Geschrieben von Dienstag, 25 Juli 2017 13:19

Riverside-Festival Esslingen 2017 - Der Festivalbericht

Paradise Lost erfüllten beim Riverside 2017 sämtliche Erwartungen an einen Headliner Paradise Lost erfüllten beim Riverside 2017 sämtliche Erwartungen an einen Headliner

Das noch recht junge Riverside-Festival findet nun zum dritten Mal bei strahlendem Sonnenschein im abgelegenen Eisstadion in Esslingen statt. Das – für den Ticketpreis von 33€ (VVK) – gute Lineup lockt einige Schwermetaller in die abgelegene Idylle, um für einen Samstag die Musik feiern zu können.

Anreise

Mit der S-Bahn und einer Laufzeit von etwa zehn Minuten ist das Eisstadion gut zu erreichen. Aufgrund der Horde von Metallern kann man sich auch nicht verlaufen. Direkt an der „Riverside“ des Neckars, umgeben von viel Grünfläche, bietet die Spielstätte ein angenehmes Ambiente. Wer mit dem Auto anreisen will, darf jedoch nicht direkt am Eisstadion parken, sondern muss 700 Meter weiter entfernt seine Karre abstellen. Da wir etwas zu früh da sind, statten wir dem kleinen aber sehr schönen Tierpark Nymphaea, fünf Minuten zu Fuß vom Eisstadion entfernt, einen Besuch ab.

Einlass

Pünktlich um 12 Uhr (vermutlich schon ein paar Minuten vorher) beginnt der Einlass. Die Kontrollen sind relativ streng, sogar Deos müssen entweder abgegeben oder im Busch versteckt werden. Die Crew besteht hauptsächlich aus freiwilligen Mitarbeitern, die sich vorher auf der Webseite melden konnten. Dementsprechend sind die meisten Crewmitglieder sehr freundlich und die Arbeit macht ihnen Spaß.
Auf der kleinen Wiesenfläche sind einige Getränke- und Essensstände aufgebaut, die Preise schwanken von recht günstig bis zu überteuert. Auch für Vegetarier gibt es ein Speisenangebot, jedoch ein sehr kleines. Auch Sitzmöglichkeiten (außer der nassen Wiese) sind eher rar, man hätte ein paar Bänke mehr aufstellen können.

Die erste Band: Mirror Of Deception

Aufgrund der kurzfristigen Absage der Horrorpunkband NIM VIND wurde entsprechend die Running Order geändert, sodass die Göppinger Doom-Metalband MIRROR OF DECEPTION den Startschuss um Punkt 12:30 Uhr abfeuert. Eins der Bandmitglieder hat seine beiden Kinder mitgebracht, die vom Bühnenrand aus (natürlich mit Gehörschutz) mitfeiern. Da noch sehr wenig Leute da sind, ist die Stimmung eher schwach, was auch daran liegt, dass die noch ziemlich unbekannte Band darum bemüht ist, die Menge für sich zu begeistern. Zudem sind die 40 Minuten Spielzeit etwas knapp, sodass der Sänger keine großen Worte verliert, sondern versucht, die Setlist in der vorgegebenen Zeit unterzubringen, wie auch die Band selbst zugeben muss.

Schlagzeuger und Bassist geben sich Mühe, etwas Dynamik in die recht steife Performance zu bringen, was vereinzelte Zuschauer dazu bringt, mitzunicken. Trotz der sehr geringen Publikumsinteraktionen (es gibt nicht mal eine Bandansage und ein Banner haben sie auch nicht) sind die Schwaben sehr sympathisch. Lobenswert ist der sehr gute und präzise Gesang, der nicht nur auf Englisch sondern auch auf Deutsch überzeugt. Insgesamt haben MIRROR OF DECEPTION sehr gute Livequalitäten, die Lieder sind nur allesamt eher uneinprägsam.

Killing Age

Wie scheinbar aus Tradition betreten KILLING AGE zum dritten Mal die Bühne des Riverside-Festivals. Auf die Esslinger Band war ich sehr gespannt, aufgrund einiger Empfehlungen, die definitiv begründet waren. Wiederum überpünktlich präsentieren die Death-/Thrash- Metaller ihr neuestes Album „Devil’s Child“, der Auftritt auf dem Riverside ist praktisch die „Release-Show“. Die sehr energiegeladenen Musiker führen uns in weitaus aggressivere Gefilde und eine ziemlich große Fanbase lässt die Haare schütteln, worüber sich die Band sichtlich freut.

Skurrile Tänzer werden vom Frontmann Jan besonders gelobt: „Eine geile zweite Reihe haben wir hier!“ Mit dem Publikum wissen die Jungs so gut umzugehen, wie mit ihren Instrumenten. Bei „Be Aggressive“ darf sogar ein Fan den Refrain singen und bei „Raise Your Fists“ werden die Fäuste gegen die ganzen „Arschlöcher“ gestreckt. Wer Lust auf Shots hat, kann sich welche bei Jans Oma, die fleißig Ethanol ausschenkt, abholen. Insgesamt hinterlassen KILLING AGE einen sehr guten Eindruck – eine fette Empfehlung.

