Geschrieben von Mittwoch, 02 Dezember 2009 02:12

Living Colour - Interview mit Drummer Will Calhoun zu "The Chair In The Doorway"

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LIVING COLOUR gelten als eine der stilprägenden Bands der Crossover-Welle der frühen 90er. Im Interview mit BurnYourEars spricht Drummer Will Calhoun über das aktuelle Album und erklärt, warum er den Begriff „Crossover“ nicht mag und Stilbezeichnungen generell für überflüssig hält. Zudem erfuhren wir von ihm etwas über die Stellung afroamerikanischer Künstler in der Rockmusik.


Was macht ihr im Moment?

Im Moment konzentrieren wir uns auf das neue Album „Chair In The Doorway“, spielen Konzerte, geben Interviews und machen Radio- und TV-Auftritte.

„The Chair In The Doorway“ ist euer erstes Album seit sechs Jahren und das insgesamt zweite seit eurer Wiedervereinigung 2003. Warum hat es so lange gedauert, ein neues Album aufzunehmen?

Hauptsächlich haben wir in Europa und Südamerika getourt, ein paar Songs geschrieben, die neuen Songs vor einem internationalen Publikum ausprobiert. Die Musikindustrie befand und befindet sich noch in einem Umwälzungsprozess, also mussten wir unsere ursprünglichen Pläne, früher ein Album zu veröffentlichen, ändern.

Die meisten von euch sind auch in anderen Projekten aktiv. Wie wichtig ist LIVING COLOUR für euch heute noch?

Die Band ist noch immer unser Hauptanliegen, auch wenn uns die anderen Projekte sehr viele Freiheiten geben uns auszuprobieren, um danach frische Ideen und neues Material bei LIVING COLOUR einzubringen.

Lass uns über das neue Album sprechen. Fans und Kritiker sind sich nicht einig, was sie von dem Sound halten sollen. Die, die ihn mögen, nennen ihn einen Untergrund-Sound oder "auf das Wesentliche reduziert". Andere, die ihn nicht mögen, nennen ihn überholt und altmodisch. Ich würde sagen, ein bisschen mehr Druck hätte zumindest nicht geschadet. Klingt das Album so, wie ihr es wolltet, und warum habt ihr gerade so eine Produktion gewählt?

Ja, das ist der Sound, den wir haben wollten. Ich würde sagen, er zeigt sehr gut, wo sich die Band gerade befindet…der beste Weg, LIVING COLOUR zu erleben, sind sowieso unsere Konzerte. Für mich gibt es kein Album, das uns am besten repräsentiert. Wenn du mehr Druck willst, komm zu einem LIVING COLOUR Konzert. Wir sind eine einzigartige Band mit einer Fülle an Einflüssen. Da ist klar, dass nicht jeder alles mag.

Der Sound von „The Chair In The Doorway“ ist dem von „Collideoscope“ recht ähnlich, nur dass ihr ihn dieses Mal auf den Einsatz von Gesangseffekten beschränkt und den Klang insgesamt  natürlicher gehalten habt. War es euer Ziel, wieder bodenständiger oder ehrlicher zu klingen?

Ich würde dir da widersprechen. „Collideoscope“ und „The Chair In The Doorway“ klingen für mich überhaupt nicht ähnlich. „The Chair In The Doorway“ ist für mich die viel natürlichere Platte. Wir wollten beim Mix die Live-Elemente beibehalten. Wenn wir unsere Songs live spielen, muss es wie auf dem Album klingen, natürlich mit Platz für Improvisationen.

Kommen wir zu eurer Geschichte. Auf eurem ersten Album „Vivid“ wurdet ihr von Mick Jagger (ROLLING STONES) unterstützt, der wie kaum ein Zweiter für den europäischen Rock N’Roll steht. Auf eurem zweiten Album „Time’s Up“ hattet ihr Gäste wie MACEAO PARKER, LITTLE RICHARD und QUEEN LATIFAH, die Legenden in verschiedenen Genres wie Jazz, Rock N’Roll und Hip Hop sind, die aber eines gemeinsam haben: Sie sind Symbolfiguren der schwarzen Kultur. War das für euch ein evolutionärer Prozess?

