Geschrieben von Dienstag, 26 Juni 2007 18:07

Pain Of Salvation - Bochum / Zeche


 

Pain_Of_Salvation_Live@ZecheBochum


 

08.03.07 - Seit einem überfüllten, extrem schweißnassen und sehr guten Auftritt von THERAPY? vor zig Jahren hatte ich die Zeche in Bochum nicht mehr betreten – angesichts der Klasse mancher dort auftretenden Bands eine wahre Schande.
Aber jetzt – endlich! – hatten wir's fast geschafft, sogar die Vorband der Progmetal-Götter PAIN OF SALVATION komplett zu sehen. Naja, rückblickend hätte man sich die Eile doch sparen können, denn LAST SUPPER waren nicht so dolle. Der Ansatz "mixe Alternative, Grunge, Prog und Psychedelic" war ja für meinen Geschmack noch ganz ausgezeichnet, aber die Umsetzung krankte am äußerst uncharismatischen Gesang und einer gewissen Ziellosigkeit der Instrumentalisten. Insgesamt höchstens okay, aber mehr auch nicht.

Kurze Pause und genug Zeit, ausgiebig die "Thank you for not smoking" –Schilder zu bestaunen, die überall an die Wände und Säulen gepappt waren – Herr Gildenlöw und Co. mögen es bekanntlich nicht, zugeräuchert zu werden. Und tatsächlich: So klare Luft (von den Wasserdampfschwaden mal abgesehen) erlebt man selten, wenn gemosht werden soll!

Noch ist etwas Zeit, über den Anteil der einzelnen Alben am Set zu spekulieren: Stehen die Songs des neuen Albums "Scarsick" im Mittelpunkt oder eher die Klassiker? Und welchen Anteil bekommt das polarisierende "BE"? Alle Spekulationen sind vergessen, als das Licht ausgeht und das Publikum in freigiebigen Vorab-Applaus ausbricht. Und dann: "Scarsick!"

Verdammt ist das geil! Klarer und richtig voller Sound von der ersten Sekunde an, und auch das etwas zu leise gestellte Mikro Gildenlöws hat schnell die richtige Lautstärke. Und dann das perfekte Laut-Leise-Spiel, wie man es von POS kennt. Brachial, exakt und mit Chorgesang aus fünf Kehlen, gekrönt vom überragenden Gesang Daniel Gildenlöws. Da steht für mich schon fest, dass das ein richtig guter Abend wird.

Aber die Band will wohl schon sehr früh austesten, ob sie es mit einem flexiblen Publikum zu tun hat, und folglich spielt sie das ebenfalls neue "America" direkt hinterher. Einige der Metalheads im Publikum scheinen eher mit gebremster Begeisterung zu reagieren, aber das Gute-Laune-Grinsen anderer zeigt, dass dieser Song gemischt aufgenommen wird.
Ich finde das Stück sehr gut, aber ob es schlau ist, sowas schon so früh zu spielen? Etwas gewagt, doch PAIN OF SALVATION haben ja letztlich noch nie etwas auf die Erwartungen anderer Leute gegeben.

Das war's erstmal mit "Scarsick", jetzt kommt das '97er Album "Entropia" zu Ehren.
Bei "Nightmist" darf der vorerst als Tour-Bassist eingestiegene und mittlerweile in die Band aufgenommene Simon Andersson nicht zum letzten Mal zeigen, dass er auch gepflegt slappen kann. Ist schon komisch: der Typ sieht aus wie ein Nu Metal-Kid, ist deutlich jünger als seine Kollegen (worüber die ihrerseits ständig Witzchen reißen) und scheint doch hervorragend in die Band zu passen. Unbefangen klaut er auch schon mal dem langen Gildenlöw die Ansagen und albert mit der restlichen Band herum, insbesondere mit Gitarrist Johan Hallgren, schleicht sich z.B. an ihn heran und greift ihm in die Saiten, worauf dieser sich wiederum mit einem ähnlichen Versuch revanchiert, nur halt mit dem Fuß. Überhaupt: was die Interaktion der Bandmitglieder angeht, beschränkt sich diese fast auf dieses Pärchen; die anderen halten sich meistens aus Spielchen raus.

