Seit noch nicht ganz zehn Jahren machen die überwiegend niederländischen Musiker gemeinsame Sache, während Sänger Erdinç Ecevit als einziges verbliebenes türkisches Mitglied der Band der Musik die kulturelle Seele schenkt. Die Lieder der 70er Jahre mit modernem Psychedelic-Rock vereinend, können sich ALTIN GÜN nun langsam, insbesondere nach Veröffentlichung des letzten Albums “Aşk”, auch außerhalb Europas in der Türkei immer größerer Beliebtheit erfreuen.
Es ist Freitagabend, wir sind vom Tag ein bisschen gestresst, aber ganz nach deutscher Pünktlichkeit bemühen wir uns, uns so schnell wie möglich mit der Fähre von Asien nach Europa zu bewegen, um auf gar keinen Fall etwas zu verpassen. Zugegebenermaßen sind die süßen Straßenkatzen außerordentlich gut darin, auch die gestressteste Person zum Anhalten anzuregen und auch auf den Busverkehr zur Prime-Time ist absolut gar kein Verlass. Doch trotz aller Hindernisse schaffen wir es, wie auf dem Ticket angegeben (Beginn 18 Uhr, Doors 16 Uhr), um punktgenau 18 Uhr zum Bomontiada.
Das Gelände befindet sich unter freiem Himmel auf der gentrifizierten europäischen Seite der Stadt zwischen verhältnismäßig überteuerten Restaurants und Wolkenkratzer-Hotels. Nichtsdestotrotz haben sich die Veranstalter:innen große Mühe gegeben, eine muckelige Atmosphäre zu kreieren, die aber doch auch sehr nach Gentrifizierung und Hipster-Kultur riecht. Zwischen Craft-Beer-Ständen, Restauranttischen und Volkswagen-Produktplatzierungen findet sich eine kleine Bühne, auf der sich auch für die nächsten zwei Stunden noch keine Band zeigen soll, wie wir dann ein wenig angenervt feststellen.
Während wir uns die Zeit mit drei Babykätzchen vertreiben, sammeln sich mittlerweile immer mehr Menschen, die irgendwoher besser Bescheid wissen, wann das hier alles eigentlich losgehen sollte. Spannenderweise höre ich erstaunlich wenige türkische Stimmen aus dem Publikum. Viel eher scheinen sich die europäische Community Istanbuls und die musikalisch interessierten Tourist:innen zu diesem Event zu versammeln. Und während wir uns noch immer fragen, ob das hier wirklich ein Konzert werden soll, oder doch eher nur ein Hipster-Treffen bleibt, wird um 20 Uhr endlich der Support willkommen geheißen.
MIN TAKA
Genauso wie ALTIN GÜN bei der niederländischen Management-Agentur EBB Music unter Vertrag, hat sich Sängerin MIN TAKA nicht zweimal einladen lassen, in ihrer Heimatstadt Istanbul zu spielen – zumal das letzte Mal wohl schon ein Jahr her gewesen ist. Die mittlerweile ebenfalls in den Niederlanden ansässige Pixie-Pop-Bubblegum-Künstlerin adressiert in ihren Liedern Themen wie Identität, Femininität, Zugehörigkeit und Feminismus. Gemeinsam mit ihren Kolleg:innen am Synthie, Bass und Schlagzeug singt sie nicht nur auf Türkisch, sondern auch einige Tracks auf Englisch, die erst vor Kurzem auf ihrer neuen EP “I Think We Should Just Move In Together” erschienen sind.
Auch wenn die Art von Musik nicht unbedingt ganz mein Fall ist, kann ich einigen Songs etwas abgewinnen und der Gesamtauftritt ist durchaus mitreißend und scheint nicht nur mich überzeugt zu haben.
ALTIN GÜN
Nach einer diesmal nicht ganz so langen Wartepause haben sich deutlich mehr Menschen zusammengefunden und auch die einheimische Quote scheint deutlich gestiegen zu sein. Mit einem mystischen Start und glasklarem Gesang begrüßen uns ALTIN GÜN gebührend und schicken uns direkt zurück in die Zeitmaschine. Für meine türkischen Freund:innen ist der Auftritt nochmals deutlich emotionaler, da die zugrunde liegenden Lieder und Texte in ihrer Kindheit von ihren Eltern gespielt worden sind und nun, in anderem Gewand präsentiert, neues Leben eingehaucht bekommen.
Und während das Publikum zu Beginn noch recht zaghaft in Bewegung kommt, bilden sich langsam einige Grüppchen, die den Abend langsam in eine türkische Hochzeit verwandeln. Es wird lautstark mitgesungen und getanzt – natürlich auf türkische Art. Die Energie des Abend steigert sich bis hin zur Entwicklung kleinerer Polonäsen durch die Menschenmenge. Leider bleiben ALTIN GÜN eher wortkarg und interagieren prinzipiell eher wenig mit dem Publikum. Die Songs werden alle aneinander gereiht ohne viele Kommentare, was aber der Stimmung auch keinen Abbruch macht.
Dass ALTIN GÜN sehr viel Liveerfahrung haben, zeigt sich direkt in deren Spielweise. Selbstsicher werden fulminante Gitarrensoli präsentiert, die den organischen Charakter des Psychedelic Rock weitertragen. Sehr schade ist es, dass die ehemalige Sängerin Merve Daşdemir nicht mehr Teil der Band ist, da sie nochmal eine tolle Abwechslung in den Sound gezaubert hat. Nach fast zwei Stunden Spielzeit verabschieden sich ALTIN GÜN von der Bühne, um – wer hätte das gedacht – für eine geplante Zugabe wieder zurückzukehren.
Insgesamt hat es sich durchaus gelohnt, ALTIN GÜN in Istanbul zu besuchen, da die Stimmung im türkischsprachigen Raum einfach unfassbar toll war. Man konnte aber auch sehen, dass die Band wohl in der Türkei tatsächlich noch gar nicht so bekannt ist, wie man es vielleicht erwarten würde. Entsprechend schien mir das Konzert, ich kann mich hier auch täuschen, eher für ein für türkische Verhältnisse wohlhabenderes Publikum zugeschnitten gewesen zu sein. Der Eindruck kann aber auch dadurch zustande gekommen sein, dass vielleicht doch die eine oder andere Produktplatzierung zu viel auf dem übersichtlichen Gelände drapiert worden ist oder der Bierpreis eher schlechte Laune gemacht hat. Nichtsdestotrotz reisten wir glücklich und verschwitzt mit der Fähre wieder zurück nach Asien, in Form einer Polonäse.