Riverside - Second Life Syndrome


Review


Stil (Spielzeit): Art-Prog-Rock/-Metal (63:39)

Label/Vertrieb (VÖ): InsideOut Music (28.10.05)
Bewertung: Feuerwerk an Schwarzschattierungen (8,5/10)
Link: www.riverside.art.pl

Was hat Polen nicht alles zu bieten! Weit mehr als Slibowitz, konsonantenreiche Autobahnschilder und billige Zigaretten, möchte man meinen – aber guten Progressive Rock bzw. Metal?! Muss der nicht von den Inseln oder wenigstens aus New Jersey kommen? Weit gefehlt! Pink Floyd sind tot? Weit gefehlt! Prog ist was für elitäre Wohlstandskinder? Weit gefehlt! 

Die Antwort auf all diese Fragen: „Riverside“! Sie kommen aus Polen, sie machen Musik im Geiste Waters’ und Gilmours, wissen gleichzeitig zu rocken wie viele Knüppelkapellen nicht – und bieten überdies noch so viele eigene, neue Ansätze, dass es eine wahre Wonne ist. Ihr Debüt Out Of Myself verkaufte sich im letzten Herbst wie warme Semmeln, jetzt legen sie nach: Die neue Platte hört auf den Namen Second Life Syndrome und ist der zweite Teil einer Trilogie, in der sich ein einsamer Mensch auf der Suche nach sich selbst befindet; es geht um Kämpfe mit eigenen Erinnerungen, Reflektion und Abgründe der Psyche – das war’s aber dann auch schon mit Abgründigem, denn musikalisch befinden wir uns hier absolut in der Champions League: 

Sound, Produktion und Songwriting sind so stimmig, dass es schwer fällt, über irgendetwas zu motzen – Riverside wissen in nahezu allen Stücken eine beklemmende Atmosphäre aufzubauen, die mit den Göttern der Szene wie Porcupine Tree, Pink Floyd, aber auch beispielsweise den Herren von Dream Theater, absolut mitzuhalten weiß. Da treffen wunderbar triste, dennoch poppige Gesangslinien auf herrlich stimmungsvoll-düstere Overdrivesounds, der Einsatz von Synthies geschieht immer im Sinne des Gesamtkunstwerks, nie vordergründig oder penetrant, ja sogar der Schlagzeugklang ist individuell und innovativ eingebunden – man achte auf die für Rockmusik eigentlich sehr untypisch ausgesteuerte Bassdrum. Das Ganze wird dominiert vom durchweg stilistisch bestens passenden, äußerst vielseitigen Gesang von Frontmann und Bassist Mariusz Duda. 

Und Riverside verstehen sich auf die verschiedensten Farbabstufungen von Schwarz. Beispiele gefällig? Liebhaber anspruchsvollen Melo-Poprocks sollten mit „Conceiving You“ viel Spaß haben, Floyd-Fans mit dem viertelstündigen Titelsong „Second Life Syndrome“. Gut, ja, zugegeben: Der Beginn klingt ein bisschen auffällig nach „Shine On You Crazy Diamond“ oder „Coming Back To Life“, aber das ist auch der einzige Wermutstropfen – wenn man überhaupt von einem solchen sprechen möchte. Darf’s etwas heavier sein? „Artificial Smile“ stimuliert das Tanzbein und geht in die Nackenmuskulatur – besonders gegen Ende werden die orientalischen Klangkaskaden noch von einer gehörigen Portion Wut und Energie durchbrochen – und Duda beweist, dass er nicht nur hübsch singen, sondern auch brutal shouten kann. Doch mein ganz persönlicher Gänsehautmoment heißt „Dance With The Shadow“ – schlicht, nordisch, schön. Ohne Worte. Ganz großes Tennis. 

Bleibt nur zu hoffen, dass „Riverside“ mit diesem durch die Bank gelungenen Album auch der internationale Durchbruch gelingt. Second Life Syndrome sollte das musikalische Format haben, auch Hörer anderer Rock- und Heavy-Sparten zu überzeugen, im Regal des anspruchsvollen New-Artrock- und Prog-Fans sollte die Scheibe keinesfalls fehlen. Kurz und knapp: „Poland – eight and a half points!“