Zunächst, MACEAO PARKER ist ein musikalisches Genie, vollkommen egal, von welchem musikalischen Genre du sprichst. Und LITTLE RICHARD ist ein Pionier der Musikgeschichte und einer der vielen Architekten des Rock N’Roll. Diese beiden sind sehr viel mehr als Symbolfiguren schwarzer Kultur.

Zurück zu deiner Frage: Nein, das war für uns kein evolutionärer Prozess. Du versuchst da zu viel rein zu interpretieren. Wie ich schon sagte, sind wir bei unserer Musik von vielen Sound und Stilen beeinflusst worden. Bei einem Gastmusiker geht es immer um die Mischung aus dem Spaß, mit jemandem zu spielen, den man bewundert und respektiert, und den musikalischen Fähigkeiten dieses Künstlers.

Ich bin mir sicher, es gäbe viele, mit denen LIVING COLOUR gerne mal zusammenarbeiten würden, von GEORGE CLINTON (legendärer Funk-Musiker bei den Bands PARLIAMENT, FUNKADELIC und P-FUNK ALLSTARS sowie Produzent, gilt als einer der Erfinder des Sampelns) bis Arvo Pärt (estnischer Komponist, der als einer der wichtigsten Vertreter moderner Klassik gilt).

Obwohl es fast ausschließlich Schwarze waren, die das Fundament für den Rock N’Roll gelegt haben, gibt es heute nur sehr wenige schwarze Musiker in Rock und Metal, noch weniger sind wirklich erfolgreich gewesen. Liegt das daran, dass Schwarze nicht so sehr an Rockmusik interessiert sind, egal ob als Konsument oder Musiker, oder ist das hauptsächliche weiße Publikum nicht bereit, schwarze Künstler zu akzeptieren und zu unterstützen?

Keins von beidem. Es gibt viele afroamerikanische Rocker, Rock Bands, Rock Produzenten, Tourmanager usw. Diese Künstler bzw. Personen genießen nur nicht die gleiche Aufmerksamkeit von Presse, Radio und Fernsehen. Sie haben nicht die gleiche Präsenz oder sogar Über-Präsenz, die vielen weißen Musikern in den letzten 50 Jahren zuteil wurde.

Der Grund für die Ignoranz gegenüber der Geschichte des Rock, aber auch gegenüber den tatsächlichen heutigen Verhältnissen, liegt im politischen Klima des Landes bzw. der verschiedenen Länder. Amerika hat ein riesiges Rassismusproblem. Dieses Problem strahlt in andere Aspekte wie Kunst, Wirtschaft, Politik, Religion usw.
Erst wenn die Leute die Chance haben, jede Art von Musik gleichberechtigt kennen zu lernen, können sie entscheiden, was ihnen wirklich gefällt. Das gilt genau so für Jazz oder Blues.

LIVING COLOUR gilt als eine der stilbildenden Crossover Bands. In Deutschland wird unter Crossover oft vor allem eine Art Metal-Rap verstanden. Wie ist deine Definition von  Crossover?

Ich mag den Begriff Crossover nicht, auch wenn er natürlich für viele Menschen eine brauchbare Einteilung darstellt. Es gibt keine Musikstile. Das ist eine unsinnige Erfindung der Musikindustrie, um den Markt, die Öffentlichkeit und die Informationspolitik zu kontrollieren. Aber es gibt einfach nur Musik. Außerdem entscheiden die Menschen, was gut ist und was nicht, egal wie die Plattenfirmen oder die Presse die Musik nennen oder bewerben.
LIVING COLOUR haben nie irgendetwas gekreuzt. Wir machen großartige Musik und entweder mögen die Menschen das, oder eben nicht. Die Aufmerksamkeit sollte nichts damit zu tun haben, aus welchem Land wir kommen oder wie wir aussehen.

