Geschrieben von Freitag, 13 November 2020 16:30

Hassle Records im Interview: "Die Musikindustrie hat sich komplett verändert"

Photo: Starkult Promotion Photo: Starkult Promotion

Nicht nur Künstler und Bands, auch Labels leiden unter den Umsatzeinbrüchen der Coronakrise. So auch Hassle Records, eines der renommiertesten Indie-Labels des Vereinigten Königreichs und Heimat großartiger Acts wie BRUTUS, PETROL GIRLS und THE USED. Wir haben uns mit Inhaber Wez über die Krise, das 15-jährige Labeljubiläum und den Wandel in der Musikkultur unterhalten.

Moin Wez! Schön, dass du ein bisschen Zeit für uns gefunden hast! Alles klar bei dir heute?

Hi Theo! Mir geht‘s super! Danke der Nachfrage, freut mich sehr, mit dir sprechen zu können.

Fangen wir ganz vorne an: Hassle Records wurden 2005 gegründet und seitdem habt ihr euch zu einem der renommiertesten Indie-Label in Großbritannien hochgearbeitet. Euer Start lief aber alles andere als glatt, ihr hattet rechtliche Probleme und musstet den Namen des Labels ändern. Wie waren die ersten Jahre für dich?

Diese rechtliche Geschichte ist sehr simpel, wirklich. Bevor wir zu Hassle wurden, haben wir als Sorepoint Records gestartet und hatten einen richtig guten Beginn. Wir haben FALL OUT BOY, BRAND NEW, ALEXISONFIRE und eine ganze Ladung anderer Bands wie RECOVER unter Vertrag genommen.

Damals wurden wir allerdings noch von einer anderen Firma unterstützt, die ein bisschen Geld in unsere Tätigkeiten gesteckt hat. Aber nach zwei Jahren hat ihnen nicht mehr gefallen, wie es lief und sie wollten aussteigen. Gleichzeitig wollten sie uns allerdings nicht den Namen behalten lassen – jedenfalls nicht, ohne viel Geld dafür zu verlangen. Und so sind wir zu 100 Prozent unabhängig geworden und haben den Namen zu Hassle geändert.

Vor Hassle/Sorepoint habe ich für ein großes Indie-Label namens Mushroom Records gearbeitet. Das war wirklich super und wir hatten viel Erfolg mit Bands wie MUSE, GARBAGE, MY VITRIOL, ASH und CABLE. Aber die Besitzer des Ladens wollten schließlich an Warner verkaufen. Und ich wolle halt wirklich nicht für einen Haufen Bands arbeiten, die ich gar nicht mochte. Und so haben Nigel Adams, der ebenfalls bei Mushroom arbeitete, und ich unser eigenes Label gestartet ... und hier sind wir nun!

Auf eurer Webseite propagiert ihr eine Art Ethos und zwar, dass ihr nur Bands unter Vertrag nehmt, die ihr selbst gerne hört. Ganz ohne Rücksicht auf den ökonomischen Aspekt. War es schwierig, diese Einstellung über die Jahre beizubehalten?

Das war tatsächlich nicht schwer. Wir arbeiten für uns, also treffen wir auch die Entscheidungen. Sonst niemand. Unsere größte Herausforderung ist, dass wir kein Geld haben. Wir können Bands also keine großen Vorschüsse zahlen, da wir uns das Risiko nicht leisten können. Wenn wir zu viel Geld auf eine Band setzen und das nicht klappen würde, könnte das die ganze Firma gefährden. Für mich und Nigel Adams (Hassle- und Full-Time-Hobby-Mitbesitzer) bedeutet das Job und Lebensunterhalt. Zusätzlich wollen wir natürlich auch nicht die Jobs anderer Leute beim Label riskieren.

Das bedeutet, dass wir häufig Bands entdecken, sie aber keinen Vertrag bei uns unterschreiben, weil sie oder ihr Manager mehr Geld im Voraus benötigen. Das beste Beispiel dafür sind vielleicht MY CHEMICAL ROMANCE. Mit denen war ich sehr früh in Kontakt und wir haben uns sogar in unserem Büro in London getroffen. Aber am Ende konnten wir es uns einfach nicht leisten. Wir sind da aber jetzt auch nicht verbittert darüber. Es gibt viele Beispiele, wo wir eine Band nicht unter Vertrag genommen haben und schließlich ein anderes Label viel Geld an denen verloren hat.

