmliche Wundertüte. Ob leise säuselnd, eindringlich erzählend, nölig-nasal, krächzend oder voluminös kräftig – der Bandleader führt mit schwindelerregender Sicherheit überragend durch jeden Song, stimmlich stets passend zur jeweiligen Stimmung. Dabei verfügt Eriksson über eine spezielle Stimmfärbung, die man lieben oder hassen kann – die Gratwanderung ist manchmal gefährlich schmal.
Treffsichere Unterstützung erhält der Sänger durch Elin Gårdfalk, die nicht nur im Hintergrund eine fantastische Figur macht, sondern mit diabolisch anmutendem Singsang, kräftigen Ausbrüchen (absoluter Gänsehautmoment: das inbrünstige "I'm under your skin!" am Ende von "Kiss Of The Serpent") und verzweifelten Schreien ein ums andere Mal spannende Akzente setzt.
An den Sechssaitern spielen sich Jonas Waldhuber Mattsson und David Olofsson die Bälle beeindruckend treffsicher zu, sodass sie unzählige Momente voller musikalischer Glückseligkeit erschaffen – ob mächtig verzerrte Riffs, akzentuierte Licks, zum Heulen schöne Harmonien oder Soli voller Seele. Dahinter füllt Mikael Mihailo Popovic den musikalischen Raum mit satten akustischen Gitarren, wabernden Keyboardteppichen und staubigen Hammond-Klängen.
Auch Bassist Marko Kardum setzt sein Instrument beeindruckend in Szene: mal stoisch pulsierend, mal den Gitarrenläufen folgend oder sie kontrastierend, dann als Leadinstrument wie in den Strophen meines persönlichen Highlights "Mét Agwe" . Daniel Melo Ortega schließlich sorgt mit seinem stets songdienlichen und variablen Schlagzeugspiel für das passende Fundament in jeder Situation.
"Trivia Goddess": Magischer Klangrausch für moderne Ritualstunden
Zwar geht eine morbide Faszination von der okkulten Thematik aus, doch auch losgelöst vom lyrischen Konzept ist "Trivia Goddess" ein Fest für die Ohren. Mit ihrem vierten Album gelingt YEAR OF THE GOAT ein herausragendes Rockalbum, das den experimentellen und doch geradlinigen Spirit der späten Sechziger bis in die frühen Achtziger auf eine ganz eigene Weise in die Moderne transportiert. Muss man unbedingt gehört haben – wieder und wieder und wieder und wieder und…
"Trivia Goddess" Trackliste:
The Power Of Eve
Trivia Goddess
Kiss Of A Serpent
Mét Agwe
The Queen Of Zemargad
Alucarda
Kingdom Of Damnation
Crescent Moon
Witch Of The Woods
YEAR OF THE GOAT Line-up:
Thomas Lucem Ferre Sabbathi Eriksson – vocals & guitars
Mikael Mihailo Popovic – vocals, keyboards, acoustic guitars
Jonas Erik Waldhuber Mattsson – guitars & backing vocals
David Håkan Andreas Olofsson – guitars
Marko Kardum – bass
Daniel Melo Ortega – drums
Elin Gårdfalk – backing vocals