BOB MARLEY machte universelle Musik für die ganze Welt. Wir können es Reggeae, Crossover, Pop oder was auch immer nennen…das sind vollkommen bescheuerte Namen, die nur die Kunst einengen. BOB MARLEY machte großartige Musik, Punkt! Genau wie MILES DAVIS, JOHN COLTRANE oder JIMMIE HENDRIX usw.

Ihr wart ein Teil der „Black Rock Coalition“. Welche Ziele hatte diese Gruppe, wurden sie erreicht und gibt es sie heute noch?

Meine persönliche Sicht ist, dass ich den Namen der Organisation nie gemocht habe, auch wenn ich verstehe, warum es sie in dieser Form gab. Afroamerikaner haben Rock N’Roll geschaffen, genau wie die meisten Arten amerikanischer Musik. Aber aufgrund der politischen Landschaft der USA werden die Afroamerikaner übersehen, wenn es um die Geburt, was den Menschen aber auch was die Früchte dieser Entwicklung angeht.
Vernon (Gitarrist bei LIVING COLOUR) hat diese Organisation gegründet, also wäre das wohl eine Frage für ihn. Wie auch immer, ja, die Organisation gibt es noch.

War es ein Vorteil oder eher ein Nachteil, eine Crossover Band zu sein? In Europa bekommt man manchmal den Eindruck, es gäbe vor allem Hip-Hop dominierte Medien für Afroamerikaner und Rock Radios für weiße Hörer. Hat euch euer Stil Zutritt zu beiden Bereichen verschafft oder hat es das eher schwerer gemacht, Anhänger zu finden?

Nochmals, wir sind keine Crossover Band. Wir spielen die Musik unserer Vorfahren. Zu sagen, LIVING COLOUR wäre eine Crossover Band, ist das gleiche wie zu sagen, die ganze deutsche Sprache, Kultur, Kunst, Wirtschaft, Ernährung, Politik, Wissenschaft, Bildung, Ingenieurskunst usw. kommt aus England. Wenn du das glaubst, dann ist es auch ok für dich zu glauben, LIVING COLOUR wären eine Crossover Band.

Die Information, die du über afroamerikanische Hip-Hop Konsumenten und weiße Rockhörer hast, ist falsch. Wenn du dir die Zahlen anschaust, wirst du in der Welt und ganz sicher in Amerika viele Weiße finden, die Hip-Hop hören, kaufen und betreiben. Vielleicht insgesamt sogar mehr als Afroamerikaner. Die Musik richtet sich an beide Gruppen.

Der Stil von LIVING COLOUR hat uns Zugang zu so vielen Gruppen verschafft. Wir sind aus New York. Ich persönlich komme aus der Bronx, der Heimat des Hip-Hop in New York, also haben wir selbstverständlich Zugang zur Rap-Gemeinschaft. Unser Bassist Doug Wimbish war der Studio Bassist für Sugar Hill Records. Klar haben wir Verbindung in den Hip-Hop, aber genau so zu Rock, Jazz, Blues, Funk, Gospel, Drum N’ Bass, World Music usw.
Unsere Änhänger sind sehr unterschiedlich. Es kommt auch sehr darauf an, wo in der Welt wir uns gerade befinden, aber du kannst kein Bild von einem typischen LIVING COLOUR Fan zeichnen.

Was sehen eure Pläne für die nächste Zeit aus?

Wir werden innerhalb der nächsten 18 Monate ein weiteres LIVING COLOUR Album aufnehmen. Wir haben noch einiges unvollendetes Material von „The Chair In The Doorway“. Ich persönlich werde weiteres Material im Stil meiner „Native Lands“ CD/DVD aufnehmen und einiges an Weltmusik. Dough Wimbish und ich arbeiten als Produzenten mit einigen Bands- von denen man 2010 und 2011 hören wird. Wer sich dafür interessiert, schaut am besten ab und zu auf der LIVING COLOUR Homepage oder auf unseren persönlichen Seiten vorbei.

Vielen Dank für deine Zeit.