Gab es jemals einen Moment, in dem ihr einfach nur noch hinschmeißen wolltet?

Niemals.

Wenn du dich jetzt an die letzten 15 Jahre zurückerinnerst, wie hat sich die Musikindustrie seit 2005 verändert?

Die Musikindustrie und insbesondere die Plattenindustrie hat sich komplett verändert. Damals kamen ca. 85 Prozent unserer Einnahmen aus physischen Verkäufen, vor allem CDs. Heute sind 70 Prozent unserer Verkäufe digital und das meiste davon ist Streaming. Wir verkaufen heute immer noch ein paar CDs, aber vor allem Vinyls. Ich würde sogar sagen, dass wir eine ganze Menge auf Vinyl verkaufen.

Als wir angefangen haben, waren zudem die wichtigsten Formen der Promotion Radio, TV und Print-Medien. Auch das hat sich ziemlich verändert. Einer der Hauptunterschiede, was Kommunikation anbelangt, sind soziale Medien. Alle Bands müssen heutzutage auf sozialen Medien präsent sein. Und das ist nicht immer eine gute Sache, da sich die Bands nicht mehr einfach nur auf ihre Musik konzentrieren können. Inzwischen müssen sie auch noch exzellente Kommunikatoren sein, die ständig in direktem Kontakt zu ihren Fans stehen.

Und dann hast du die Tatsache, wie mächtig Streamingdienste sind. Es ist sehr schwer, dort hervorzustechen, da so viele Songs auf den Markt kommen. Ich kenne tatsächlich einige Labels, welche nur noch Bands unter Vertrag nehmen, von denen sie wissen, dass sie die in bestimmte Streaming-Playlists bekommen können. Für mich ist das der völlig falsche Weg, auf einen neuen Künstler zu schauen.

Wir arbeiten mit Kunst, nicht einer Wissenschaft – und ich mag es, daran zu glauben, dass Bauchgefühl immer eine Rolle bei Musik einnimmt. Das treibt mich an. Einen Song zu hören, der bestimmte Emotionen in dir weckt, ist unschlagbar.

Wenn wir jetzt schon beim wirtschaftlichen Aspekt des Musikgeschäfts sind, können wir auch gleich über Corona reden. Ihr seid ein klassisches Indie-Label, wie erlebt ihr die Krise?

Die Krise hat uns vor allem in zwei großen Bereichen erfasst. Erstens: Wenn die Läden schließen, verkaufen sie keine LPs und CDs, was offensichtlich für niemanden gut ist. Zweitens: Tourneen. Nicht nur verkaufen wir viele CDs und LPs, wenn wir mit unseren Bands auf Tour sind, es ist vielmehr der maßgebliche Weg, wie sich unsere Bands und Künstler promoten. Online-Konzerte und Promos sind nett, aber du kannst einen live spielenden Künstler damit nicht ersetzen. Diese ganze soziale Erfahrung eines Konzertes kannst du online nicht reproduzieren.

Als Firma mussten wir sehr vorsichtig sein. Unsere Kosten sind geschrumpft, weil wir nicht reisen konnten – wir wären super gerne auf dem Reeperbahn-Festival gewesen dieses Jahr – und aufgepasst haben, was wir ausgeben. Wir haben uns außerdem die Zeit genommen, mit unseren Bands in Kontakt zu bleiben und sicherzustellen, dass es ihnen gut geht.

Für viele ist es sehr schwierig, da Musik und auf Tour zu gehen ihr Leben ist. Manche Künstler konnten nicht einmal aufnehmen, sodass auch unser Release-Plan betroffen ist. PRESS CLUB sollten eigentlich im Mai 2020 in Berlin aufnehmen und jetzt hatten sie noch nicht einmal die Möglichkeit, die Demos für ihr neues Album fertigzustellen. Das wird sich also um mindestens sechs Monate, wenn nicht ein Jahr, verschieben. Solche Dinge sind es eben.