Während der Umbauzeit für MINDEAD gönnen wir uns Falafel im Fladenbrot für 5 Euro. Das Bezahlsystem ist eher umständlich: Am Wertbonstand muss man sich Wertbons im Wert von mindestens 10 Euro kaufen, die man für alles außer Merch einsetzen kann, beziehungsweise muss. Das Blöde daran ist, dass man am Ende des Tages noch viel Geld auf dem Wertbon über haben kann, das man nicht ausgegeben hat, was ziemlich schade um das Geld ist. Getränke wie Bier (4 Euro für 0,4 Liter) sind verhältnismäßig günstig, wenn man sie mit dem Wasserpreis von 3 Euro für 0,33 Liter vergleicht. Die Miettoiletten sind überraschenderweise sauber und es gibt kein Schlangestehen.

Mindead

Nach der Erholungspause geht es weiter mit MINDEAD, einer Melodic-Thrash-/Metalcoreband aus der Region, die ebenfalls eine große Fangemeinde hat. Dennoch sind weniger Zuschauer anwesend als bei KILLING AGE, und bei den meisten kam die vorherige Band besser an. Dennoch sind MINDEAD gesanglich in Topform, einige Songs hinterlassen einen bleibenden Eindruck und bei den ziemlich krassen Breakdowns wird der erste kleine Moshpit (bestehend aus fünf Leuten) eröffnet.

Auf der Bühne bringt vor allem der Bassist mit seinen ellenlangen Rastas seine Freude an der Musik zum Ausdruck, der Rest der Band steht mehr oder weniger steif herum. Vielleicht liegt das daran, dass die Band entgegen ihrer Schlafgewohnheiten früher als sonst aufstehen musste, wie Sänger Timo Fielker betont.

My Own God

Um 15:20 ertönen die ersten sakralen Orgelsynthies und MY OWN GOD, die ebenfalls bereits mit dem Riverside-Festival vertraut sind, geben ihre Heavy-Metal-Künste zum Besten. Sie sind auf dem Festival die einzige Band mit Keyboard, welches zweistufig sowohl Orgel- als auch Chor- und Flügelsounds erklingen lässt, wobei ich die Flügelsounds ziemlich schlecht finde. Der Gitarrist, welcher übrigens auch ein Teil der Festivalcrew ist, raucht während des Auftritts lässig seine Zigarette beziehungsweise seine Zigaretten.

Immer noch ist die Anzahl der Zuschauer, die bei KILLING AGE anwesend war, nicht erreicht. Bei den meisten Metallern bleibt es beim Kopfnicken und Klatschen, obwohl fleißig zum Mitmachen aufgefordert wird. Der Sänger zweckentfremdet den Mikrofonständer zum Degen und nutzt den kompletten Bühnenraum aus. Unter den recht abwechslungsreichen Liedern befindet sich auch die bandeigene Hymne „My Own God“, die nach einem Gruß an die ganzen fleißigen Helfer gespielt wird.

Infected Rain

Nachdem wir in einer halbstündigen Pause mit Wespen redende Menschen ertragen mussten (ja, der Alkohol fängt an zu wirken), betritt die erste weibliche Musikerin des Tages die Bühne. Über INFECTED RAIN aus Moldawien hatte ich bis jetzt auch nur Gutes gehört. Das Musikvideo zu dem Opening-Song „Orphan Soul“ wurde erst diese Woche veröffentlicht und auf der Platte klingt der Song irgendwie doch besser, als live. Möglicherweise war Sängerin Lena Scissorhands zu Beginn noch nicht richtig eingesungen, denn die Cleanvocals lassen am Anfang zu wünschen übrig, die Growls hingegen sind echt geil und man kann kaum glauben, dass aus so einer zierlichen Person dermaßen tiefe und kraftvolle Growls entweichen können. Leider hört man bei dem Auftritt einige technische Störungen, die man aber teilweise nicht wirklich von den ziemlich interessanten Synthiesounds unterscheiden kann.

Nun ist die Metalgemeinde am völligen Ausrasten: Der ziemlich große Moshpit (featuring aufblasbare Gitarren) weicht einem Circle Pit. Die enthusiastische Performance der Band scheint wohl ansteckend zu sein und auch Lena springt von der Bühne und lässt sich, während sie auf dem Gatter balanciert, von den begeisterten Männern begrapschen. Mit Freuden wird zum Schluss auch das Plektrum des Gitarristen gefangen. Die Liveauftritte von INFECTED RAIN kann ich guten Gewissens weiterempfehlen.

Warpath

Die Nächsten auf der Liste sind die Hamburger „Hardcore-Doom-Death-Thrash-Metaller“ WARPATH, die mit dem Betreten der Bühne um 17:30 etwas zu früh sind. Während catchy Refrains zum Mitsingen anregen, schütteln sich die Musiker die (Best-Of-) Setlist aus dem Ärmel und berücksichtigen auch Zuschauerwünsche. Die jahrelange Bühnenerfahrung merkt man WARPATH an. Headbanger gibt es viele, doch als zu einem Circle Pit aufgerufen wird, wird dies strikt ignoriert. Zudem achtet Frontmann Dirk peinlichst genau darauf, dass keiner mit dem Handy fotografiert und dass jeder ein breites Grinsen auf dem Gesicht hat.