"Let me go / Let me go / Let me see the answers that I need to know..." sind die ersten Worte von  "Undertow" und viel weiter singt Gildenlöw zunächst nicht, weil er sich von einem gröhlenden Besoffenen gestört fühlt, der die andächtige Stille mit irgendeinem Gebrabbel durchbricht (womit ich keineswegs eine nach Alkoholkonsum nicht unübliche Methode der Magenentleerung meine). Gildenlöw mit gespieltem Ernst lächelnd: "Shhhhh! You have to focus!". Unter dem milden Gelächter des Publikums bringt ein Kumpel den Idioten vorerst zur Ruhe und Daniel G. legt erneut los…hach, ist schon ein Gänsehautsong, das Teil! Dem begeisterten Applaus nach bin ich nicht der einzige, der das so sieht.

Wo schonmal die Stimmung ruhig ist, schieben POS dann gleich "This Heart Of Mine" und den "Song For The Innocent" nach: Mann, das Gitarrensolo ist immer noch geil!
Wie kommt man nach diesem kuscheligen Mittelteil wieder in die Rockspur zurück? POS wählen an diesem Abend den Weg der sanften Steigerung: "Her Voices" geht voran, "Chain Sling", "Diffidentia" und "Flame To The Moth" folgen, nur unterbrochen von einem deutlichen "Shut Up!" an den notorischen Gröhler, der kurze Zeit später von einigen stabilen Herren hinausbegleitet wird.

Dann schließt sich der über alle Alben hinweg gezogene musikalische Kreis: Erneut wird "Scarsick"-Material gespielt.
Zuerst "Flame To The Moth" und als dann die Discokugel erstrahlt ist klar, dass jetzt die "Disco Queen" ihren großen und mächtig honorierten Auftritt hat. Der ansonsten kurios über die Bühne marschierende Johan Hallgren jedenfalls scheint sich mit einer Hüftschwung-Einlage für den Job bewerben zu wollen… aber der Song würde auch ohne seinen Tanz für Stimmung sorgen. 70er Jahre-Kitsch-Disco und geniales Songwriting sind schon 'ne Mischung, bei der die Leute abgehen.

Das war's, Konzert vorbei, Feierabend.

Nee, quatsch, natürlich gibt's noch eine Zugabe. Eine Gitarre aus dem Off, eine bekannte Melodie und nach ewigen fünf Sekunden flüstert mir ein Teil meines Gehirns "Hallelujah" zu, woraufhin ich unbeteiligter Zuhörer der kleinen gehirninternen Diskussionsrunde namens "Wird das Leonard Cohen-Original oder die Jeff Buckley-Version gecovert?" werde. Die Vertreter der zweiten Partei gewinnen, und da beide Versionen zurecht Klassiker sind, genießen alle Beteiligten den Song. PAIN OF SALVATION spielen ihn größtenteils recht ruhig und motzen lediglich den Refrain mit einem Bluesrock-Gitarrensolo auf.
Nach Ende des komplett ausgespielten Stückes singen einige mit ICED EARTH-Shirts bekleidete Typen in den vorderen Reihen den Refrain weiter, was den grinsenden Gildenlöw zu dem Spruch "Iced Earth will never cover that song! So you don't have to buy their T-Shirts" veranlasst.

Babygebrabbel kündigt "Cribcaged" an. Wie es bei dieser Hymne naheliegt, stimmt das Publikum einen Chorgesang an – so muss das! Dann schnallt sich Hallgren eine beeindruckend hässliche Gitarre um, aber jede Irritiertheit ist vergessen, als der markante Anfang von "Used" ertönt. Der Bass grummelt, die Riffs sitzen exakt wie immer und der Song insgesamt brettert sowieso. Die Leute moshen, singen, feiern und staunen. Klasse Finale!

Wie soll ich bei diesem Set einen Höhepunkt nennen? Ich hab ja noch nicht mal das furiose "Ashes" erwähnt! Kurzum: PAIN OF SALVATION haben an diesem Abend mal wieder den Erzfeind "Unkreativität" plattgewalzt. Mehr ist nicht zu sagen. So long and thanks for the mosh.



Setlist:
Scarsick
America
Nightmist
!
Handful Of Nothing
New Year's Eve
Ashes
Undertow
This Heart Of Mine / Song For The Innocent / Her Voices
Chain Sling
Diffidentia (Breaching The Core)
Flame To The Moth
Disco Queen
--------------------------------------------------------------------------------
Hallelujah
Cribcaged
Used

Pain Of Salvation - Bochum / Zeche, 08.03.07
(c) Kirsten Große Gehling