Etwas anderes, das wir gemacht haben, und was uns geholfen hat, etwas verlorenes Einkommen aufzufangen, ist die Gründung eines Vinyl-Reissue-Labels, Hassle Hindsight. Da wollen wir Musik von Bands rausbringen, die wir mögen und respektieren, mit denen wir aber nicht notwendigerweise zuvor schon gearbeitet haben.

Die erste VÖ war die UK-Band REEF und eine 25-jährige Jubiläumsvinyl ihres ersten Albums „Replenish“, das ich mir damals direkt bei Release gekauft und geliebt habe. Als zweites kam eine brillante irische Band namens KERBDOG. Da haben wir die ersten beiden Alben auf Vinyl neu 'rausgebracht. Und letzte Woche gab es SKINDREDS „Roots Rock Riot“ erstmals auf Vinyl.

Und die Herausforderungen hören ja nicht auf: Es steht ein weiterer Winter voller Lockdowns vor der Tür, als Briten seid ihr auch noch vom Brexit betroffen. Hast du manchmal Angst vor der Zukunft?

Auf jeden Fall! Die zweite Welle des Coronavirus schwappt über Europa und gefährdet den Lebensunterhalt von Bands und alles, was damit in Verbindung steht. Live Venues, Merchfirmen, Plattenfirmen. Unsere Einstellung ist, mit so vielen dieser Leute zusammen zu arbeiten wie möglich und zu helfen, wo wir können.

Wir haben Verlosungen und Wettbewerbe ausgerufen, um Geld für Venues wie das Lexington in London oder das wunderbare 2000 Trees Festival zu sammeln. Wir müssen versuchen sicherzustellen, dass diese Venues und Festivals auch 2021 und darüber hinaus noch existieren, während sie unseren Bands helfen. Und Brexit ist etwas, gegen das wir komplett sind, wie die meisten jungen Leute in Großbritannien.

Widmen wir uns zum Abschluss noch einmal den positiven Dingen. An was erinnerst du dich am liebsten aus 15 Jahren Hassle? 

Um ehrlich zu sein, gibt es da viel zu viele großartige Momente. Mit ALKALINE TRIO zu arbeiten und ihnen zu helfen, ihr größtes Album „Crimson“ zu haben, war toll. Mit JULIETTE LEWIS zu arbeiten war fantastisch! Sie ist so eine harte Arbeiterin. Sie hat all die kleinen Venues bespielt, um sich eine Fanbasis zu schaffen.

TRASH TALK vom Süden nach Südwesten in Austin zu jagen, als sie fünf Shows in zwei Tagen gespielt haben und dann bei ihrer Show auf der Foot Bridge in Austin nachts um 2 zu beobachten, wie Kinder in den Fluss sprangen. Mit FRANK IERO lässt es sich auch toll arbeiten, das war ein Highlight.

Für uns ist es das Beste, mit einer unbekannten Band zu arbeiten und sie dabei beobachten zu können, immer größer zu werden. Bis sie an einem Punkt sind, an dem sie Musik zu ihrer Karriere machen können. Wir machen genau das gerade mit einigen unserer neueren Bands wie BRUTUS, PETROL GIRLS und PRESS CLUB.

Was ist deine Lieblingsveröffentlichung auf Hassle Records?

Das ist, als ob du mich fragen würdest, wer mein Lieblingskind ist! (lacht) Eine unmöglich zu beantwortende Frage. Wir lieben alles, was wir rausgebracht haben, aus unterschiedlichen musikalischen Gründen.

Gibt es noch irgendwas, was du schon immer einmal in einem Interview gefragt werden wolltest?

Yeah! Ob ich es bereue, GUNS‘N ROSES die Luft aus den Reifen ihres Vans gelassen zu haben, als meine Band 1987 im Marquee in London Support für sie gespielt hat. Die Antwort ist nein! Sie haben uns als Support-Band nicht wirklich gut behandelt.

Dein Wunsch für 2021?

Dass wir einen Weg aus dieser Pandemie finden und wir alle wieder Bands und Künstler live auf Tour sehen können!

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