Wegen einer technischen Störung während des vorletzten Liedes „God Is Dead“ wird der Song wiederholt, und weil das Publikum nicht genug von WARPATH bekommen kann, wird der Refrain noch ein letztes Mal wiederholt. Den Schluss der Setlist bildet „No One Can Kill Us“, doch der Song muss vom Bassisten im Sitzen gespielt werden, weil sein Bassgurt gerissen ist. Mit der überaus sympathischen Band konnte man später während der weiteren Acts noch quatschen.

Zum Abendessen gönnen wir uns einen Flammkuchen (4,50 Euro) und wieder einen Becher überteurtes Wasser. Nachdem ich mich auf ironische Weise über den Getränkepreis bei dem Mitarbeiter am Getränkestand beschwere, bekomme ich dann sogar ein Wasser umsonst, denn: "Ein Krankenwagen ist teurer als Wasser".

Lacuna Coil

Für 19:00 ist die wohl erfolgreichste Metalband aus Italien angesagt. LACUNA COIL verspäten sich jedoch ein wenig, doch der erste Song „Ultima Ratio“ wird von der mittlerweile großen Menschenmasse gefeiert. In Zwangsjacke erscheint Cristina Scabbia auf der Bühne und begeistert mit „Spellbound“. Der Rest der Band ist ebenfalls aufwendig geschminkt und eingekleidet, LACUNA COIL-typisch eben. Besonders hervorzuheben ist Schlagzeuger Ryan Blake Folden, der seine Freude an das Publikum überträgt und trotz seiner eingeschränkten Möglichkeiten die wohl aktivste Bühnenperformance darbietet. Das Drumsticks-Fangen hat er wohl auch ziemlich fleißig geübt, denn alle paar Sekunden kann man den Stick in der Luft wirbeln sehen, ohne dass ein Fehler passiert.

Ziemlich bald müssen wir zum Interview mit PARADISE LOST, doch aus dem Backstage kann man die jubelnde Menge zu dem DEPECHE MODE-Cover zu „Enjoy The Silence“ hören. Zurück vom Interview sehen LACUNA COIL ziemlich geschafft aus. Die Schminke läuft vom Gesicht, das Lächeln ist aber immer breiter geworden. Der letzte Song ist natürlich „The House Of Shame“, bei dem alle eskalieren.

Primal Fear

Um 20:45, nach einer zehnminütigen Verspätung, können wir PRIMAL FEAR begrüßen. Die Speed-/Power-Metaller haben ein monströses Schlagzeug aufgebaut, passend zu der monströsen Bühnenperformance mit intensivem Einsatz von Nebelmaschinen. Musikalisch wird eine souveräne Performance dargeboten, auch gesanglich werden die superhohen Töne gerockt. Neben den gereckten Fäusten fliegen Klopapierrollen durch die Luft – ganz zu Ungunsten derer, die es gebraucht hätten. Mit „Metal Is Forever“ ist der Höhepunkt der Party erreicht. Mein Fall ist die Musik immer noch nicht, was aber am persönlichen Geschmack liegt, denn eigentlich gibt es nichts zu bemängeln.

Paradise Lost

Die größte Verspätung hat die größte Band des diesjährigen Festivals: Zwanzig Minuten lassen uns PARADISE LOST warten. Die Engländer haben es gar nicht nötig, irgendjemanden zum Mitmachen zu animieren. Opener ist „No Hope In Sight“ und PARADISE LOST beweisen mal wieder, wie gut sie live sind. Viele Fans schließen während des Auftritts auch die Augen, um die Musik besser fühlen zu können. Die Atmosphäre ist schlichtweg magisch.

Auch Sänger Nick Holmes verliert kaum Worte, die Setlist wird mehr oder weniger nahtlos durchgespielt. Aus fast jedem Album wird ein Song dargeboten und man ist überrascht, wie sehr sich die Musik der Band im Laufe der Zeit geändert und weiterentwickelt hat. Besonders freuen sich die Fans über „One Second“. Mutigerweise spielen PARADISE LOST „Beneath Broken Earth“, der sich langsam und doomig über die ausgepowerten Metalheads legt. Nach unzähligen fulminanten Gitarrensoli wird die erste Single „The Longest Winter“ aus dem 15. Studioalbum „Medusa“, welches am 1. September erscheinen wird, gespielt – und das komplett fehlerfrei, obwohl es erst zum zweiten Mal live performt wird. Auf den Punkt gebracht: Unsere Erwartungen wurden nicht enttäuscht und PARADISE LOST muss man unbedingt einmal live erlebt haben.


Traurig über den Schluss und geschafft von der Veranstaltung verlassen die Metalmenschen nach einigen gemeinsamen Fotos das Eisstadion. Für den ziemlichen günstigen Preis lohnt sich das Riverside-Festival definitiv und ich hoffe, dass es ab jetzt weiterhin jährlich stattfinden wird. Die überschaubare Größe macht die Veranstaltung sehr familiär und nicht so anstrengend.

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